Energielieferungen aus Russland: Wachsender Druck für Importstopp

Ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis plädiert für Verzicht auf Gas, Öl und Kohle aus Russland. Doch Robert Habeck fürchtet die Konsequenzen.

Viele Gasrohre und ein Druckmesser

Hier in Lubmin kommt das Gas aus der russischen Pipeline Nord Stream an – aber wie lange noch? Foto: Paul Langrock

BERLIN taz | Die Forderungen nach einem Importstopp für Öl, Gas und Kohle aus Russland werden lauter. Am Mittwoch veröffentlichte ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis einen offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP), in dem das Festhalten an den Energielieferungen scharf kritisiert wird. Jeden Tag zahlten die EU-Staaten dafür 500 Millionen Euro an Russland.

Es sei „unerträglich, diesen Krieg jeden Tag weiter mitzufinanzieren“, schreiben die Unterzeichner*innen, zu denen Schrift­stel­le­r*in­nen wie Saša Stanišić und Julia Franck, Wis­sen­schaf­tle­r*in­nen wie Claudia Kemfert und Stefan Rahmstorf, Schau­spie­le­r*in­nen wie Katja Riemann und Axel Prahl und Po­li­tak­ti­vis­t*in­nen wie Fridays-for-Future-Sprecherin Luisa Neubauer und Campact-Geschäftsführer Christoph Bautz gehören.

Darum fordern sie von der Bundesregierung: „Drehen Sie der russischen Führung den Geldhahn zu!“ Kombiniert werden sollte der Importstopp mit „einem Programm zur sozialen Abfederung der absehbaren Preissteigerungen“ und einer Politik, die „konsequent auf Erneuerbare Energien, Energieeffizienz und eine Verkehrswende setzt, heißt es.

Zuvor hatte bereits der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen ein Ende der Öl-, Gas- und Kohleimporte aus Russland gefordert. „Wir müssen alle wirtschaftlichen Register ziehen, um Putins System so hart wie möglich von innen zu treffen und finanziell auszutrocknen“, schrieb Röttgen im Tagesspiegel. Es sei möglich, die ausbleibenden Gaslieferungen durch Gasvorräte bis zum nächsten Winter zu ersetzen.

Leopoldina hält Gaslieferstopp für „handhabbar“

Mit gewissen Einschränkungen wird diese Einschätzung auch in mehreren wissenschaftlichen Positionspapieren geteilt. Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina schrieb am Dienstag in einer Stellungnahme, ein vollständiger Stopp der Gaslieferungen aus Russland hätte zwar „aller Voraussicht nach Versorgungseinschränkungen bei Industriebetrieben“ zur Folge, sei für Deutschland aber insgesamt „handhabbar“. Eine Studie des Brüsseler Thinktanks Buergel war zuvor zum Ergebnis gekommen, dass ein Lieferstopp aus Russland teilweise, aber nicht vollständig kompensiert werden könnte: Etwa 15 bis 20 Prozent des Jahresbedarfs würden europaweit kurzfristig fehlen. Die Internationale Energieagentur schätzt die Lücke noch etwas größer.

Betroffen von der Gasknappheit wäre vor allem die Industrie, die die Produktion entweder aufgrund der hohen Gaspreise von sich aus herunterfahren oder anderenfalls dazu verpflichtet würde. Eine Studie des Exzellenzclusters Econtribute der Universitäten Köln und Bonn kommt zum Ergebnis, dass die deutsche Wirtschaftsleistung bei einem vollständigen Stopp der russischen Gas-Importe um 0,5 bis 3 Prozent sinken würde. Das wäre weniger als der coronabedingte Wirtschaftseinbruch um 4,5 Prozent im Jahr 2020.

USA kündigen Öl-Boyott an

Doch während US-Präsident Joe Biden am Dienstag ein Ende russischer Öl-Importe in die USA ankündigte, will der deutsche Wirtschaftsminister von einem Energieboykott bisher nichts wissen. Dieser könnte „erhebliche wirtschaftliche Verwerfungen“ und „große gesellschaftliche Schäden“ zur Folge haben, warnte Habeck am Dienstagabend in der ARD. Damit liegt Habeck auf einer Linie mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie, der sich am Mittwoch ebenfalls gegen einen Stopp der russischen Energielieferungen stellte.

Die Mehrheit der Bevölkerung sieht das aber anders: Eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Handelsblatts ergab, dass 54 Prozent der Deutschen einen Importstopp für Öl und Gas aus Russland befürworten, auch wenn dadurch die Versorgungssicherheit gefährdet wäre.

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