EuGH zu Abschiebehaft: Gesetz ging zu weit

Abgelehnte Asyl-Antragsteller sollten drei Jahre lang auch in Straf-Gefängnissen untergebracht werden. Der EuGH verlangt aber Einzelfall-Entscheidungen.

Abschiebehafteinrichtung

Foto: Michael Schick/imago

FREIBURG taz | Der Bundestag durfte 2019 nicht pauschal anordnen, dass Abschiebehäftlinge in normalen Gefängnissen untergebracht werden können. Vielmehr solle dies in jedem Einzelfall gerichtlich geprüft werden. Das entschied jetzt der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Fall aus Hannover.

Die EU-Rückführungs-Richtlinie von 2008 regelt die Abschiebung von Personen, die in der EU kein Aufenthaltsrecht haben, zum Beispiel weil ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Danach dürfen Abzuschiebende nur bei Fluchtgefahr inhaftiert werden. Die Unterbringung muss in der Regel in gesonderten Einrichtungen erfolgen, nicht in Gefängnissen für Straftäter. Denn abgelehnte Asylantragsteller haben ja keine Straftat begangen. Im Bundeschnitt kommt etwa jeder vierte abgelehnte Asyl-Antragsteller in Abschiebehaft.

Lange Jahre gab es kein Problem mit der EU-Vorgabe, weil die Flüchtlingszahlen sanken. Als aber im Jahr 2015 rund eine Million Menschen in Deutschland Asyl beantragten, nahm auch die Zahl der Abschiebungen wieder zu. Die damals knapp 500 Abschiebehaftplätze in Deutschland genügten nicht mehr.

Im Jahr 2019 beschloss der Bundestag deshalb mit den Stimmen der Großen Koalition das Geordnete-Rückkehr-Gesetz. Es sah unter anderem vor, dass Abschiebehäftlinge drei Jahre lang auch in normalen Gefängnissen untergebracht werden können, wenn sie dort von Straftätern getrennt werden. Dies ist in Paragraph 62a Aufenthaltsgesetz geregelt.

Der Bundestag berief sich dabei auf eine Ausnahmeklausel für Überlast-Situationen in der EU-Richtlinie. Das Amtsgericht Hannover hielt dies für zweifelhaft und fragte im Fall eines ausreisepflichtigen Pakistaners den EuGH, ob Paragraph 62a gegen EU-Recht verstößt.

Pro Asyl fordert Änderung von Paragraphen 62a

Der EuGH entschied nun, dass es nicht genügt, wenn der Gesetzgeber die Überlastung der Abschiebehaftanstalten für drei Jahre pauschal feststellt. Vielmehr kann ein Gericht im Einzelfall prüfen, ob wirklich keine Plätze in Abschiebehaftanstalten zur Verfügung stehen. Im Fall des Pakistaners muss nun also das Amtsgericht Hannover entscheiden, wie die Lage im Jahr 2020 war.

Dabei ist aber noch umstritten, ob der Pakistaner überhaupt in einem normalen Gefängnis untergebracht war. Konkret verbrachte er die Abschiebehaft in der Justizvollzugsanstalt Langenhagen, die speziell für Abschiebehäftlinge eingerichtet wurde. Peter Fahlbusch, der Anwalt des Pakistaners, sah die EU-Anforderungen dort aber nicht gewahrt, weil die Anstalt in Langenhagen organisatorisch zum Strafgefängnis Hannover gehört und in Langenhagen eines von drei Häusern auch mit Strafgefangenen belegt war. Der EuGH sah darin aber kein Problem, solange die Bereiche wirksam getrennt seien und sich die Haftbedingungen signifikant unterschieden. Auch hierüber muss nun wieder das Amtsgericht Hannover entscheiden.

Pro Asyl forderte die Bundesregierung auf, sofort eine Änderung von Paragraf 62a einzuleiten. Die Ausnahmevorschrift läuft allerdings am 30. Juni ohnehin aus. Außerdem sind die deutschen Abschiebehaft-Einrichtungen derzeit gar nicht mehr überlastet, weil wegen der Coronapandemie die Zahl der jährlichen Abschiebungen massiv zurückging. Schoben deutsche Behörden 2019 noch mehr als 22.000 Menschen ab, waren es im ersten Covid-Jahr 2020 nur noch 10.800, also knapp die Hälfte.

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