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Berlins Bausenator Andreas Geisel„Abgerechnet wird zum Schluss“

Im taz-Gespräch erklärt der SPD-Politiker, warum ein Mietenmoratorium möglich ist und er Einfamilienhäuser ablehnt. Wichtigstes Ziel sei der Neubau.

Einfamilienhäuser seien ökologisch problematisch, meint Andreas Geisel Foto: Andreas Muhs/Ostkreuz
Uwe Rada
Bert Schulz
Interview von Uwe Rada und Bert Schulz

taz: Herr Geisel, nach fünf Jahren als Innensenator sind Sie zurück in der Bauverwaltung. Wie fühlt sich das an?

Andreas Geisel: Gut. Rückblickend war der Innensenator die Ausnahme.

Und der Bausenator die Regel. Es war also nicht Franziska Giffey, die Sie sanft gedrängt hat, das Amt zu übernehmen?

Ich gehe dahin, wo ich gebraucht werde. Der politische Schwerpunkt, den Franziska Giffey gesetzt hat, war Bauen und Wohnen. Sie hat mir den Auftrag gegeben, das zu tun. Dem Ruf bin ich gefolgt.

Annette Riedl
Im Interview: Andreas Geisel

Andreas Geisel wurde 1966 in Ostberlin geboren. Von 1995 bis 2000 war der SPD-Politiker Baustadtrat in Lichtenberg. Von Michael Müller wurde er 2014 zum Bausenator ernannt, bevor er 2016 ins Innenressort wechselte. Seit 2021 ist er wieder Berliner Bausenator

Hat sie Sie auch deshalb gefragt, weil sie weiß: Wenn einer die versprochenen 20.000 Wohnungen pro Jahr bauen kann, dann ist es der Geisel?

Sicherlich hat das etwas mit politischem Vertrauen zu tun. Aber ich bin nicht der Einzige, der an dieser Aufgabe arbeitet.

Was das ökologische Bauen angeht, müssen Sie sich mit der grünen Umweltsenatorin Bettina Jarasch verständigen.

Das stimmt. Vor sechs Jahren war Umwelt noch Teil meiner Verwaltung. Frau Jarasch und ich sehen unsere beiden Senatsverwaltungen als Schwesterverwaltungen, wir wollen also keinesfalls gegeneinander arbeiten. Würden wir das tun, hätten wir beide keinen Erfolg.

Im Januar hat das vom Senat initiierte Bündnis für Neubau und bezahlbare Mieten aus Politik, Wohnungswirtschaft und Verbänden seine Arbeit aufgenommen. Trotz des etwas holprigen Starts wollen Sie bis Juni eine Vereinbarung unterzeichnet haben. Auch das klingt optimistisch.

Wir brauchen auf der einen Seite mietpreisdämpfende Vereinbarungen. Dieser Aufgabe soll sich auch das Bündnis öffnen. Auf der anderen Seite brauchen wir den Neubau. Der muss schneller vonstattengehen, als es bisher der Fall war.

Ist da nicht der Wunsch der Vater des Gedankens? In Hamburg, das für das Bündnis als Vorbild dient, hat die Steigerung der Neubauzahlen nicht zu einer Verringerung des Mietanstiegs geführt.

Die Frage, wie man die Mieten dämpfen kann, ist nicht Bestandteil des Mietbündnisses in Hamburg. Da geht es im Wesentlichen um Neubau. In Berlin ergänzen wir das um ein weiteres Element: Hier wird es auch darum gehen, was für die Wohnungswirtschaft für welchen Zeitraum wirtschaftlich tragfähig ist. Eine Vereinbarung, die die Mieten dämpft, werden wir aber nur abschließen können, wenn Senat und Bezirke sich auch bekennen: zum Beispiel die Genehmigungsverfahren beim Neubau zu beschleunigen. Im Moment haben wir noch zu viele Hinderungsfaktoren.

Welche sind das?

Vor allem die Haltungsfrage: Der Wohnungsneubau muss in der Stadt akzeptiert werden. Für diese Akzeptanz müssen wir werben. Natürlich weiß ich, dass der Neubau direkt vor der eigenen Tür nicht beliebt ist.

Ist die Akzeptanz wirklich Ihr größtes Problem?

