Joe Bidens Jahresansprache: Eine Rede zum Vergessen

Die Ansprache an die Nation von US-Präsident Biden war selten uninspirierend. Weder zum Ukraine-Krieg noch auf die Probleme Zuhause hat er Antworten.

Joe Biden hält vor der Amerikanischen Fahne eine Rede

Joe Biden während der Rede zur Lage der Nation am 1. März Foto: Saul Loeb/Reuters

Selten hat ein US-Präsident die einzigartige Möglichkeit einer ganzen Stunde TV-Zeit zur Prime­time so sehr gebraucht wie Joe Biden bei seiner Rede zur Lage der Nation am Dienstagabend. Bidens Umfragewerte sind im freien Fall – gelingt keine Wende, dürften die De­mo­kra­t*in­nen im November die Macht in beiden Kammern des Kongresses verlieren. Selten aber auch fällt das lange geplante Datum der jährlichen Rede auf Tag sechs eines russischen Krieges, der tektonische Verschiebungen der internationalen Sicherheitspolitik mit sich bringt.

Die Zeiten, als US-Präsidenten von Konflikten, Krisen und Kriegen politisch profitieren konnten, sind offenbar seit George W. Bush wirklich vorbei. Nur einmal erhob sich der gesamte Kongress zu Standing Ovations – aber die galten nicht Joe Biden, sondern der anwesenden ukrainischen Botschafterin.

Biden hatte zum Ukrainekrieg nichts zu sagen, was nicht bereits bekannt gewesen wäre – Weltschlagzeilen waren so nicht zu machen. Und das naheliegende Metathema, der Kampf zwischen Autoritarismus und Demokratie, ist innenpolitisch so vermint, dass sich Biden scheute, es zur zentralen Botschaft seiner Rede zu machen.

Die US-Debatte in den vergangenen Wochen hat zwei Dinge gezeigt: Weit von einer leidlich kohärenten überparteilichen Linie entfernt, ergehen sich die politischen Lager der USA in gegenseitigen Schuldzuweisungen, seit Russlands Präsident Putin die Anerkennung der „Volksrepubliken“ im Donbass erklärte. Das bleibt im Ausland nicht unbemerkt, auch in Russland nicht. Dazu kommt: Für Teile der völkisch-rechtsextremen Trump-Basis ist Putins Anti­liberalität ein klares Vorbild.

Alt-Right-Chef Richard Spencer nannte Putins Russland schon vor Jahren bewundernd die „einzige weiße Macht der Welt“. Trumps früherer Chefstratege Steve Bannon zeigte große Sympathie für Putins Leibphilosophen Alexander Dugin, und Putins Verachtung demokratischer Institutionen zugunsten eines klaren Führerprinzips spricht bis heute aus jeder Zeile jeder Trump-Rede. Aber hätte Biden genau das in der gebotenen Deutlichkeit angesprochen, wäre ihm sofort vorgeworfen worden, aus der tragischen Lage der ukrainischen Bevölkerung billig Kapital schlagen zu wollen.

So blieb es am Dienstag bei Allgemeinplätzen. Zweitens, und vielleicht auch aus genau den genannten Gründen: Die Biden-Regierung beansprucht keine Führungsrolle bei der westlichen Antwort an die Regierung Putin. Biden zieht mit, aber er prescht nicht vor, überlässt es Ursula von der Leyen, Olaf Scholz, Emmanuel Macron oder Boris Johnson, die harten Linien der Sanktionen zu verkünden. Auch das ist eine ungewohnte Rolle US-amerikanischer Regierungen.

Sie könnte Biden gut zu Gesicht stehen und sogar innenpolitisch nutzen – wenn er wenigstens in der nationalen Agenda überzeugende Ideen hätte. Aber seit zwei Se­na­to­r*in­nen seiner eigenen Partei mit dem „Build-Back-Better“-Programm Bidens Kernversprechen gekippt haben, kommt da nicht mehr viel. Die Rede wird schnell vergessen sein, und Biden ist wieder reduziert auf jene Eigenschaft, die ihn Präsident hat werden lassen: nicht Donald Trump zu sein.

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Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org

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