Hamburger Gastronomie in der Pandemie: Die letzte Runde

Die Pandemie macht der Gastronomie zu schaffen. Gewinne waren mit der Sperrstunde kaum möglich. Dass sie wegfällt, kommt für einige Kneipen zu spät.

Tresen in der Daniela-Bar mit Besuchenden

Bald nicht mehr möglich: Abhängen am Tresen der Daniela-Bar Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Auf dem Hamburger Schulterblatt ist am Samstag schon am Abend viel los: Junge Leute sitzen draußen, lachen, quatschen. Das hat Patricia Neumann seit Monaten nicht mehr erlebt. Wahrscheinlich weil die Sonne schien, es war ein milder Wintertag. Gerade hat die Betreiberin der Daniela-Bar alles vorbereitet, um 18 Uhr macht sie auf. Und ist erst mal allein.

„Natürlich lohnt sich das überhaupt nicht, hier um 18 Uhr zu stehen. Die wenigsten Leute gehen um sechs in die Bar, um einen Gin Tonic zu trinken“, sagt Neumann. Aber den Laden später aufzumachen, würde sich noch weniger lohnen – um 23 Uhr ist ja schon wieder Schluss. „Als würde das Virus bis 23 Uhr schlafen. Für uns ist das wirklich nicht nachzuvollziehen.“ An Abenden wie diesen machen die Betreiberinnen ein Null-Geschäft.

Früher hatte die Daniela-Bar bis 5 Uhr geöffnet. Heute graut es Neumann vor der Zeit ab 22 Uhr. „Dann geht die Druckbetankung los, das ist einfach nur anstrengend.“ Dass die Sperrstunden ab Samstag Schnee von gestern sind, so hat es der Senat am Dienstag entschieden, wird die Gastro-Kolleg*innen freuen. „Für viele hängt jetzt echt ­alles davon ab, was entschieden wird.“

Für sie selbst ist es jedoch egal. Gerade läuft in der Daniela-Bar „eine Art Abschiedstournee“, sagt die 61-jährige Neumann. Im März schließt die Bar, nach 30 Jahren. „Eigentlich hätten wir gerne noch ein paar Jahre weitergemacht. Aber Corona hat uns die Lust am Barmachen wirklich verleidet.“ Der Mietvertrag läuft aus. Ursprünglich wollten sie ihn noch mal verlängern. Doch das war zu unsicher. „Wer weiß, was noch kommt.“

Mit Hartz IV und Rücklagen

Neumann und ihre Geschäftspartnerin Florence Mends-Cole haben teils von ihren Rücklagen gelebt, im vergangenen Jahr waren sie sechs Monate lang auf Hartz IV angewiesen. Der Vermieter hatte die Kaltmiete zeitweise zur Hälfte gestundet. „Aber zahlen mussten wir sie ja trotzdem.“

Doch nicht nur das Geld ist der Grund für das Ende: Den ganzen Abend über die Maske zu tragen erschwere die Verständigung in der lauten Bar, strenge zudem deutlich mehr an. „Nach einem Abend hier habe ich keine Stimme mehr.“ Neumann zuckt mit den Schultern. In den vergangenen zwei Jahren sei einfach ihre Leidenschaft für die Gastro verloren gegangen. „Wenn es dir keinen Spaß mehr macht, dann musst du aufhören.“ Sie ist gespannt, wie es auf der Ecke dort weitergeht, tippt auf Ketten.

Patricia Neumann, Daniela-Bar

„Früher war es mein Job, gute Drinks zu machen und die Leute zu unterhalten, heute bin ich der verlängerte Arm des Ordnungsamts“

Das Telefon klingelt: Die Aushilfe ist krank. Allein ist der Abend nicht zu bewältigen – denn es geht ja nicht nur um die Bar. Gäste müssen kontrolliert und platziert werden. Florence kann einspringen. „Was denken sich die da oben?“, fragt Neumann gestikulierend. Zu Beginn der Pandemie hätten sie und andere Kol­le­g*in­nen mit dem Barkombinat Hygienekonzepte ausgearbeitet, seien damit beim Rathaus vorstellig, aber nicht gehört worden. „Diese Gleichgültigkeit hat uns schon sehr verletzt.“

Es ist 19.30 Uhr, die Tür geht auf. Neumann setzt ihre Lesebrille auf, kramt eine Stablampe hervor. „Früher war es mein Job, gute Drinks zu machen und die Leute zu unterhalten, heute bin ich der verlängerte Arm des Ordnungsamts.“ Eine Gruppe junger Leute kommt rein, Neumann kontrolliert akribisch alles, weist Plätze zu. „Joints bitte nicht hier drin.“

Früher sei das Publikum schön gemischt gewesen, erzählt sie, zwischen 18 und 75, darunter viele Stammkunden. Inzwischen entdecken immer mehr junge Leute die Bar für sich. Denen müssen die beiden dann sagen, dass bald Schluss ist. Nix mit neuer Stammkneipe.

