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Umweltkonflikte in KolumbienWenn die Adler drohen

Aktivist:in­nen, die sich gegen Megaprojekte wehren, werden von paramilitärischen Gruppen verfolgt. Auf Schutz der Regierung können sie nicht hoffen.

Das Staudammprojekt bei Ituango zerstört Lebensgrundlagen – und produziert Energie für die Minen Foto: Joaquin Sarmiento/afp

Toledo/Antioquia taz | Toledo ist ein malerisches Städtchen im Nordwesten von Kolumbien. Gassen schlängeln sich zwischen Häusern im spanischen Kolonialstil hindurch und an buntbemalten Mauern entlang. Im Hintergrund ragen die grünbewachsenen Anden in den blauen Himmel. Doch unweit dieser Kulisse, in der angrenzenden Ortschaft Ituango, schwelt seit Jahren einer der brutalsten Umweltkonflikte des ohnehin gewaltgeplagten Landes.

Am Cauca-Fluss entsteht der Hidroituango, Kolumbiens größter Staudamm, der bei Fertigstellung eine installierte Leistung von 2.400 MW haben soll. Die Energie wird dann vor allem ins Ausland und in umliegende Minen fließen. Für die direkten An­woh­ne­r:in­nen bedeutet das Megaprojekt dagegen vor allem Vertreibung, Armut und Repression. Denn seit Jahren unterdrücken Regierung und paramilitärische Gruppen jeden Widerstand dagegen gewaltsam.

2010 starteten die Bauarbeiten und damit auch die Konflikte. Um die Fertigstellung zu beschleunigen, habe der zuständige staatliche Energieversorger Empresas Públicas de Medellín (EPM) weder Umwelt- noch Sicherheitsauflagen berücksichtigt, lautet der Vorwurf der ansässigen Protestbewegung Rios Vivos (zu deutsch: lebende Flüsse).

2018 bereits führten Konstruktionsfehler zu einer Überschwemmung, wodurch tausende Menschen Land und Haus verloren. Auf eine Entschädigung wartet ein Großteil der Betroffenen bis heute. Auch den Verlust von Lebensgrundlagen prangert die Organisation an. Viele Menschen am Cauca-Fluss leben von Fischerei und Landwirtschaft. Aber mit den Bauarbeiten ist auch der Fischbestand stark gesunken.

Gebeutelte Region

All das passiert in einer Region, die ohnehin stark unter den gewalttätigen Auseinandersetzungen in Kolumbien gelitten hat, die von den 1960er Jahren bis zum Friedensvertrag zwischen der Regierung und der FARC-Guerilla im Jahr 2016 dauerten. Viele der hier Lebenden sind Überlebende von bewaffneten Konflikten.

Drohanrufe: Umweltaktivistin Milena Florez Foto: Nabila Lalee

Bei Protesten gegen das Projekt würden die Sicherheitskräfte immer wieder willkürlich Gewalt anwenden und Ak­ti­vis­t:in­nen verhaften, berichtet Milena Florez, Vorsitzende von Rios Vivos. „Wir sind eine Basisorganisation aus Bauern, Fischern und Anwohnern“, sagt sie. „Doch der Staat will uns spalten, damit wir uns nicht gemeinsam organisieren.“ Hinzu kämen Übergriffe und Anschläge durch paramilitärische Gruppen.

Das habe sie am eigenen Leib erfahren, sagt Florez. Seit Jahren erhalte sie als Rios Vivos-Vorsitzende immer wieder Drohungen. Oft sind es Briefe, manchmal auch Anrufe. Die Forderungen sind deutlich: Wenn Florez weiter gegen das Projekt protestiere, drohe ihr der Tod. Die Absender sind paramilitärische Gruppen, die Ak­ti­vis­t:in­nen im ganzen Land bedrohen.

