piwik no script img

Abschussfür denKlimawald

Rehe und Hirsche behindern die Verjüngung der Brandenburger Forste. Der grüne Umweltminister will deshalb mehr Wild schießen lassen – aber viele Jäger sind dagegen. Wieso?

Von Kathrin Zinkant

Als Axel Vogel vor 42 Jahren die Grünen mit begründete, wäre ihm wohl im Traum nicht eingefallen, dass er sich eines Tages für den Abschuss von Wildtieren einsetzen würde. Mit einem neuen Gesetzesentwurf, der vor einer Woche erstmals öffentlich wurde, tut Vogel nun aber genau das: Der grüne Umweltminister von Brandenburg will das Jagdrecht im Bundesland ändern. Eine größere Zahl Jä­ge­r:in­nen als bisher soll die Möglichkeit haben, im eigenen Wald oder auf dem eigenen Feld zu jagen. Zugleich entfallen die sonst üblichen Abschusspläne – und mit ihnen die Obergrenzen der zu schießenden Tiere. Für Unbeteiligte mag das jägerfreundlich klingen. Doch es geht im Entwurf nicht um die Wünsche und Bedürfnisse der Jäger, sondern um die Bedürfnisse des brandenburgischen Walds.

Um den steht es nämlich richtig schlecht. Schuld daran sind nicht zuerst die Jäger. Schuld sind vor allem der Klimawandel und das Erbe von Jahrhunderten Plantagenkultur in den Forsten. Die Kiefernstangenwälder halten die Erderwärmung und ihre Extremwetterereignisse nicht aus. Dürren, Stürme, Brände, Schädlingsplagen und Krankheiten haben die Kiefer in den vergangenen Jahren zwar weniger ramponiert als den kleinen Anteil Eiche und Buche, der noch da ist. Laut Waldzustandsbericht Brandenburg für 2021 sind aber auch nur noch zehn Prozent der Kiefern richtig gesund.

Wenn dieser Wald genesen und seine unverzichtbaren Funktionen als CO2-Senke und natürliche Klimaanlage erfüllen soll, muss er besser gestern als heute zu einem ökologisch robusten Mischwald umstrukturiert werden, konstatiert der Gesetzesentwurf in seiner Problembeschreibung. Zum Problem gehört im Kern aber auch, und hier kommen dann doch die Jäger ins Spiel, dass alle Versuche einer natürlichen Waldverjüngung am Wild scheitern, genauer: am pflanzenfressenden Schalenwild.

Rothirsch, Damwild und vor allem das Reh fressen – „verbeißen“ – die kleinen Blätter, Knospen und die Rinde der jungen Bäume. Das wäre für einen robusten Wald noch hinnehmbar, solange die Bestände von Reh und Co ein gesundes Maß nicht überschreiten. Doch robust ist der Wald eben nicht – und die Wildbestände wachsen.

„Seit den 50er Jahren hat der Bestand an verbeißendem Schalenwild um etwa 1.000 Prozent zugenommen“, sagt Dietrich Mehl, der als Jäger und Förster die Landeswaldoberförsterei Reiersdorf bei Templin leitet. Der Forst erstreckt sich über 25.000 Hektar und gilt als vorbildlich. Der Wald wird seit Jahren umgebaut und verjüngt, das Holz nachhaltig produziert, wie es in den Landesforstbetrieben vorgeschrieben ist. Möglich ist das, weil Mehl und seine Mitarbeiter das Wild im Wald stark reduziert haben und weiterhin darauf achten, dass es nicht zu zahlreich wird.

Der Oberförster hält Vorträge, in denen er diese Zusammenhänge erklärt, er kennt Beispiele, in denen die Jagd wirkungsvoll geholfen hat, Wälder zu verjüngen. Mehl hat Anfang 2021 auch als Experte im Bundestagsausschuss für Landwirtschaft gesprochen, als es um eine vorsichtige Modernisierung des seit dem Dritten Reich fast unveränderten Bundesjagdgesetzes ging. Auch da hat er auf die drastische Zunahme der Wildbestände hingewiesen und mehr gefordert als kleine Anpassungen des bestehenden Rechts. Am Ende schafften es selbst die nicht in eine zweite Lesung im Bundestag.

Wild massiv zu bejagen ist eben unpopulär. Dabei wünschen sich Förs­te­r:in­nen und Jä­ge­r:in­nen wie Mehl keine Ausrottung des Wildes, selbst wenn ihnen das immer wieder vorgeworfen wird. Es geht ihnen auch nicht allein um die Bäume und das Holz. „Uns geht es um das Waldökosystem in Gänze“, sagt der Förster. Holzproduktion stelle einen Teil dar, doch Kohlenstoffbindung, Kühlung der Landschaft und Artenreichtum seien gleichberechtigte Ziele. „Diesen Zielen ordnen wir unsere Vorstellung von Jagd unter“, sagt Mehl. Schon lange fordert er deshalb eine grundlegende Veränderung der Jagd, etwa so, wie sie der aktuelle Entwurf jetzt skizziert.