Ab 20 Uhr ist Neumann eingespannt. Auch anderswo wird es voll: Um 21.30 Uhr müssen vor der legendären Kellerkneipe „Mutter“ in der Stresemannstraße schon Gäste draußen warten, weil es drinnen keine Sitzplätze mehr gibt. Auch das ist aktuell noch Teil der Hamburger Coronaverordnung: Stehen verboten. Mit anderen ins Gespräch zu kommen, neue Leute kennenzulernen, das ist kaum noch möglich.

Anna hat Glück, sie hat einen Platz an der Theke ergattert. Sie gehe nicht mehr so viel raus wie vor Corona, erzählt sie. „Wenn mir Leute ganz nahe kommen, dann stresst mich das, weil ich es einfach nicht mehr gewöhnt bin.“ Sie wohnt in der Schanze. Die Kneipen seien so wichtig für die Stadtteilkultur, sagt Anna. Als Ort, an dem man sich austauschen und verschiedene Meinungen haben könne.

Obwohl der Laden voll ist, könnten mit den aktuellen Umsätzen gerade mal die Fixkosten bezahlt werden, erklärt Betreiber Matze Knoop: Thekenkräfte, Getränkerechnungen, Miete, Nebenkosten. „Von uns macht das ja hier niemand, weil er reich werden will oder weil das eine kluge Lebensentscheidung ist, sondern weil wir von Herzen gerne Gastgeber sind.“

Dass nichts übrig bleibe, sei trotzdem frustrierend. „Wir leben einfach von der Hand in den Mund. Besser als nichts, wir sind sehr anspruchslos geworden.“ 30 Prozent Umsatz fehlten momentan. „Das liegt auch daran, dass die Spontaneität weggefallen und das Viertel einfach tot ist. Früher kamen Leute vor oder nach einem Konzert oder dem Fußballspiel, Bands kehrten bei uns ein.“

„Nicht schlüssig“ nennt Knoop die aktuelle Politik. Sein Wunsch: Sperrstunde aufheben und nur noch Geboosterte reinlassen. Das Recht darauf, ein Gewerbe zu betreiben, sei genauso schützenswert wie das Recht auf Eigentum. „Es kann doch nicht sein, dass die, die in der Wertschöpfungskette unten stehen, alleine die Kosten auffangen müssen.“

Apropos Kosten: Die Betreiber der „Mutter“ müssen von den Coronahilfen über 15.000 Euro 9.000 zurückzahlen. In der Panik, aufgrund behördlicher Schließung möglicherweise die Fixkosten nicht bezahlen zu können, nahmen die Gastronomen die Hilfe 2020 schnell in Anspruch. Was viele nicht wussten: Das Geld war an Vorgaben geknüpft. Die Auszahlungen sollten überprüft werden und gegebenenfalls verzinst zurückgezahlt werden.

Streit um Parkflächen

Dies hätten bei der Beantragung jedoch nur im Kleingedruckten gestanden, kritisiert Knoop. Hinterher blieben nur noch rund 4.000 Euro. „Für drei Monate, in denen wir fast komplett geschlossen und Fixkosten von 10.000 und 11.000 Euro hatten.“ Im Mai 2020 hatte die Bar außerdem über einen T-Shirt-Verkauf 3.000 Euro eingenommen, die ebenfalls als Einnahmen von der Soforthilfesumme abgezogen worden seien.

Dass Einnahmen und nicht etwa der Umsatz bei dieser Rechnung als Grundlage gelten, kritisieren viele Bars. „Die Gastro-Szene in Hamburg ist mehr als nur die allseits bekannten Ketten und Filialen der Systemgastronomie. Wir haben das Gefühl, dass unsere lebendige Kultur mit Füßen getreten wird.“

Wer noch nicht beschlossen hat dichtzumachen, muss die Verluste aus den vergangenen Jahren irgendwie ausgleichen, um wieder auf einen grünen Zweig zu kommen. Dafür hatte die Hamburger Gastro-Szene auf die weitere Sondernutzung von Parkflächen gesetzt. Doch nun will die Stadt die Nutzung wieder kassieren, zumindest im Bezirk Mitte. Die Entscheidung wird damit begründet, dass An­woh­ne­r*in­nen vor Lärmbelästigung geschützt werden müssten.

Die Gastro fühlt sich vergessen, wieder einmal: Die Fläche benötigten sie zum Überleben, nicht um sich zu bereichern, sagen die Kiezwirt*innen. 16 von ihnen haben eine Petition gestartet: „Wir wollen draußen sitzen – Appell Parkflächen.“

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