Westliche Sanktionen gegen Russland: Krieg an den Finanzmärkten

Die Sanktionen nehmen Russlands Zentralbank ins Visier. Auch der Swift-Ausschluss kommt. Die Folgen dürften enorm sein.

Menschenschlange auf der Straße

Anstehen für Bargeld: Szene aus St. Petersburg am Sonntag Foto: Anton Vaganov/reuters

BERLIN taz | Noch am Freitag wähnte sich die Bundesregierung im Kreise mehrerer EU-Länder, die gegen einen Rausschmiss Russlands aus dem Finanzkommunikationssystem Swift waren. Italien, Zypern, selbst Ungarn, dessen Regierungschef Viktor Orbán noch vor Kurzem offen mit Wladimir Putin sympathisierte, sprachen sich im Laufe des Samstags jedoch für einen Swift-Ausschluss Russlands aus. Daraufhin stand die Bundesregierung ganz alleine als Blockiererin da. Sie hatte gar keine andere Wahl, als ihr Zaudern zu beenden. Die gesamte westliche Welt hatte nur noch fassungslos auf Deutschland geschaut.

„Wir schneiden russische Banken und Staatsunternehmen von der Finanzierung ab“, kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Sonntag in der Sondersitzung des Bundestages an. Er zählte auf: „Wir verhindern den Export von Zukunftstechnologie nach Russland. Wir nehmen die Oligarchen und ihre Geldanlagen in der EU ins Visier. […] Und wir schließen wichtige russische Banken vom Bankenkommunikationsnetz Swift aus.“

Swift steht für Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication. Sie stellt die technische Infrastruktur zur Verfügung, damit Finanzins­titute über Landesgrenzen hinweg sicher miteinander kommunizieren können. Das betrifft etwa Geldtransfers, Wertpapier- oder Edelmetallgeschäfte. Mehr als 11.000 Teilnehmer in über 200 Ländern nutzen weltweit den Dienst von Swift.

Grundsätzlich können Banken zwar auch ohne Swift kommunizieren, etwa per Telefon oder Mail. Das ist aber umständlicher – und erfolgt meist zu sehr viel höheren Kosten. Ein Swift-Rauswurf wird Zahlungs- und Warenströme von russischen Banken und Unternehmen deutlich verlangsamen oder die Geschäfte gar ganz verhindern. Von den Sanktionen sind daher auch ausländische Firmen betroffen, die in Russland tätig sind.

Es gibt für Deutschland wesentliche Ausnahmen

Weitere Sanktionen würden sich die EU-Länder vorbehalten – ohne irgendwelche Denkverbote“, fügte Scholz in seiner Erklärung hinzu. „Machen wir uns nichts vor: Putin wird seinen Kurs nicht über Nacht ändern. Doch schon sehr bald wird die russische Führung spüren, welch hohen Preis sie zahlt.“ Der Krieg sei eine Katastrophe für die Ukraine. „Aber: Der Krieg wird sich auch als Katastrophe für Russland erweisen.“ Auch Finanzminister Christian Lindner (FDP) unterstützt den Kurs. „Wir werden Russland isolieren, wirtschaftlich, finanziell und politisch“, sagte auch er.

Offenbar auf Bitten der Bundesregierung soll es sich zunächst einmal um ein abgeschwächteren Swift-Ausschluss handeln. Betroffen von dem Ausschluss werden den Angaben zufolge nur die russischen Banken, die bereits von der internationalen Gemeinschaft sanktioniert sind, darunter die beiden größten russischen Banken Sberbank und VTB. Man wolle nicht alle Munition verschießen, sondern noch Raum für eine Verschärfung der Sanktionen schaffen, heißt es aus deutschen EU-Kreisen.

Zudem würden Ausnahmen vom Swift-Ausschluss es ermöglichen, dass Gas- und Öl-Lieferungen aus Russland weiterhin bezahlt werden könnten. Formell muss unter anderem der EU-Ministerrat die Sanktionen beschließen. Die Staats- und Regierungschefs der G7-Länder teilten am Sonntag in einer gemeinsamen Erklärung mit, dass man noch in dieser Woche eine transatlantische Taskforce bilde, die die wirksame Umsetzung der Finanzsanktionen gegen Russland sicherstellen werde.

