Angriffe gegen öffentliche Bedienstete: Festung Rathaus

Das niedersächsische Twist beschäftigt für sein Rathaus einen Sicherheitsdienst – und schweigt dazu. Studie: Viele Gemeinden von Gewalt betroffen.

Wachmann steht mit dem Rücken zu einem Absperrgitter

Demnächst vielleicht auch vor Ihrem Rathaus: Wachmann Foto: Jan Woitas/dpa

OSNABRÜCK taz | Das niedersächsische Twist ist ein Ort, auf den sich nur selten der Fokus der überregionalen Öffentlichkeit richtet. Letzte Woche geschah es. Der Grund: Das Rathaus des kleinen Örtchens im Emsland hat einen Sicherheitsdienst engagiert, für Einlasskontrollen. Es sei „immer häufiger zu verbalen Übergriffen durch Besuchende gekommen“, hat Bürgermeisterin Petra Lübbers (CDU) das dem NDR erklärt, wegen der Maskenpflicht, des Impfnachweises. Rund 1.000 Euro kostet die Maßnahme pro Woche.

In die Öffentlichkeit will Twist damit am liebsten nicht. „Wir sagen dazu nichts“, sagt Stefan Holt vom Büro der Bürgermeisterin. Man wolle das „nicht höher hängen“. Die Bedrohungslage? Das Ziel der Kontrollen? „Wir geben keine Auskünfte“, sagt Holt.

Dabei erleben kommunale MitarbeiterInnen, auch PolitikerInnen landesweit Übergriffe. „Das ist ein Phänomen, dass es nicht erst seit Corona gibt“, sagt Stefan Wittkop der taz, Niedersächsischer Städtetag (NST), Hannover. „Aber in den letzten Monaten tritt es verstärkt auf, und was da passiert, ist schon heftig. Die Hemmschwellen sinken.“ Kommt es extrem, endet es wie bei Rüdiger Butte (SPD), dem Landrat des niedersächsischen Landkreises Hameln-Pyrmont, der 2013 in seinem Büro erschossen wurde.

Randale und Beschimpfungen

Aber schon die alltäglichen Vorkommnisse machen Sorge. Die vom Städtetag in Auftrag gegebene Studie „Gewalterfahrungen von MitarbeiterInnen in kommunalen Verwaltungen“ aus dem Jahr 2019 fasst zusammen: In neun von zehn der befragten Kommunen randalierten KundInnen, in knapp einem Drittel davon einmal im Monat. In mehr als der Hälfte der Verwaltungen wurden die MitarbeiterInnen mindestens monatlich, in einem Drittel mindestens wöchentlich beschimpft. Zudem wurden MitarbeiterInnen von über 60 Prozent der Kommunen mindestens einmal bedroht, in gut 40 Prozent körperlich angegriffen.

Die Vorkommnisse, die Johanna Groß von der Kommunalen Hochschule für Verwaltung in Hannover aufgelistet hat, reichen vom abgerissenen Flurschild bis zum anonymen Brief. BürgerInnen werden laut, fegen Schreibtischutensilien zu Boden, drohen mit Selbstverletzung, Brandanschlägen oder Mord; sie beschimpfen die MitarbeiterInnen, werfen mit Gegenständen, schlagen und treten, sprühen mit ätzen­den Flüssigkeiten. Es gab Hassmails und sexuelle Gewalt.

Wie reagierten die Kommunen? Es gebe keinen Sicherheitsdienst, antworteten die HauptverwaltungsbeamtInnen der im niedersächsischen Städtetag vertretenen Kommunen, auf deren Befragung die Studie fußt, in den allermeisten Fällen. Sicherheitsoptimierte Büros dagegen gibt es oft, vom Notrufsystem bis zur Fluchttür.

Dazu passt, was in der Städtetagsresolution „Gewalt gegen kommunale Amts- und Mandatsträger/innen!“ von 2019 steht: „Offene Rathäuser“ stünden „symbolisch für unsere offene Demokratie sowie für gelebte Bürgerbeteiligung“. Es sei zu prüfen, ob Übergriffen mit organisatorischen und baulichen Maßnahmen entgegengewirkt werden könne. „Kommunale Demokratie lebt von der Anfassbarkeit“, sagt Alexander Handschuh, Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Aber das Anfassen hat Grenzen: Da, wo es übergriffig wird, psychisch wie physisch. Nur: Wie soll die Twister Einlass-Security das verhindern?

Kom­mu­nal­po­li­ti­ke­r:in­nen zunehmend Opfer von Gewalt

„Zum Glück sind gewalttätige Übergriffe, Hass und Beleidigungen die absolute Ausnahme“, sagt Volker Bajus zur taz, Landtagsabgeordneter der Grünen in Hannover. „Aber das macht dennoch was mit dir. Und ich merke, dass die Angst bei einigen KollegInnen auch in der Verwaltung zugenommen hat.“

Volker Bajus, Landtagsabgeordneter Bündnis 90/ Die Grünen

„Ich merke, dass die Angst bei einigen KollegInnen und auch in der Verwaltung zugenommen hat“

Gerade kommt er aus der Enquete-Kommission „Rahmenbedingungen für das ehrenamtliche Engagement verbessern“ des Landtags, die sich auch mit der Förderung der Wahrnehmung des kommunalpolitischen Mandats beschäftigt.

Insgesamt sei der Ton rauer geworden, sagt Bajus. „Insbesondere in sozialen Medien gibt es immer wieder verletzende oder gar sexistische Kommentare.“ Die Angst vor Übergriffen und Hass wirke auf neue Mitarbeitende und Ratsmitglieder abschreckend. „Das ist alarmierend“, findet er. Streit und Kritik seien für die Demokratie super wichtig. Aber es brauche mehr Respekt vor der anderen Meinung und vor demokratisch gefällten Entscheidungen. Das gelte „auch und gerade in Krisenzeiten wie der Pandemie“.

Polizei Twist kennt keine Vorfälle

Im Zwischenbericht der Ehrenamts-Kommission steht: KommunalpolitikerInnen würden „zunehmend Opfer von Beleidigungen, Anfeindungen, Bedrohungen und sogar körperlichen Attacken“. Sinnvoll scheine, ihre Privatadresse besser zu schützen. Bajus ist einer, der seine Adresse schützt. Auch er hat mitunter in Angst gelebt.

Die Twister Bürgermeisterin scheint ihren Kampf alleine führen zu wollen. Das niedersächsische Innenministerium wisse nichts über die Security von Twist, sagt sein Sprecher Pascal Kübler. Ob es im Land noch andere Rathäuser gibt, vor denen Wachschutz steht? „Eine statistische Erfassung erfolgt nicht“, sagt Kübler. Die Entscheidung sei Teil der kommunalen Selbstverwaltung.

Rudi Gaidosch sitzt im Twister Gemeinderat. Er ist Fraktionsvorsitzender der SPD. „Über den Vorgang ist mir nichts bekannt“, sagt er der taz. „Wir als Politiker waren da außen vor.“ Es gebe eben Leute, die „unerfreulich auftreten“, gegen die könne Lübbers das Hausrecht geltend machen. Mehr wisse er nicht. „Irgendwas wird da ja wohl passiert sein.“

Auch die Twister Polizei hält sich bedeckt. Besondere Vorkommnisse am Rathaus, die einen Wachdienst rechtfertigen? Da wisse er nichts, sagt der Diensthabende am Telefon zu taz. Aber er gebe die Frage weiter, an einen Kollegen, der rufe zurück. Niemand ruft zurück.

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