piwik no script img

Staatspräsidentenwahl in ItalienStabil im Notstandsmodus

Kommentar von Michael Braun

Ein Votum für Stabilität, aber auch Nötigung: Sergio Mattarella bleibt Italiens Staatschef und Mario Draghi Ministerpräsident.

Rente? Niente! Sergio Mattarella muss noch sieben Jahre lang als Präsident weitermachen

D iese Lösung muss man wohl kreativ nennen. Italiens 80-jähriger Staatspräsident Sergio Mattarella darf nicht in die wohlverdiente Rente gehen, er muss sich mit seiner Wiederwahl abfinden. Und Regierungschef Mario Draghi, der so gern Staatsoberhaupt geworden wäre, muss als Ministerpräsident weitermachen.

Mit einem kräftigen „Weiter so!“ haben die 1.009 Wahlleute in Rom für Bewahrung gestimmt. Für die Bewahrung der fragilen Stabilität des Landes, die niemand so verkörpert wie das Team Mattarella-Draghi. Für die Bewahrung aber auch ihrer eigenen Abgeordneten- und Senator*innensitze, da nun die vorzeitige Auflösung des Parlaments abgewendet ist, die bei Kampfkandidaturen von rechts und links fürs Präsidentenamt ebenso im Raum gestanden hätte wie bei einem Umzug Draghis ins Präsidentenpalais und der nötigen Bildung einer neuen Regierung.

So gesehen war Mattarellas Wiederwahl eine gute Entscheidung, kauft sie doch Italien ein weiteres Jahr Stabilität. Zugleich war sie eine schlechte Entscheidung. Nicht umsonst wehrte Mattarella sich bis zuletzt gegen eine zweite Amtszeit. Diese gilt als Verstoß gegen den Geist der italienischen Verfassung. Nur einmal, 2013, kam es zu einer Wiederwahl, von Giorgio Napolitano.

Damals wie heute grenzt das Verhalten der Wahlleute und ihrer Parteien an Nötigung im Amt, erzwingen sie doch Wiederwahlen, die von den scheidenden Präsidenten nicht gewollt waren. Dahinter steckt die Unfähigkeit der Parteien, zu anderen Lösungen zu kommen: Im Parlament gibt es seit 2013 keine organischen politischen Mehrheiten mehr.

Das aber liegt an großen Teilen des italienischen Wahlvolks, die seinerseits auf Bewahrung der eigenen Schizophrenie aus sind. Gerade Wäh­le­r*in­nen der Rechten goutieren zwar Männer der Mitte wie Mattarella und Draghi – am Ende aber wählen sie regelmäßig Krawallschachteln wie Matteo Salvini oder Giorgia Meloni und sorgen so für ein Parlament, in dem Kompromisse nur im Notstandsmodus möglich sind.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • 4G
    47202 (Profil gelöscht)

    "Stabil im Notstandsmodus"

    In Süden nichts Neues!

  • "Krawallschachteln" - herrlich. Wenn's nur nicht so euphemistisch wäre.

  • Krawallschachtel



    LOL