Corona und die Kulturbranche: Eine andere Form von Long-Covid

Viele Kulturschaffende haben sich im Lockdown neue Jobs gesucht. Das dürfte nach der Pandemie zum Problem werden. Was tun? Ein Wochenkommentar.

Das Reichstagsgebäude und darauf projizierte Sätze

Forderungen prominent projiziert: Protest der Veranstaltungsbranche am Mittwoch am Reichstag Foto: dpa

Es braucht längst keine Beweise mehr, dass die Kulturbranche mit am stärksten von den Auswirkungen der Coronapandemie betroffen ist. Private Theater kämpfen mit Einnahmeausfällen; die Ungewissheit drohender Schließungen und stetig neue Auflagen hat die Planung vieler Kon­zert­be­trei­be­r*in­nen unmöglich gemacht; soloselbstständige Kunstschaffende wurden in Hartz IV gedrängt; viele Clubs sind seit fast zwei Jahren geschlossen. Diese Liste ließe sich beliebig verlängern.

Sicher, es gab Hilfen von Bund und den Ländern, und die auch nicht zu knapp. Aber wenn wir eines gelernt haben in dieser Pandemie, dann, dass präzise Vorhersagen über die Zukunft kaum möglich sind. Die nächste Mutante wartet schon.

Die Veranstaltungsbranche versucht deswegen, den Druck auf die Politik zu erhöhen. Am Mittwoch machten mehrere Verbände mit einer Aktion am Reichstag auf die schwierige Lage ihrer Branche aufmerksam: Sie projizierten ihre Forderungen, etwa nach weiterer finanzieller Unterstützung, auf das Gebäude.

Doch angesichts der langen Ungewissheit ist es kein Wunder, dass sich gerade Menschen in von der Pandemie besonders betroffenen Bereichen neue berufliche Perspektiven suchen. Nicht nur in der Intensivpflege, wo die Belastung seit März 2020 immens ist, sondern eben auch in der Kulturbranche.

„Viele Menschen, die früher selbstständig oder freiberuflich tätig waren, haben sich umorientiert und sind in festangestellte Jobs gegangen“, hat Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) diese Woche im taz-Interview gesagt. Die Folge: „Da kommt ein Problem auf uns zu, das wir in seiner Tragweite noch gar nicht absehen können.“

Fehlen dürften vor allem Menschen, die sich um die technische Umsetzung von Kultur kümmern, etwa Bühne aufbauen und Konzerte abmischen, und Menschen in der Gastronomie, die mit ihren Zusatzeinnahmen oft dafür sorgt, dass sich Kulturveranstaltungen überhaupt rechnen. Plus all jene Künstler*innen, die gemerkt haben, dass ihre Arbeit vielleicht geschätzt wird; dass aber, wenn es hart auf hart kommt, die Solidarität des Staates und vieler Bür­ge­r*in­nen jenseits wohlmeinender Worte ausbleibt.

Da geht es ihnen nicht anders als den Pflegekräften und den einst gerühmten und längst wieder vergessenen ersten Hel­d*in­nen dieser Pandemie: den Menschen an den Kassen der Supermärkte, die uns das Klopapier zum Horten verkauften.

Wichtige Arbeit, niedrige Bezahlung

Das Grundproblem: Zwar ist deren Arbeit wichtig, oft sogar zu weiten Teilen systemrelevant, aber das drückt sich selten auch in der Bezahlung aus. Viele arbeiten am Rande der Prekarität – und das oft bewusst, weil ihnen ihre Arbeit viel bedeutet. Dennoch fehlt es ihnen an Wertschätzung, wenn, wie am Anfang der Pandemie, die Politik die Kulturschaffenden auf Hartz IV verweist, obwohl die Pause zwangsverordnet war und viele einfach zuhause weiter arbeiteten. Deshalb haben sie Initiativen ins Leben gerufen, die ein bedingungsloses Grundeinkommen für Kulturschaffende für die Dauer der Pandemie forderten oder dass die Kultur ins Grundgesetz gehört.

Lobby dringend gesucht

Die Kulturschaffenden und die Pfle­ge­r*in­nen haben keine Lobby, anders als zum Beispiel Fluggesellschaften, die mit staatlichen Milliardenhilfen unterstützt werden. Diese Lobby bräuchten sie vor allem auch jenseits des pandemischen Ausnahmezustands, um angemessene Honorare und Löhne durchsetzen zu können. Am Ende drückt sich Wertschätzung in einer kapitalistischen Gesellschaft eben vor allem durch die Bezahlung aus.

Der Kampf gegen prekäre Beschäftigung in der Kulturbranche währt schon lange. Tritt die von Kultursenator Lederer prognostizierte Notlage tatsächlich ein, könnte sie auch eine Chance sein, Forderungen nach besserer Bezahlung durchzusetzen.

Denn bisher dreht sich die Debatte in der Pandemie vor allem darum, was die Kultur angesichts hoher Inzidenzen anbieten darf; in wenigen Wochen schon könnte die Frage hingegen sein, was vor allem privat finanzierte Kultur noch machen kann angesichts des Fachkräftemangels. Die Folgen würden die Kon­su­men­t*in­nen gerade in einer Kulturmetropole wie Berlin direkt zu spüren bekommen. Darüber hinaus wäre auch der Tourismus betroffen wäre – immerhin eine der wichtigsten Einnahmequellen der Stadt.

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Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.

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