debatte: Eine Phantomdiskussion
Die Argumente gegen Atomenergie sind erdrückend, selbst die AKW-Betreiber wollen aussteigen. Das eigentliche Thema Energiewende wird damit belastet
Wolfram König ist Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE). Er leitete zuvor über 18 Jahre das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS). König antwortet hier auf den Debattenbeitrag „Tabuthema Atomkraft“ von taz-Redakteurin Silke Mertins vom 13. Januar.
Der Elefant steht im Raum, und keiner spricht über ihn. Die Klimakrise zeigt schonungslos die Grenzen unserer lieb gewonnenen Lebensweise auf Kosten unserer Mitwelt und künftiger Generationen auf. Das lange Zeit kollektiv geübte Verdrängen und Verschieben der Probleme funktioniert zunehmend schwer – nicht zuletzt vor dem Hintergrund unabweisbarer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Doch anstelle eines gesellschaftlichen Diskurses über eine tiefgreifende Umstellung unserer Lebensweise auf Nachhaltigkeit erleben wir eine schon manchmal verzweifelt anmutende Hoffnung auf die Erlösung durch Technik und Innovation. Dass dabei der Fortschrittsglaube der fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts in Heilsversprechen der Atomenergie neuerdings Wege bis in die Redaktionen bislang unverdächtiger Presseorgane findet, erstaunt schon.
Welche angeblich neuen Erkenntnisse sollen eine Neubewertung notwendig machen? Die Atomenergie schien zumindest in der Bundesrepublik seit dem zweiten Ausstiegsbeschluss vor 10 Jahren abgehakt zu sein. Und auf kürzlich von meinem Bundesamt angestrengte Forschungsvorhaben zur nüchternen, wissenschaftlichen Einordnung von sogenannten neuen Reaktortypen („small modular reactors“) und Wunderwerken der radioaktiven Abfallbeseitigung („Partitionierung und Transmutation“) kam aus dem politischen Raum der Kommentar, ich möge bitte keine schlafenden Hunde wecken. Und doch – spätestens durch das Vorhaben der EU-Kommission, der Atomenergie ein grünes Label umzuhängen, ist es mit der Ruhe erst einmal vorbei.
Mit dem Verblassen der Bilder von explodierenden Atomkraftwerken in Japan wiederholt sich offenbar eine Geschichtsvergessenheit über die multikausalen Gründe für den Ausstieg aus dieser Hochrisikotechnologie. Schon einmal, nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl, konnten wir erleben, wie mit der Zeit die Aufmerksamkeit für die katastrophalen Folgen einer Reaktorhavarie aus dem Blick geriet. Der Unterschied zu heute ist, dass damals die Energieversorger mit Unterstützung der Politik an dem weiteren Ausbau der Atomkraft in Ost- wie Westdeutschland festhielten. Uns als Gegner dieser Technologie ging es nicht nur um das bloße Nein, sondern um das Aufzeigen von Alternativen. So war die Katastrophe gleichzeitig der Booster für die Entwicklung erneuerbarer Energien. Und sie führte zur Etablierung einer kritischen Fachöffentlichkeit in Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Behörden.
Heute erleben wir ähnlich wie damals erneut eine Kampagne für den Segen des Atomstroms. Um es kurz zu sagen: Keines der jetzt ins Feld geführten Argumente, warum Atomstrom nachhaltig sein soll, ist neu und kann fachlich eine Abkehr vom Ausstieg legitimieren. Atomenergie ist teuer, zerstört die Umwelt und gefährdet die Menschen bei der Brennstoffgewinnung; sie ist risikoreich, erzeugt hochgefährliche Abfälle, und – was gerne vergessen wird – sie fördert die Verbreitung von technischem Know-how zum Einstieg in die atomare Bewaffnung. Nur eines ist an dieser Technik wirklich nachhaltig: Mit unseren hochradioaktiven Abfällen müssen sich unabsehbar viele Generationen beschäftigen, ohne jemals eine eigene Entscheidungsmöglichkeit für den Eintritt in diese Technologie gehabt zu haben. Generationengerechtigkeit sieht anders aus.
Die sogenannten neuen Reaktortypen oder -techniken können diese grundlegenden Probleme nicht lösen. Die Analyse der genannten Konzepte fällt vielmehr ernüchternd aus: Vielfach handelt es sich um seit Jahrzehnten bekannte Überlegungen, die sich aus wirtschaftlichen oder sicherheitstechnischen Gründen nicht durchsetzen konnten. Bei anderen handelt es sich um Konzeptstudien, die bisher nie großtechnisch erprobt wurden und somit aus sicherheitstechnischer Sicht noch gar nicht bewertbar sind. Und: Kein Konzept könnte auch nur ansatzweise rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden, um beim Kampf gegen den Klimawandel zu helfen. Von den häufig ins Feld geführten kleinen Reaktoren müssten weltweit mehrere 1.000 bis 10.000 Reaktoren neu gebaut werden, nur um auf den Anteil der Energieerzeugung zu kommen, der heute von den weltweit 400 Reaktoren produziert wird. Das entspräche dann rund 10 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs – immer noch zu wenig, um einen spürbaren Akzent bei der CO2-Reduzierung zu setzen.
Ebenso ist die Forderung einer verlängerten Laufzeit einzuordnen. Ganze drei Reaktoren können in Deutschland bis Ende dieses Jahres Energie ins Netz einspeisen und somit ihren Anteil von voraussichtlich etwas über 5 Prozent des Gesamtstrombedarfs beitragen. Sind wir wirklich gut beraten, hierfür die Axt an einen mühsam, aber von allen Parteien (mit Ausnahme der AfD) getragenen Ausstiegsbeschluss anzulegen, der einen gesellschaftlichen Großkonflikt befriedet hat? Die Realisierungschance wird dieses Mal schon von den Betreibern der Atomkraftwerke beantwortet. Alle haben einem derartigen Ansinnen eine klare Absage erteilt. Und auch keine der übrigen Anlagen verfügt mehr über eine Betriebsgenehmigung. Fakt ist: In Deutschland geht die Atomstromproduktion spätestens in 11 Monaten zu Ende. Neubauten von Atomkraftwerken sind gesetzlich ausgeschlossen. Es handelt sich also um eine Phantomdebatte, die aber durchaus das Potenzial hat, die eigentlichen Themen der Energietransformation zu belasten und die hierfür notwendige gesellschaftliche Debatte auf Nebenkriegsschauplätze zu verlagern.
Der Ausstieg aus der Atomenergie löst nicht die Klimakrise, er macht aber in Deutschland einen gemeinwohlorientierten Weg frei. Es geht darum, die Umsteuerung in die Erneuerbaren und in die Energieeinsparung konsequent zu verfolgen. Die Weichen hierzu werden jetzt gestellt. Lasst uns darüber (!) reden.
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