Doch die Mehrheit der Jägerschaft lehnt Veränderung vehement ab. „Diese Novelle schafft Chaos und keinen gesunden Wald“, sagt der Präsident des Landesjagdverbandes Brandenburg, Dirk-Henner Wellershoff, in einer Pressemitteilung. In den Regionalzeitungen unterstützen Bauern und auch Förs­te­r:in­nen diese ablehnende Position. Vom Wald ist dabei nur fast nie die Rede, dafür vom Wolf, der bejagt werden soll, von einer Zersplitterung der Reviere, von Jagdgenossenschaften als Resterampen – und von der Unmöglichkeit, auf zehn Hektar zu jagen, weil da doch jeder Schuss im Nachbarrevier lande.

Zehn Hektar, so viel Wald oder Fläche sollen Jä­ge­r:in­nen laut Novelle besitzen müssen, um auf dem eigenen Land jagen zu dürfen. Bislang sind es 150 Hektar. Nur 5 Prozent der Jä­ge­r:in­nen haben laut aktuellem Jagdbericht deshalb eine sogenannte Eigenjagd. 99 Prozent Ei­gen­tü­me­r:in­nen von Wald oder Land besitzen dagegen zu wenig, um ihren Besitz selbst bejagen zu dürfen. Sie müssen Teil einer Genossenschaft werden, die in der Regel an Außenstehende verpachtet. Fast 90 Prozent der Jä­ge­r:in­nen in Brandenburg sind Päch­te­r:in­nen oder haben einen Begehungsschein. Das Revier leihen sie sich aus, um Tiere zu jagen.

„Der Wald dient dabei oft nur als Kulisse“, sagt Mathias Graf von Schwerin, der in der Trennung von Jagd und Eigentum ein Kernproblem sieht – und die Stärkung der Eigenjagden deshalb für zentral hält: „Wenn insbesondere die Waldeigentümer über die Nutzung ihrer Flächen bestimmen könnten, würden sie mit ihrem Wald sowohl ökologisch als auch ökonomisch profitieren“, sagt der Vorsitzende des Ökologischen Jagdvereins Brandenburg-Berlin. Das neue Gesetz eröffne so gesehen Möglichkeiten. Wem die jagdliche Nutzung seiner Flächen aber gleichgültig sei, müsse die Genossenschaften auch nicht verlassen.

Der tiefere Sinn des Entwurfs liege jedoch darin, den Wald zum Schutz der Gesellschaft zu erhalten. „Wir Jä­ge­rin­nen und Jäger erhalten von der Gesellschaft das Privileg, Waffen besitzen und mit ihnen jagen zu dürfen“, sagt von Schwerin. Man sei es den Menschen schuldig, ihnen für dieses Privileg auch etwas zurückzugeben. „Es ist uns seit mehr als einem halben Jahrhundert aber nicht gelungen, flächendeckend Wildbestände so zu regulieren, dass der Wald sich natürlich verjüngen kann.“

Dass dringend etwas passieren muss, sehen auch Forscher so. „Wir wissen seit 50 Jahren um die negative Rolle der herkömmlichen Jagd für die Waldentwicklung, seit 20 Jahren ist klar, dass der Klimawandel ein modernes Wildtiermanagement immer dringlicher macht“, sagt Pierre Ibisch von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde. Das Problem wird nach Aussage des Professors für Naturschutz sehenden Auges verschleppt. „Und so ziehen die Jahrzehnte dahin.“

Vergeben wird Ibisch zufolge dabei nicht nur die Chance, die Leistungsfähigkeit und Widerstandskraft des Waldes zu schützen, sondern genauso die Möglichkeit, durch mehr Strukturvielfalt im Ökosystem auch wieder einen angemessenen Lebensraum für das Wild zu schaffen. „Ein vielschichtiger Wald mit Bäumen aller Altersklassen und Barrieren aus Totholz schränkt die Bewegungsfreiheit von Pflanzenfressern ein und senkt den Fraßdruck aus sich selbst heraus“, sagt Ibisch. Die wissenschaftliche Evidenz dafür gebe es, man müsse sie nur umsetzen.

Ob das ambitionierte Gesetz, das diese Umsetzung endlich befördern könnte, jemals in Kraft tritt, bleibt aber fraglich. Zunächst wurde es in dem Jagdbeirat der Landesregierung vorgestellt, der überwiegend traditio­nell ausgerichtet ist. Gut möglich, dass das Papier, wie es ein Gesetzesgegner in der Lokalpresse gefordert hat, tatsächlich im Alt­papiercontainer des Ministeriums landet. Den Preis dafür zahlen dann nicht die Jäger, sondern der Wald und die Gesellschaft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen