Deutsch-italienische Zusammenarbeit: Dreieck statt Achse

Deutschland und Italien wollen stärker zusammenarbeiten. Pläne für ein politisches Dreieck Berlin–Paris–Rom stoßen aber nicht überall auf Euphorie.

Die Kunstflugstaffeln Frankreichs und Italiens hinterlassen am Himmel Kondensstreifen in den Farben der italienischen und französischen Nationalflagge

Der Quirinal-Vertrag, der hier gefeiert wird, soll die „deutsch-französische Achse“ relativieren Foto: Alberto Pizzoli/ap

Die deutsch-französische Freundschaft ruht auf weltbekannten Symbolbildern. Viele erinnern sich an das Foto von Kohl und Mitterrand, Hand in Hand auf dem Kriegsfriedhof von Verdun. Das Signal war eindeutig: Nach Jahrzehnten Krieg setzen Deutschland und Frankreich auf Partnerschaft und enge politische Zusammenarbeit. Beamtenaustausch, Sicherheitsberatungen, bilaterale Absprachen in internationalen Gremien gehören heute zum europapolitischen Alltag der beiden Länder.

Italiens Beziehung mit Deutschland und Frankreich kann kaum auf ähnliche Symbole zurückgreifen. Von Italien aus gesehen, stammt das prägnanteste Bild des deutsch-französischen Paars aus der Schuldenkrise 2011, als Italien kurz vor einer Staatspleite stand. Damals beriefen Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy eine gemeinsame Pressekonferenz ein; auf die Frage eines Journalisten, ob die beiden noch Vertrauen in das Krisenmanagement des damaligen italienischen Premierministers Silvio Berlusconi hätten, reagierten die Regierungschefs (verständlicherweise) mit einem lächelnden Blick. Der Clip schlug europaweit Wellen und wurde auch von den italienischen Gegnern Berlusconis missbilligt: Für viele galt es als die plastische Darstellung eines Direktoriums, das die immerhin legitime Regierung eines anderen Mitgliedstaates süffisant kleinredete.

Das Lächeln von Merkel und Sarkozy traf den Nerv eines Landes mit starken politischen Minderwertigkeitsgefühlen. Die häufigen Regierungswechsel und ein dysfunktionaler Staatsapparat sind die größten Mankos eines Landes, das aus volkswirtschaftlicher Sicht eigentlich zu den stärksten Europas gehört. Dementsprechend hat in Rom die deutsch-französische „Achse“ immer den Verdacht erregt, man habe Italien aus dessen legitimem Platz im vermeintlichen Führungsstab Europas ausgeschlossen. Das jüngste Treffen zur Ukrainekrise zwischen USA, Deutschland, Großbritannien und Frankreich hat sicherlich nicht geholfen.

Vor dieser gefühlspolitischen Kulisse kündigte Kanzler Scholz im Dezember einen gemeinsamen „Aktionsplan“ an, um die Partnerschaft zwischen Deutschland und Italien zu stärken. Die politischen Umstände sind dafür äußerst günstig. Das Input der beiden Botschaften traf in Berlin auf eine Ampelregierung, die Deutschlands Europapolitik mehrheitlich umgestalten will, während in Rom gerade ein regelrechter Vertragseifer herrscht. Die sehr breite Koalition unter dem ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi hat im November den sogenannten Quirinal-Vertrag mit Frankreich geschlossen, ein langjähriges Projekt der italienischen Diplomatie, das die Beziehung zwischen den Nachbarländern stabilisieren will.

Der Quirinal-Vertrag ist auch der Versuch, die Vormacht der „deutsch-französischen Achse“ zu relativieren

Der Quirinal-Vertrag wird auch als Versuch verstanden, die Vormacht der „deutsch-französischen Achse“ zu relativieren; der gemeinsame Standpunkt von Draghi und Macron bezüglich flexibleren europäischen Schuldenregeln hat sicher auch geholfen. Konsens in Rom ist allerdings auch, es sei jetzt wichtig, das „Dreieck“ zwischen den drei Ländern zu schließen und eine äquivalente Vereinbarung mit Deutschland zu schaffen. Der Besuch von Außenministerin Baerbock im Januar zeigt, dass man sich bereits in vielem einig ist, etwa hinsichtlich der engen Wirtschaftsverflechtung (viel stärker als die mit Frankreich), ähnlichen Perspektiven auf Migration oder einem gemeinsamen Standpunkt zu Nato und europäischer Sicherheit.

Auf deutscher Seite jedoch herrscht Irritation hinsichtlich dieses „geometrischen Denkens“, und breite Freundschaftsverträge entsprechen eigentlich auch nicht dem diplomatischen Stil der Bundesrepublik. Dazu kommt, dass Migration der einzige EU-Bereich ist, in dem eine engere Zusammenarbeit mit ausgewählten Partnern bevorzugt wird. Der Idee eines in Rom und Paris bevorzugten „Kerneuropas“ enger politisch verflochtener Mitgliedstaaten hat Berlin immer eine klare Absage erteilt. Vorabsprachen mit dem Élysée, etwa zu Russland-Sanktionen, werden von deutschen Funktionären eher als eine Form von Arbeitsteilung verstanden, nicht als Vorpreschen gegenüber anderen Mitgliedstaaten.

Fakt ist auch, dass Italiens innenpolitische Instabilität jede Form politischer Koordinierung erschwert. Aktuell herrscht Unklarheit über die Folgen der Präsidentschaftswahlen, eine Regierungsumbildung gilt als möglich, und in spätestens einem Jahr werden Neuwahlen stattfinden, bei denen Rechtspopulisten siegen könnten. Schon 2018 hatte die Regierung mit Matteo Salvini als Innenminister die Verhandlungen über den Quirinal-Vertrag gestoppt und die bilateralen Beziehungen in die Krise gestürzt.

Auch deshalb will die Bundesregierung von Draghis Zeit als Premierminister profitieren, um einen minimalen Aktionsplan umzusetzen. Berlin wäre gut beraten, Ehrgeiz in diesen Plan zu stecken: Trotz häufiger Regierungswechsel ist die italienische Bürokratie stabil, Veränderungen in den Führungskadern des Staatsapparats sind selten. Ein regulärer Austausch zwischen Institutionen wäre daher wirkungsvoll.

Das Kalkül ist politisch nicht unproblematisch, vor allem in Italien, wo die öffentliche Verwaltung selbst als Machtakteur gilt. Der Mangel an mittelfristiger Planungssicherheit für Amts­in­ha­be­r:in­nen erschwert zudem, dass neue Austauschformate die notwendige Nähe zwischen gewählten Ent­schei­dungs­trä­ge­r:in­nen schaffen können.

Und doch: Eine engere Partnerschaft könnte dazu dienen, Italien die lang ersehnte politische Anerkennung durch Berlin (und Brüssel) zu schenken. Das könnte eventuell sogar eine zukünftige rechte Regierung einbinden. Internatio­nale Politik ist keine Therapie, aber Berlin wäre klug beraten, die Fragilität seiner Partner zu berücksichtigen – vor allem, wenn diese langfristig die Kohäsion des europäischen Projekts gefährdet.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Michelangelo Freyrie forscht zu deutscher Außenpolitik und europäischer Sicherheit. Er studierte an der Universität Bocconi (Mailand) und der Hertie School of Governance in Berlin. Er schreibt für die italienische Tageszeitung „Domani“ und das Nachrichtenportal Linkiesta.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.