Besserer Sex in den Wechseljahren: Auf der Leiter nach oben
Über das Klimakterium kursieren einige Mythen, was daran liegt, dass kaum jemand offen darüber spricht. Kein Wunder, ist es doch negativ konnotiert.
Jessi“, sagte ich vor Monaten zu meiner Friseurin, „wir müssen über die Wechseljahre sprechen.“ Hier, vor aller Welt. „Nur zu“, sagte sie und hängte mir das Maskenbändchen hinter das Ohr.
Wir waren uns einig, irgendjemand musste die Bildungslücken stopfen. Gut, die klaffen überall auf, wo es um Frauenkörper geht. Ich habe auch erst vor Kurzem verstanden, wie groß meine Klitoris ist und dass das, was ich jahrzehntelang „Scheide“ nannte, jedenfalls teilweise eine Vulva ist.
Darüber zu schreiben ist unter Feminist:innen gerade schwer angesagt. Ist ja auch relativ sexy. Im taz-Redaktionssystem gab es hingegen bis vor Kurzem noch nicht einmal einen Hashtag „Wechseljahre“, dafür #Tierpräparation, #Spaghettimonster und #Männer-Bashing. Kein Witz.
Mich wundert das nicht, werden die Wechseljahre doch mit Verfall, Schwäche und Asexualität assoziiert und deshalb höchstens im Privaten thematisiert – mitsamt Weitergabe aller Fehlinformationen. Menopause etwa ist kein anderes Wort für Wechseljahre, sondern für die letzte Regelblutung. Und das Klimakterium (wenn Synonym, dann dieses) beginnt bei den meisten sehr viel früher als viele denken, nämlich in den 40ern.
„Alles eine Frage der Einstellung“
„Sie sind doch viel zu jung dafür“, sagte mir eine Hautärztin, als ich mich über Pickel beschwerte und die Wechseljahre dafür verantwortlich machte. Sie war etwa so alt wie ich, Ende 40, das Durchschnittsalter für den Beginn der Wechseljahre. Dasselbe hörte eine Freundin. Von ihrer Gynäkologin.
Vielleicht sollten sie das mal googeln, obwohl das auch nicht viel weiter hilft. Denn einerseits lauern im Internet Gruselgeschichten über Schlafstörungen und monströse Übellaunigkeit, die niemand lesen will, die (noch) nicht davon betroffen ist. Andererseits erleben Frauen diese Phase offenbar grundverschieden, sodass es kaum verallgemeinerbare Aussagen zu geben scheint. Oder es wurde zu wenig geforscht – wäre jetzt auch keine Überraschung.
Jessi zum Beispiel hatte gerade erst Abbitte dafür leisten müssen, sich Zeit ihres Frisörinnen-Daseins über Kundinnen mokiert zu haben, die über Hitzewallungen klagten. „Ich kriege das nicht“, hatte sie stets gesagt, nach dem Motto: „Alles eine Frage der Einstellung.“ Nur um dann zu erleben, wie es ist, mehrfach in der Stunde einmal alle Klamotten durchgeschwitzt zu haben.
Dabei muss ich gestehen, dass ich auch lange aus einer nie gelesenen Studie zitiert hatte, nach der Asiatinnen seltener über Wechseljahresbeschwerden klagen als Deutsche. Jüngst las ich, dass sie vermutlich dieselben Beschwerden haben – aber nicht die Erlaubnis, darüber zu klagen.
Und über all das schreibe ich erst jetzt, Monate nach der Ankündigung. Weil es mir unangenehm ist. Weil ich „damit“ nicht in Verbindung gebracht werden möchte. Weil ich doch noch viel zu jung dafür bin.
Das Verrückte: Mir geht es besser denn je. Klar, so mittenmang bin ich noch nicht, da kann, wenn ich Pech habe, noch was kommen. Aber weil über diese Phase, die immerhin die Hälfte der Menschheit erlebt, der Mantel peinlichen Schweigens gelegt wird, war ich nicht darauf vorbereitet, das sie auch positive Seiten haben kann.
Lauter Höhepunkte
Von wegen asexuell! Mehr Lust + geringere Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden = ganz großes Tennis. Und schließlich geht Klimakterium auf „Klimax“ zurück, was „Höhepunkt“, „Steigerung“ bedeutet und ursprünglich im Griechischen – so lerne ich im Internet – „eine schräg ans Haus gelehnte Leiter“ bezeichnete, „um in die oberen Räume zu gelangen“.
Dort oben kann frau sitzen und sich darüber wundern, dass sie 30 Jahre ermuntert wurde, täglich Hormone einzunehmen, damit ihre Partner kein Kondom beim Sex tragen müssen. Und dass sie jetzt gefragt wird, ob sie sich umbringen wolle, wenn sie sich in der unangenehmsten Phase der Wechseljahre Hormone verschreiben lässt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“