Ja. Wir haben uns alle Bauvorhaben in der Stadt angeschaut und festgestellt, dass zwei Drittel gut laufen. Ein Drittel der Vorhaben aber ist verzögert oder angehalten, davon die Hälfte aus objektiven Gründen, also wegen fehlender Ausgleichs- und Ersatzflächen, Artenschutz oder fehlender Verkehrsanbindung. Die andere Hälfte ist aus politischen Gründen gestoppt.

Zu alldem kommt jetzt das Problem dazu, dass die Baupreise explodieren. Bei der Neubauförderung müssen Sie nachbessern.

Wir überarbeiten gerade das Förderprogramm für den sozialen Wohnungsbau. Im Haushalt 2022 und 2023 sind pro Jahr 740 Millionen Euro dafür vorgesehen. Wenn wir wie bisher bei 500 Millionen geblieben wären, hätten wir nicht wie geplant 5.000 Sozialwohnungen im Jahr bauen können, sondern nur 3.500.

Das heißt, Sie haben wegen der steigenden Baupreise draufsatteln müssen.

Ja. Das bisherige Förderprogramm hat die Kostenstruktur aus dem Jahr 2018 abgebildet. Seitdem sind die Baukosten durch die Decke gegangen. Das führte dazu, dass im vergangenen Jahr nur 1.000 Wohnungen in die Förderung gegangen sind. Das ist ein Fünftel dessen, was wir uns vorgenommen haben.

Das zu tun hatten Sie mit Grünen und Linken schon fünf Jahre Zeit. Warum erst jetzt das Tempo?

2016 hat Klaus Lederer …

der damalige Spitzenkandidat der Linkspartei und heutige Kultursenator …

… im Wahlkampf die Frage gestellt: Wem gehört die Stadt? Statt auf Neubau hat die Linke mit ihrer Bausenatorin danach auf den Schutz des Bestands gesetzt. Der Mietendeckel wurde allerdings vom Verfassungsgericht kassiert – wobei auch ich dessen Ziele nach wie vor für richtig halte. Aber nun stehen wir vor der Frage, ob wir der Entwicklung tatenlos zuschauen wollen oder ob wir unser Ziel umsetzen.

Franziska Giffey hat die 20.000 Wohnungen im Jahr zur Chefinnensache im Wahlkampf gemacht. Wenn Sie dieses Ziel nicht erreichen, werden alle mit dem Finger auf Sie zeigen.

Das ist das Risiko. Klar ist aber schon jetzt, dass ich für 2022 gar keine Chance habe, 20.000 Wohnungen auf den Weg zu bringen – so schnell geht Neubau bekanntlich nicht. Aber es ist unser Ziel, und wir wollen die Vorhaben beschleunigen. Abgerechnet wird zum Schluss.

Während der Pandemie hat ein Drittel der Berlinerinnen und Berliner angegeben, sich vorstellen zu können, aufs Land zu ziehen. In Ihrem Hause wird gerade die Bevölkerungsprognose überarbeitet. Was, wenn Berlin gar nicht mehr so stark wachsen wird wie bisher?

Das Ziel, je 20.000 Wohnungen pro Jahr bis 2030 zu bauen, hat nichts mit dem Bevölkerungswachstum zu tun. Das ist der Nachholbedarf, den wir haben. Wie es danach weitergeht, ist offen. Da spielt nicht nur die Pandemie eine Rolle, sondern auch die Frage, wie stark die Einwohnerzahl wegen der Flucht aus der Ukraine steigt. Aber das ist bisher reine Spekulation.

Wo und wie soll denn gebaut werden?

Wir müssen auf jeden Fall mehr und dichter bauen als es bisher geplant ist. Sonst wird der Flächenverbrauch viel zu groß. Das wäre nicht ökologisch.

Heißt das, in der Elisabeth-Aue in Pankow werden nicht mehr 3.000, sondern 5.000 Wohnungen gebaut?

Das untersuchen wir gerade, weil es in Pankow noch einen besonderen Infrastrukturbedarf gibt. Aber wir wissen auch, dass wir die Neubauziele nicht nur über Aufstockungen im Bestand erreichen werden.

Wollen Sie bei den bestehenden Planungen für Neubaugebiete nachsteuern?

Das prüfen wir. Dort, wo wir einen Bebauungsplan ändern müssten, macht das keinen Sinn, etwa beim Schumacherquartier auf dem Gelände des ehemaligen Flughafen Tegel. Das würde uns nur viel Zeit kosten.