Mordanschläge und Folter

2019 wurde die Situation so gefährlich, dass Florez für sechs Monate das Land verließ und über ein Schutzprogramm nach Spanien kam. Fünf andere Mitglieder von Rios Vivos mussten für ihren Einsatz bereits mit dem Leben bezahlen. Auch zehn ihrer Familienangehörigen sind ermordet worden. Andere Mitglieder berichten von Mordanschlägen oder Folter sowie dem Versuch, sie verschwinden zu lassen. Zur Rechenschaft gezogen wurde für diese Morde bisher niemand.

Was Rios Vivos und ihre Mit­strei­te­r:in­nen erleben, hat in Kolumbien System. Laut der Organisation Global Witness ist der zweitbevölkerungsreichste Staat Südamerikas das Land mit den meisten getöteten Um­welt­ak­ti­vis­t:in­nen weltweit. Allein 67 verloren 2020 dort ihr Leben, weltweit liegt die Zahl bei insgesamt 227.

Als Grund führt Global Witness den mangelnden Schutz durch das Rechtssystem an. Der kolumbianische Staat unternehme keine Anstrengungen, die Verantwortlichen von Morden an Um­welt­ak­ti­vis­t:in­nen zu finden und zu verurteilen. Stattdessen würden die Proteste kriminalisiert. Eine Erfahrung, die die­ Ak­ti­vis­t:in­nen rund um den Hidroituango ebenfalls machen mussten. „Der Staat nennt uns Vandalen oder behauptet sogar, dass wir FARC-Kämpfer seien“, beklagt Florez.

Kriminalisierung von Ak­ti­vis­t:in­nen

Auch der Menschenrechtsanwalt Luis Montenegro spricht von einer Kriminalisierung von Um­welt­ak­ti­vis­t:in­nen in Kolumbien. Die Regierung nenne sie „Vandalen“, „Umweltterroristen“ oder werfe ihnen vor, der Entwicklung des Landes im Weg zu stehen, beklagt Montenegro. Das führe zu einem feindlichen Klima für die Ak­ti­vis­t:in­nen in dem Land, weil auch viele Medien dieses Narrativ aufgriffen.

Morddrohung: Minengegner Gildardo Gomez Foto: Nabila Lalee

Ein weiteres Problem sei, dass die Leute durch die anhaltenden Konflikte desensibilisiert seien gegenüber Gewalt gegen Aktivist:innen. An der Situation habe auch die Unterzeichnung des Friedensvertrages, von der man sich eine allgemeine Befriedung bewaffneter Konflikte erhofft hatte, bisher nichts geändert, sagt Montenegro.

Das hält ausländische Firmen nicht davon ab, weiterhin in Großprojekte in Kolumbien zu investieren. So sind auch deutsche Unternehmen in das Projekt Hidroituango involviert, zum Beispiel die staatseigene KfW-IPEX-Bank, Siemens, die Rückversicherer Munich Re und Hannover Re, der Druckluftspezialist Kaeser und der Kabelhersteller Südkabel. Und der Staudamm ist nicht das einzige Vorhaben. Auch im Zusammenhang mit der riesigen Steinkohlemine El Cerrejón im Norden Kolumbiens kommt es immer wieder zu Gewalt und Gewaltandrohungen gegen Pro­test­le­r:in­nen durch paramilitärische Gruppen. Trotzdem bleibt Kolumbien einer der größten Kohlelieferanten Deutschlands.

Unklare Verbindungen

Das Problem reicht möglicherweise noch viel tiefer. Denn immer wieder gibt es Hinweise auf eine Verbindung zwischen den Interessen des Staates und den ausländischen Investoren sowie den paramilitärischen Gruppen. „Es gibt eine starke Überlappung von drei Akteuren“, erläutert Luis Montenegro. „Die ausländischen Investoren, die kolumbianische Armee, die vor Ort Proteste niederschlägt, und die Paramilitärs.“ Die Aguilas Negras (zu deutsch: schwarze Adler), die auch Rios Vivos-Vorsitzende Florez ins Visier genommen haben, gehören dabei wohl zu den mysteriösesten unter den paramilitärischen Gruppen. „Niemand weiß, wer ihre Anführer sind oder ob es sich dabei überhaupt um eine organisierte Einheit handelt“, so Montenegro. Zu ihren Angriffszielen gehören jedoch immer wieder linke Aktivist:innen, Men­schen­recht­le­r:in­nen und Oppositionelle.

