Gruppenschau in Berlin: Die Fassbarkeit der Welt
Die Ausstellung „Scheitere an einem anderen Tag“ in der Galerie Nord schlägt einen anregenden Bogen zwischen Haltung und Ästhetik.
Millimeterpapier. Das ist nun wirklich ziemlich kleinkariert. Und damit eigentlich das Gegenteil eines freien künstlerischen Entwurfs. Aber eben nur eigentlich. Denn wie man an den 33 Zeichnungen von Barbara Hindahl in der Galerie Nord sehen kann, ist das Raster freihändig nachzuzeichnen auch eine Herausforderung.
Aus den Abweichungen, aus dem Schwanken der Linien, aus dem Wegradieren von Strichen, bis es das Papier zerfetzt, gewinnt nicht nur jedes Blatt etwas Individuelles, sondern zusammen werden sie auch zu einer Geschichte von Anstrengung, Sich-Mühe-Geben, Scheitern, Weitermachen – und damit dann doch am Ende zu einer gelungenen Geschichte.
Scheitern und Gelingen bilden ein zusammengehörendes Paar in der Ausstellung „Scheitere an einem anderen Tag“ in der Galerie Nord/Kunstverein Tiergarten. Schon von außen kann man durch die großen Fenster das Skelett eines Faltbootes von der Decke hängen sehen, das so, ohne Plane, niemanden durch das Wasser tragen kann. Doch in der Luft schwebend bietet die Skulptur von Sophia Pompéry auch ein Bild von traumhafter Balance. Tatsächlich hält sie in der Luft das Gegengewicht von zwei mit Wasser gefüllten Eimern, die wiederum eher zum Bild des Kenterns gehören, wenn eindringendes Wasser herausgeschöpft werden muss.
„Scheitere an einem anderen Tag“, Galerie Nord/Kunstverein Tiergarten, Di.–Sa. 12–19 Uhr, bis 26. Februar
Das Boot und die Gefahr des Kenterns, bei Pompéry ein scheinbar abstraktes ästhetisches Spiel, erhalten in der gemalten Bildserie „Wir/die Anderen“ von Anton Petz im selben Raum eine andere Konnotation. Bei Petz ist die Dimension des Scheiterns oder Gelingens sozial, politisch, historisch aufgeladen. Er malt Szenen, die an gegenwärtige Nachrichten erinnern, triumphierend ihre Gewehre schwenkende Männer auf einem Truck, Familien unterwegs im Sand, ein Mann, der ein Kind trägt, überfüllte Boote. Neben diese aktuellen Geschichten von Gewalt und Flucht setzt er Bilder aus der Geschichte.
Der Künstler Bruno Kuhlmann ist Kurator der Ausstellung, zusammen mit Veronika Witte, Leiterin der Galerie Nord, und dem Künstler Tom Früchtl. Kuhlmann war 2015 am Mittelmeer und erlebte die Ankunft oder vielmehr das nicht Ankommen-Dürfen der vielen Flüchtenden über das Meer als ein Scheitern der Politik und Scheitern Europas. Das war der Nukleus für das Konzept dieser Ausstellung, die den Begriff des Scheiterns in viele Richtungen auslotet.
Humor ist im Spiel
Joseph Beuys ist mit seinem Musikvideo „Sonne statt Reagan“ von 1982 vertreten, dessen Text und Musik zwar immer belächelt worden sind, das sich aber gerade durch das Nichtperfekte in die Erinnerung einschrieb. Auch sonst zeigen die Beteiligten der Ausstellung oft Humor, wie „Der erste sitzende Stuhl“ (von 1970) von Timm Ulrichs, dem die Hinterbeine weggebrochen sind – die Scharniere an den Bruchstellen aber lassen die Vorstellung einer Wiederaufrichtung und eines Weiterlaufens dieses Stuhlwesens zu.
Mit dem Arabischen Frühling, der anfangs von so viel Hoffnung auf Veränderung getragen war, die sich nicht einlöste, beschäftigt sich Monika Huber in einer dreiteiligen Videoarbeit. Sie zitiert Guernica, Picassos Bild über die Zerstörung der spanischen Stadt im Spanischen Bürgerkrieg durch die deutsche Luftwaffe, sie lässt Bilder von Demonstrationen, Straßenschlachten aufflammen, von Meeren von Halbmondfahnen, von Polizeischilden und zerstörten Häusern, die dann übermalt werden, durchlöchert, schwinden. Das Faktische verliert ständig an Substanz in dieser Videoarbeit, mythische Dimensionen legen sich darüber, alles zerrinnt ins Ungewisse.
So wie Hubers Videos zwischen Bildern realer Gewalten und einer Ästhetik der Auslöschung der Bildoberflächen pulsieren, so ist die Ausstellung selbst von einem Pendeln zwischen Kommentaren auf die Welt und der Arbeit an ihrer Fassbarkeit durchzogen. In einer dann doch anregend gelungenen Kombination.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau
Flugzeugabsturz in Kasachstan
War Russland schuld?