Was den Flächenverbrauch angeht, hört sich das an, als würden Sie ankündigen, keine Baugenehmigung mehr für Einfamilienhäuser zu erteilen.

So apodiktisch würde ich das nicht formulieren, weil es sicher an der ein oder anderen Stelle eine Ausnahme geben wird. Aber grundsätzlich können wir es uns aus ökologischen Gründen nicht mehr leisten, Einfamilienhäuser auf die grüne Wiese zu stellen.

Sie haben vor der ersten Sitzung des Neubaubündnisses vehement für ein Mietenmoratorium geworben.

Ich habe dafür geworben, dass auch die privaten Vermieter Akzeptanz in der Stadt brauchen.

Erzwingen können Sie das nicht, nachdem der Mietendeckel vom Verfassungsgericht gekippt wurde.

Neben der Akzeptanz, die die Vermieter schaffen müssen, muss Berlin im Gegenzug darstellen, wie wir schneller zu Planungsrecht und Baugenehmigungen kommen.

Das heißt, Sie beschleunigen die Prozesse, dafür sagen die Privaten, dann sind wir im Bestand zu den Mieterinnen und Mieter etwas netter?

Ja. Jedes Jahr, das Investoren nicht zusätzlich auf ihre Baugenehmigung warten müssen, senkt für sie die Kosten.

Haben die Privaten, die ja auch beim Neubaubündnis dabei sind, schon erklärt, dass sie das unterschreiben werden?

Bei den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften sorgen wir selber dafür, denn die gehören uns. Die Genossenschaften sind schon seit über 100 Jahren ein stabilisierender Faktor bei den Mieten. Und die großen Unternehmen wie Vonovia haben das Moratorium, die Mieten maximal um ein Prozent im Jahr zu steigern, in den vergangenen drei Jahren bereits umgesetzt. Auch die haben verstanden, dass sie Akzeptanz brauchen. Deswegen bin ich ganz optimistisch. Schwierig ist allerdings, die vielen kleinen Vermieterinnen und Vermieter zu erreichen.

Am Wahltag hat eine deutliche Mehrheit beim Volksentscheid für die Enteignung großer Wohnungsunternehmen gestimmt – sehr zum Missfallen von Franziska Giffey. Hoffen Sie darauf, dem Enteigungsvotum den Wind aus dem Segeln zu nehmen, wenn das Mietenmoratorium für möglichst viele Wohnungen gilt?

Es ist schwer zu sagen, ob eine Enteignung nach Artikel 15 des Grundgesetzes überhaupt verfassungskonform zu machen ist. Und egal, was die vom Senat einzusetzende Expertenkommission sagen wird: Diese Frage wird uns am Ende erneut vors Bundesverfassungsgericht führen. Dort wird sicher mehrere Jahre verhandelt – etwa darüber, ob die Politik auch alle anderen wohnungspolitischen Möglichkeiten ausgeschöpft hat. Diese Jahre haben wir nicht.

Aber Sie hätten ein Druckmittel gegen die privaten Vermieter, wie es zum Beispiel Bettina Jarasch vorschwebt.

Auch da ist schwer vorherzusagen, wie das wirkt.

Wie weit sind Sie bei der Einberufung der Expertenkommission?

Im Moment sprechen wir in der Koalition darüber, wie die Struktur der Expertenkommission aussieht. Wir wollen sie bis Ende März berufen. Dann hat sie Zeit, bis Ende des Jahres zu arbeiten.

Und wie verlaufen Ihre Gespräche mit der Enteignungsinitiative?

Die Gespräche hat es im Vorfeld der Abstimmung ausführlich gegeben. Das hat dazu geführt, dass die Initiative nicht wollte, dass ein Enteignungsgesetz vorab vom Verfassungsgericht geprüft wird. Sie hat sich dafür entschieden, dass abgestimmt wird. Letzte Woche haben meine Staatssekretäre Ülker Radziwill und Christian Gaebler mit der Initiative über das Verfahren für die Kommission gesprochen.

Ist die Initiative ein wichtiger Bestandteil der Kommission?

Sie wird an der Kommission beteiligt.

Die Initiative fordert mehr als die Hälfte der Sitze.

Es geht in der Kommission nicht um Kampfabstimmungen, sondern um die fachliche Klärung, ob Enteignungen verfassungskonform sind. Eine abermalige krachende Niederlage vor dem Verfassungsgericht können wir uns nicht leisten.

