Kommentar von Barbara Oertel: Vage Perspektiven, reale Truppenbewegungen
Es war schon vorher klar: Wunder würde die grüne Außenministerin Annalena Baerbock bei ihrem Antrittsbesuch in Moskau wohl kaum vollbringen. Doch immerhin: Die beiden Seiten haben miteinander gesprochen. Und dass Baerbock auf fundamentale Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Ländern hinwies und in diesem Zusammenhang auch den seit einem Jahr inhaftierten Kremlkritiker Alexei Nawalny erwähnte, ließ aufhorchen. Sein Name steht pars pro toto für beispiellose Repression gegen Vertreter*innen der russischen Zivilgesellschaft.
Doch obwohl die Ergebnisse der Visite überschaubar blieben, zeichnet sich zumindest die vage Perspektive ab, das Normandie-Format, in dem Frankreich, Deutschland, Russland und die Ukraine bis 2019 über eine Umsetzung des Minsk-II-Friedensabkommens für die Ostukraine verhandelt haben, zu reanimieren. Das böte nicht nur die Chance auf eine Friedenslösung im Donbass. Es brächte auch die EU-Europäer wieder zurück an den Verhandlungstisch, die sich im derzeitigen Kräftemessen eher wie Statisten ausnehmen.
Wer jedoch Russlands Außenminister Sergei Lawrow am Dienstag aufmerksam zuhörte, muss an dieser Option zweifeln: Das Regime in Kiew sabotiere den Prozess. Als ob Moskau nicht seinen Anteil am Fortgang dieses Kriegs mit über 14.000 Toten hätte: So landen russische Waffen weiter ungehindert bei den prorussischen Kämpfern, und Beobachter*innen der OSZE haben bis heute keinen freien Zugang zu der Region.
Lawrow bedient das ewig gleiche russische Narrativ, der wahre Aggressor sitze auf der anderen Seite und müsse deshalb als Erstes liefern. Offensichtlich wähnt sich Moskau in einer Position der Stärke, die es erlaubt, Vorbedingungen zu stellen. Warum auch nicht? Der im Westen viel beschworene hohe Preis, den Russland im Fall eines Einmarsches in die Ukraine zu zahlen haben werde, lässt viel Raum für Interpretationen. Über weitere Wirtschaftssanktionen gegen Moskau gehen die Meinungen in der EU auseinander. Die Pipeline Nord Stream 2 verortet Bundeskanzler Olaf Scholz immer noch als rein privatwirtschaftliches Projekt – ergo unantastbar. Auch die Idee, Russland vom internationalen Zahlungssystem Swift auszuschließen, dürfte vom Tisch sein.
In dieser Woche erwartet Moskau eine Antwort auf seine Forderung nach Sicherheitsgarantien, die das Nato-Bündnis nicht geben wird. Gleichzeitig stehen über 100.000 russische Soldaten an der Grenze zur Ukraine, weitere Truppen wurden nach Belarus verlegt. Es gibt Stimmen, die sagen, der Einmarsch in die Ukraine sei längst beschlossene Sache. Sie könnten recht behalten.
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