Solidarität mit der Ukraine: Kurz mal schweigen und zuhören

Viele Menschen fragen sich gerade, was sie als wenig Informierte beim Ukraine-Krieg tun können. Zum Beispiel: die eigenen Belange ruhen lassen.

Eine Person hält ein Smartphone an ihr Ohr

Eine Ukrainerin hört in einer rumänischen Unterkunft für Geflüchtete eine Rede Selenskyjs Foto: Bernadett Szabo/Reuters

Viele Menschen fragen sich in diesen turbulenten Tagen und Nächten, was sie tun können, um dem Angriffskrieg von Wladimir Putin etwas entgegenzusetzen. Vor allem für jene, die weder eine inhaltliche noch eine persönliche Beziehung zu Russland oder der Ukraine pflegen, ist diese Frage kompliziert: Man spricht die Sprachen nicht, kennt keine Betroffene persönlich, muss sich über grundsätzliche Fakten mühsam informieren, sich wie in der Schule Basiswissen erarbeiten.

Ich kenne diesen Blick von der anderen Seite zu gut, wenn es zum Beispiel über die Revolutionen und Konflikte in Nordafrika und im Nahen Osten geht und die meisten Eu­ro­päe­r*in­nen verwundert oder desinteressiert aus der Wäsche gucken. Nun ist es so, dass ich mich in der Ukraine nicht auskenne, dennoch schnell nachvollziehen konnte, warum die Aggression des Kreml-Regimes zu verurteilen ist. Ich habe den Eindruck, dass nicht nur ich mich frage: Was kann ich unter diesen Umständen zur Diskussion beitragen?

Die Palette der drängenden Themen unserer Zeit aus den verschiedensten Perspektiven ist lang: #MeToo, die Gewalt in Kurdistan, der Kampf gegen den deutschen Rechtsextremismus, die Klimakrise, Queer- und Transfeindlichkeit, der andauernde Israel-Palästina-Konflikt, Antirassismus und Polizeikritik, der Krieg in Syrien oder im Jemen, Hartz IV, die chinesische Staatsgewalt in der Provinz Xinjiang, das Sterben auf dem Mittelmeer … Genau: diese Liste ist schmerzvoll und endlos. Sie überfordert einige Menschen. Es ist okay, dies zuzugeben. Viele entscheiden sich – absolut nachvollziehbar – beruflich, aktivistisch oder einfach aus privatem Interesse oder einer Betroffenenperspektive, sich auf eines dieser Themen zu fokussieren.

Die eigene Sache mal pausieren lassen

Hier nun mein diskursiver Vorschlag: Es ist in einigen historischen Momenten angebracht, die eigene Sache, die eigene Expertise zu einem bestimmten Thema pausieren zu lassen und somit den Raum für etwas Drängendes freizumachen: in diesen Tagen eben für den Krieg in der Ukraine, die gefährdeten Menschen in Lwiw, Kyjiw oder Charkiw, die pazifistischen De­mons­tran­t*in­nen in Sankt Petersburg, Moskau oder Nowosibirsk, ALLE Flüchtenden an den östlichen Außengrenzen der Europäischen Union.

Zurückhaltung bedeutet nicht, dass keine Kritik geäußert werden kann: Über das Märchen, dass die Bundeswehr in den vergangenen Jahren „kaputt gespart“ wurde bei einer der höchsten Militärausgaben weltweit, müssen wir als Gesellschaft zum Beispiel sprechen. Aber in dieser Woche zumindest kann ich sagen: It’s not the time, nor the place für viele andere Themen, obwohl sie legitim sind und wir darüber streiten müssen. Auszuhalten, dass es nicht andauernd um die eigenen Belange geht: Solidarität kann aber auch darin bestehen, im Zweifelsfall kurz (!) mal zu schweigen, sich zurückzunehmen, zuzuhören.

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Mohamed Amjahid ist freier Journalist und Buchautor. Bei Twitter schreibt er unter dem Handle @mamjahid, bei Instagram @m_amjahid. Seine Bücher "Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken" und "Let's Talk About Sex, Habibi" sind bei Piper erschienen.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

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