Beweise für eine direkte Verbindung gibt es zwar nicht. Gruppen wie Aguilas Negras stellen sich jedoch stets hinter die Regierung und ihre wirtschaftlichen Interessen. „Es ist schon sehr auffällig, dass an allen Orten, an denen Megaprojekte angesiedelt sind, paramilitärische Gruppen besonders aktiv sind“, betont Montenegro.

So sah sich auch Gildardo Gomez plötzlich Drohungen und Gewalt ausgesetzt. Gemeinsam mit anderen An­woh­ne­r:in­nen wehrt er sich gegen den Goldabbau durch das südafrikanische Bergbauunternehmen Anglogold Ashanti in der Region Antioquia, ebenfalls im Nordwesten des Landes.

„Immer dann, wenn wir Proteste durchführen, folgen Drohungen durch verschiedene bewaffnete Gruppen“, so Gomez. Auch hier kommen sie mal telefonisch, mal per Brief. Und hin und wieder sogar von vermummten Männern auf Motorrädern. Doch die Nachricht ist immer gleich: Sie fordern Gomez und seine Mit­strei­te­r:in­nen auf, die Proteste gegen die Riesenmine zu unterlassen.

Der Staat habe ihn bislang nicht geschützt, so der Kleinbergbauer. Auch gegen Anglogold Ashanti erhebt er Vorwürfe: „Das Unternehmen klagt uns öffentlich für die Proteste an, obwohl wir lediglich unser Recht auf Versammlungsfreiheit wahrnehmen. Doch für extrem Rechte, wie die paramilitärischen Gruppierungen, reicht das schon aus, um zu ihrem Feind zu werden. Die Anklagen machen uns zu ihrem Ziel.“

Verantwortung ausländischer Konzerne

1.288 Hektar Land sind von dem Projekt betroffen. „Die Goldmine verschmutzt die Flüsse und bedroht das Ökosystem in der Umgebung“, sagt Gomez. Zwar gebe es offiziell Umweltregularien, das Unternehmen halte sich jedoch nicht daran – ohne Konsequenzen durch den kolumbianischen Staat.

Auch soziale Auswirkungen beklagen Gomez und sein Anwalt John Yepes. „Bauern verlieren ihr Land, Fischer aufgrund des gesunkenen Fischbestandes ihren Lebensunterhalt und Kleinbergbauern werden vertrieben“, sagt Yepes. Tausende An­woh­ne­r:in­nen würden bereits umgesiedelt, ohne dass das Unternehmen Pläne zu Entschädigungszahlungen vorgelegt habe oder – wie eigentlich vorgeschrieben – vorweisen könne, dass die Betroffenen nach der Umsiedlung mindestens die gleichen sozio-ökonomischen Bedingungen vorfinden.

Gegen die Interessen der Konzerne kommen die kleinen Gemeinden so schnell nicht an – das ist Gomez und Yepes bewusst. „Wir wissen, dass wir dieses Projekt nicht aufhalten können. Aber wir wollen die Schäden für die Umwelt und die Anwohner so klein wie möglich halten.“

Für Rios Vivos-Vorsitzende Florez ist klar, dass die ausländischen Konzerne eine Mitverantwortung für die desaströse Lage von Ak­ti­vis­t:in­nen in Kolumbien haben, solange sie trotz anhaltender Menschenrechtsverletzungen vor Ort investieren. Montenegro glaubt sogar, dass die großen Unternehmen die wahre Macht im Staat haben. „Die kolumbianische Regierung hat bei der COP26 das Versprechen abgegeben, die Umwelt zu schützen“, sagt er. „Den Kolumbianern versprechen sie, im Interesse des Landes zu handeln, doch in Wahrheit geht es nur um die Interessen der Konzerne.“

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