Gerade im Zusammenhang mit dem Volksentscheid gibt es immer wieder Kritik vor allem aus der Linkspartei. Wie gehen Sie damit um?

Gelassen. Ihre Konflikte muss die Linke selber klären. Aber wir stimmen die Struktur der Expertenkommission mit der Linken ab.

Es gibt auch eine Reihe anderer Vorhaben, bei denen Konflikte bestehen, zum Beispiel der Ausbau von Karstadt am Hermannplatz. Da wollen Sie den vorhabenbezogenen Bebauungsplan bis Ende März aufstellen, also im Rahmen des 100-Tage-Programms des Senats. Das bedeutet, dass die Bürgerbeteiligung dabei auf der Strecke bleibt.

Nein. Wir kommen jetzt in die Phase der verbindlichen Bürgerbeteiligung. Was es bisher gab, war eine unverbindliche Beteiligung, bei der jeder was sagen konnte, ohne das daraus etwas rechtlich Verbindliches entstand. Davon müssen wir wegkommen.

Wird Karstadt die nächste Mall sein, die Berlin bekommt, aber nicht braucht?

Ich hoffe doch nicht. Neben der herausragenden Architektur muss es darum gehen, dass die Erdgeschossbereiche zum Platz hin geöffnet werden.

Was ist für Sie herausragende Architektur? Als Sie das erste Mal Stadtentwicklungssenator wurden, haben Sie Regula Lüscher als Senatsbaudirektorin übernommen. Nun haben Sie sich für Petra Kahlfeldt entschieden. Ist sie dafür da, Berlin schöner zu machen?

Auch.

Wie soll das aussehen?

Wenn wir sagen, dass wir in großer AnzahlWohnungen bauen wollen und das nur hinbekommen, wenn wir auf serielle Fertigung setzen, dann müssen wir darauf achten, dass das nicht die neuen sozialen Brennpunkte der nächsten Jahre werden. Deshalb dürfen wir da keine qualitativen Abstriche machen. Schauen Sie sich zum Beispiel die Hufeisensiedlung von Bruno Taut aus den 1920er-Jahren an: Das ist auch qualitativ anspruchsvolle Architektur. Frau Kahlfeldt hat die Aufgabe, sich nicht nur mit Bauvorhaben wie dem Molkenmarkt auseinanderzusetzen, sondern sich auch um Bauvorhaben außerhalb des S-Bahn-Rings zu kümmern.

Heißt das, dass mit Ihnen als Bausenator nun doch endlich die Internationale Bauausstellung (IBA) Außenstadt kommt?

Ob das eine IBA wird, können wir noch nicht sagen. Aber wir wollen die Fragen der steigenden Baupreise, der wachsenden Anforderungen an energetische Ertüchtigung, welche Wohnungen in welcher Größe wir bauen, als Herausforderung diskutieren. Das spricht sehr für eine Bauausstellung. In der Koalition haben wir gesagt, wir wollen eine solche Ausstellung zusammen mit Brandenburg initiieren.

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3 Kommentare

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  • Diese versprochenen 20.000 Wohnungen pro Jahr sollen übrigens nicht vom Land Berlin und seinen Wohnungsbaugesellschaften gebaut werden, sondern von allen zur Verfügung stehenden Immobilienunternehmen und Bauträgern, also auch den Privaten.



    Im KoalitionsV wurde vereinbart, dass "die Wohnungsbaugesellschaften ... in den nächsten fünf Jahren 35.000 Wohnungen neu bauen." sollen. Das ist eine Steigerung von 5.000 Wohnungen aus dem KoalitionsV aus 2016. Macht also 7.000 landeseigene Wohnungen im Jahr.



    Leider habe ich das so deutlich noch in keiner Zeitung gefunden, was ich sehr ärgerlich finde.

    • @AusBerlin:

      ist es denn schlecht, wenn nicht nur der Staat baut?

      Dass in der Periode bis 2021 jedes Jahr die Neubauziele nicht erfüllt worden sind, ist in der Tat traurig für RRG.

      • @eicke81:

        Es ist schlecht, dass das von Politik und Medien nicht so dargestellt wird. Im Gegenteil, es wird der Eindruck erweckt, das land würde 20.000 Wohnungen pro Jahr bauen.



        Darum ging es übrigens in meinem Kommentar.