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Literaturmarkt und KapitalismusEin Buch ist keine Wurst

Die Leipziger Buchmesse wurde wieder abgesagt. Ist nur die Pandemie schuld oder ist sie für die Verlagskonzerne einfach nicht mehr attraktiv?

Bleibt dieses Jahr wieder geschlossen: Eingang zur Leipziger Buchmesse 2019 Foto: Christian Spicker/imago

Für den sonst so behäbigen Literaturbetrieb war die Absage der Leipziger Buchmesse schon beinahe ein Thriller. Am Montag war, selbst hinter den Kulissen, noch nicht sicher, ob eine Leipziger Buchmesse im März stattfinden könnte.

In den beiden Wochen davor hatten das Land Sachsen und die Stadt Leipzig Hoffnung vermittelt, der Messedirektor, Oliver Zille, sagte, er sei „fest entschlossen, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die es unter diesen schwierigen Rahmenbedingungen gibt“, und gab an, dass rund 75 Prozent der sonst ausstellenden Verlage ihre Beteiligung an der Messe zugesagt hätten.

Doch dann änderte sich die Lage, die mächtige Münchener Verlagsgruppe Penguin Random House, die dem Bertelsmann-Konzern aus Gütersloh gehört, sagte ihre Messebeteiligung angesichts der Pandemie ab.

Und Torsten Casimir, Chefredakteur des Börsenblatts, schrieb am Montag auf der Website des wichtigsten deutschen Branchenmagazins: „Als Sachsens Staatsregierung versprach, die Buchmesse dürfe stattfinden, wurde rasch klar, dass sie eher nicht stattfinden wird.“ Er höre von vielen großen wie kleinen Verlagen, dass sie ebenfalls eine Absage planten, raunte er, nannte allerdings lediglich wenige größere Verlagsgruppen beim Namen.

Als der Branchen-Riese Holtzbrinck stornierte, ging alles ratzfatz. War es das jetzt?

Die Kurt Wolff Stiftung, die sich für unabhängige Verlage einsetzt, wehrte sich dagegen und verkündete, dass sie zur Leipziger Messe stünde. Aber es war zu spät. Der Holtzbrinck-Konzern stornierte am Dienstag die Stände seiner Verlage, dann ging es ratzfatz, und am Mittwoch war die Buchmesse abgesagt.

Hätte Holtzbrinck dies nicht getan, schrieb Tilman Spreckelsen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, „dann müsste man sich keine Sorgen um die Leipziger Buchmesse machen und könnte die Fahrkarte nach Leipzig buchen“. Spreckelsen sah einen Widerstreit von „Klein gegen Groß“. Andere Kom­men­ta­to­r*in­nen befürchteten Ähnliches, sogar das Ende der Leipziger Buchmesse wurde vorhergesagt.

Der Geschäftsführer der Oe­tin­ger Verlagsgruppe, Thilo Schmid, wurde noch deutlicher: „Ein reines, sentimentales ‚Messe-Fahne-Hochhalten‘, das uns hohe fünf- bis sechsstellige Beträge kostet, wollen und werden wir uns nicht mehr leisten. Das Geld können wir besser investieren.“ Die Leipziger Messe sei „für unser Zielpublikum nicht länger interessant und relevant. Dafür gibt es effektivere, effizientere Möglichkeiten“.

taz am wochenende

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Aus diesen Worten spricht kein Ost-West-Vorurteil, über das auch gemutmaßt wurde, nein, es spricht daraus der Glaube, dass man es allein schaffen könne. Wer die Menge der Schulklassen gesehen hat, die gerade in Leipzig über die Messe geführt werden, den irritiert diese Aussage eines Kinder- und Jugendbuchverlegers.

Der Buchhändler und Branchenfunktionär Michael Lemling schrieb dagegen in einem Kommentar zu Casimirs Börsenblatt-Beitrag: „Zur ganzen Wahrheit gehört – und dieser Punkt fehlt fast gänzlich in der Diskussion über die Leipziger Messe – dass die Fliehkräfte in unserer Branche größer werden […]. Die großen Verlagsgruppen verlieren ihr Interesse an der Schaffung einer gemeinsamen großen Branchenöffentlichkeit.“

Tatsächlich wird der Buchmarkt immer stärker durchkapitalisiert. Bürgerliche Clubs wie der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der von seinen Mitgliedern Traditionsbewusstsein und Einhaltung ungeschriebener Regeln, ja, sogar Fairness erwartet, merken dies etwa daran, dass Großverlage und Buchhandelsketten die Buchpreisbindung hinterfragen, die zwar die Vielfalt in der Branche stärkt, aber eben nicht den schnellen Cent einbringt. In den Sonntagsreden der Branchenprominenz sieht dies noch anders aus, in den Gremien gärt es jedoch.

Wer auf große Margen achtet, dem ist die Leipziger Buchmesse, die als „Publikumsmesse“ gilt, egal. Jedoch sind von der Absage dieser Großveranstaltung alle Verlage, die sich intellektuell bemühen, gleichermaßen betroffen, unabhängig von ihrer Größe. Auch große Wissenschaftsverlage bräuchten Austausch, auch das literarische Verlagsimprint eines Konzerns sollte auf Diskussionen aus sein.