Die Bundesregierung teilte mit, dass die EU-Länder, die USA und andere darüber hinaus auch erwägen, den Handlungsspielraum der russischen Zentralbank einzuschränken und Russlands Währungsreserven einzufrieren. Dies soll unter anderem verhindern, dass Russland seine staatlichen Rücklagen für die Finanzierung seines Krieges nutzen kann. „Dafür werden wir das Vermögen der russischen Zen­tralbank blockieren“, erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. „Ihre Transaktionen werden eingefroren. Und wir nehmen der Zentralbank die Möglichkeit, ihr Guthaben international einzusetzen“, kündigte sie an.

Das Ausmaß der Zentralbanksanktionen ist noch unklar

Die Devisenreserven der russischen Zentralbank einzufrieren, hätte noch weitaus dramatischere Folgen als das Abkoppeln vom Swift-System. Insgesamt verfügt Russland über gewaltige Reserven von etwa 630 Milliarden Dollar; theoretisch gibt das dem Land eine große Unabhängigkeit, weil mit diesem Geld ein Zusammenbruch des lokalen Banksektors verhindert werden könnte. Doch nur ein kleiner Teil dieser Reserven liegt in Form von Gold in Russland; der Großteil liegt bei westlichen Zentralbanken, und diese könnten Russland den Zugriff darauf verwehren.

Wo genau wie viel russisches Zentralbankgeld liegt, ist unklar. Doch Finanzmarktanalysen deuten darauf hin, dass die Deutsche Bundesbank ein zentraler Akteur ist, und auch von dort kam am Sonntag das Signal, dass man zu Sanktionen bereit sei. Bundesbank-Präsident Jo­achim Nagel begrüße, „dass nunmehr umfassende Finanzsanktionen verhängt sind, und hat sich dafür eingesetzt“, sagte ein Sprecher der deutschen Notenbank. Am Nachmittag teilte die Bundesbank mit, dass Einlagen der russischen Zentralbank bereits eingefroren worden seien.

Das genaue Ausmaß der Zentralbank-Sanktionen steht noch nicht fest. Würden die Russen komplett von ihren Devisenreserven abgeschnitten, hätte das nach Ansicht von Wirtschaftsexperten dramatische Auswirkungen. „Das käme einem umfassenden Finanzkrieg gleich“, schreibt etwa der britische Wirtschaftswissenschaftler Adam Tooze, der an der Columbia Universität in New York lehrt. Dass Russland in einer solchen Situation die Energielieferungen an den Westen aufrechterhalten würde, sei „mehr als unwahrscheinlich“, meint Tooze.

Die Devisenknappheit, die die Sanktionen gegen die Zentralbank nach sich ziehen würden, dürften nicht nur einen Bank Run in Russland auslösen, sondern den Rubel faktisch in eine nichtkonvertierbare Währung zurückverwandeln und damit weitgehend verhindern, dass Russland Produkte aus westlichen Ländern importieren kann.

Um die Auswirkungen dieser Entscheidungen auf deutschen Unternehmen abzumildern, hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck diesen Unterstützung zugesagt. Die Regierung werde ihren Auftrag ernst nehmen und Schaden vom deutschen Volk fernhalten, sagte der Vizekanzler und Grünen-Politiker. „Wir werden also für die Bereiche der Wirtschaft, die möglicherweise von Sanktionen betroffen sind, ähnliche Schutzmaßnahmen machen, wie wir es in der Coronapandemie getan haben.“

Zum Schutz der Wirtschaft gehöre zudem der Ausstieg aus Gas, Kohle und Öl und damit der Abhängigkeit von Russland. „Wir werden aber auch den Ausstieg aus der Verbrennung fossiler Energien deutlich beschleunigen müssen und nicht mehr über Jahrzehnte reden an dieser Stelle“, kündigte der Vizekanzler an. „Das ist ebenfalls eine Frage von nationaler Sicherheit geworden, auch darein werden wir investieren müssen.“

Die Regierung will zunächst in Kürze ein Gesetz vorlegen, das Mindestfüllstände in Gasspeicher vorschreibt. Zudem sollen jetzt schnell zwei Flüssiggasterminals an der Nordseeküste für den Import etwa aus Katar oder den USA gebaut werden. Außerdem ist eine Steinkohlereserve geplant. Sein Koalitionspartner Christian Lindner (FDP) unterstützte Habeck. „Erneuerbare Energien lösen uns von Abhängigkeiten. Erneuerbare Energien sind deshalb Freiheitsenergien“, sagte der Finanzminister im Bundestag.

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