Warum der Konjunktiv? Die führenden Wissenschaftsverlage, auch sie Verlagsgruppen, setzen mehr auf Masse denn auf Qualität. Nicht wenige Wis­sen­schaft­le­r*in­nen berichten, dass manche Lek­to­r*in­nen nicht einmal mehr in das Manuskript hineinschauten. Wie schlampig einige Peer Reviews ablaufen, ist weithin bekannt, erst jüngst beschwerte sich Thomas Steinfeld in der Süddeutschen Zeitung darüber, dass einige Publikumsverlage der Vermarktung ihrer Waren deutlich mehr Zeit widmen als dem Lektorat der Texte.

Insofern ist rührend, dass die Leipziger Messe in ihrer Presseerklärung meinte, dass aufgrund der Absagen „die erwartete Qualität und inhaltliche Breite einer solchen großen Publikumsmesse nicht mehr gewährleistet ist“. Es ist ja höflich, die Dinge nicht beim Namen zu nennen.

Doch tatsächlich geht es hier kaum mehr um Rücksicht auf die Pandemie (und klar ist jede einzelne Absage verständlich und richtig). Michael Lemling wies darauf hin, dass die Verlage – große wie kleine – erwarteten, dass die Buch­händ­le­r*in­nen auch in der Pandemie ihren Job erledigen – von Lagerarbeiter*innen, Lieferant*innen, Dru­cke­r*in­nen oder Putzkräften selbstverständlich auch.

Das Hygienekonzept der ­Leipziger Messe war lange bekannt, die Pan­de­mie­­ent­wicklung kommt nicht überraschend, im Börsenverein – oder in anderen Foren – hätte debattiert werden können. Dass das nicht geschah, ist nur überraschend, wenn man die Einzelkämpfer (groß wie klein) nicht kennt. Zu befürchten ist also, dass die Leipziger Messe, dass der Austausch auf Bühnen, in Lesungen, im Kreis der Kolleg*innen, selbst denen nicht mehr wichtig ist, die eigentlich darauf angewiesen wären.

Hier geht es nicht um klein oder groß, nicht um schlechte oder gute Verlage, nicht um individuelle Entscheidungen. Es ist eine politische Frage: Was will die Buchbranche eigentlich? Wenn es nur noch um Kapitalinteressen und Zielgruppenmarketing geht, geht es nicht mehr um faire Wissenschaft, feine Literatur, die Menschen. Dann ist die „heilige Ware Buch“, wie Brecht sie nannte, nur noch ein Produkt. Wie Wurst. Wurstmessen braucht wirklich niemand.

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3 Kommentare

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  • Ich glaube nicht, dass die Buchmesse nicht mehr attraktiv für die Verlage ist. Ich habe bis letzten Sommer einige Jahre in Leipzig gewohnt und weiß, was in der Stadt zur Buchmesse-Zeit los war.

    Da ich vor ein paar Tagen die Doku "Weltmacht Amazon - Das Reich des Jeff Bezos" gesehen habe, habe ich eben nach "Amazon Oetinger Verlag" gegooglet. Und siehe da - Der Verlag vertreibt Produkte über Amazon. Vielleicht muss der Oetinger-Verlag die Preisspielchen von Amazon irgendwie abfedern... Aber das ist nur Spekulation.

    Es ist schade, dass ausgerechnet die tolle Buchmesse nun darunter leiden muss. Wenn sie wegen Profitgier nicht mehr stattfinden kann...

  • Für die Buchbranche geht es um die Wurst, und das sollte den Bücherbe-geisterten nicht Wurst sein.

    Mehr und mehr wird alles von milliardenschweren weltweiten elektronisch dominierten Konzerne bestimmt.

    Der körperliche Buchmarkt wird mehr und mehr zur Nische.

    Müll wie das "Squid Game" beherrschen mehr und mehr den Markt.

    Die Qualität und die Freude an Qualität gerät unter die Räder.

    Im 19. Jahrhundert war Leipzig die Bücherhauptstadt von Deutschland.



    Und wenn ihr Euch daneben Dresden, Gera und Halle anschaut, dann war hier kulturelle Blütezeit.

    Dort in Leipzig residierten mehr Verlage, als in Berlin.

    Leipzig sollte sich diese Tradition und diese Qualität unbedingt erhalten.

    Es sollte auch im 21. Jahrhundert ein kultureller Leuchtturm bleiben.

    Bücher, Schriftsteller und Kultur zum Anfassen. Her damit ! Her mit echter Kultur, echten Menschen und echtem Leben. Das Internet macht nicht satt. Nicht physisch, nicht geistig und nicht kulturell.

  • Sehr sehr schade. Seit 2008 war ich jedes Jahr auf der Leipziger Buchmesse (abgesehen von den Jahren in denen sie Corona-bedingt ausfiel) und ich habe mich stets darauf gefreut sie trotz des für mich langen Fahrtwegs wieder zu besuchen. Das wäre wirklich bedauerlich, wenn die Messe damit ein Ende gefunden hätte.