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Angela Merkel vs. Sebastian KurzAus dem Drehbuch des Charismatikers

Der Zapfenstreich für die Bundeskanzlerin fand am selben Tag statt, wie der Kanzlerrücktritt in Österreich. Das sind auch die einzigen Parallelen.

Als sie beide noch Kanzlerin und Kanzler waren, Besuch von Kurz bei Merkel in Berlin 2018 Foto: Fabrizio Bensch/reuters

W enn das Jahr zu Ende geht, ist es Zeit für einen Rückblick. Und da sticht einem – um einmal nicht über die Pandemie zu sprechen – eine erstaunliche Koinzidenz ins Auge: Der „große Zapfenstreich“ für Angela Merkel fand genau an jenem Tag statt, an dem Sebastian Kurz seinen endgültigen Rücktritt verkündete.

Solch ein zeitgleicher Abgang von der politischen Bühne zweier so unterschiedlicher Politiker drängt den Betrachter zum Vergleich. Und da zeigt sich: Die parallelen Geschehnisse bieten eine erstaunliche Lektion in Sachen Charisma.

Charisma – das sind „Gnadengaben“, so der Soziologe Max Weber, etwa die Macht des Geistes oder der Rede. Sind diese Gaben außeralltäglich, gehen sie über das gewöhnliche Maß hinaus, dann werden sie zu magischen Fähigkeiten. Dann können sie eine affektive Hingabe an die Person des Herrschers bewirken.

Angela Merkel ist ein Charisma-Sonderfall. Ihr Charisma liegt nicht an außeralltäglichen Gaben. Ganz im Gegenteil. Es liegt vielmehr in ihrer Alltäglichkeit, ihrer Sachlichkeit. Eine Verzauberung durch Nüchternheit.

Verzauberung vs. Veralltäglichung

Diese stand auch nicht am Anfang ihres Aufstiegs. Merkel ist vielmehr das erstaunliche Kunststück einer langsamen, einer ansteigenden Verzauberung gelungen. Eine Verzauberung, die nach und nach sogar ihre (linken) politischen Gegner erfasst hat. Das ist das vielleicht merkwürdigste Charakteristikum dieses Merkel-Charismas. Üblicherweise wirkt das Charisma auf die Gefolgschaft.

Bei Merkel aber konnte man durchaus Gegner ihrer Politik sein – von Griechenland bis zu Rüstungsexporten – und dennoch dem Zauber ihrer uneitlen Nüchternheit erliegen. So, dass sie eben der typischen Gefahr des Charismatikers entging: der Veralltäglichung. Wie sollte sie sich auch entzaubern – lag ihr Zauber doch gerade in ihrer Alltäglichkeit. So ging sie ab in ihrer vollen Charisma-Blüte.

Sebastian Kurz ist aus Charisma-Perspektive das exakte Gegenteil. Der klassische Typus sozusagen. Bei ihm ging es von Anfang an um das Herstellen von Charisma. Das gewandte Auftreten, die geschickte Rhetorik, das knallharte Kalkül bei stets angenehmen Umgangsformen – ein ganzes Set zur Darstellung des Außeralltäglichen. (Wobei das Außeralltägliche sich bekanntlich in der Darstellung erschöpft hat.)

Eben deshalb konnte er die Gegner seiner Politik auch nie als Person überzeugen – dafür aber seine Gefolgschaft umso mehr. Kurz folgte punktgenau Max Webers „Drehbuch“ des Charismatikers: So war auch sein Stab ausgelesen nach persönlicher Hingabe, nicht nach Fachqualifikation. Es fehlte der rationale Begriff der „Kompetenz“, wie Max Weber vor über 100 Jahren schrieb.

Wenn der Glaube fällt, fällt auch die Herrschaft

Aber es ereilte ihn damit auch das klassische Schicksal des Charismatikers: Denn die Gefolgschaft folgt nur, solange diesem magische Fähigkeiten zugeschrieben werden. Solange sich dieser bewährt. Wenn der Glaube an ihn fällt, so Weber, fällt auch die Herrschaft. Mit dem Glauben erlischt auch das Charisma. An seine Stelle tritt eine Entzauberung.

Genau das trat bei Kurzens Rücktrittsrede ein. Da passte es gut, dass er meinte, das Feuer für die Politik sei in ihm erloschen (oder gedämpft). So erlischt auch das Charisma und macht einer gnadenlosen Banalität, einer rabiaten Veralltäglichung Platz.

Ein Punkt noch, der Merkel und Kurz als politische Figuren trennt, sie zu Gegensätzen macht: Merkel stammt aus einer anderen Welt als jener, in der sie agierte. Sie kam von einem anderen „Ort“, den es nicht mehr gab. Sie stammte aus einer anderen Zeit. Politiker, die eine Zeitenwende verkörpern – also wirklich verkörpern, ohne sie durch Überanpassung zu vertuschen versuchen –, solchen Politikern kam schon alleine daraus ein Charisma-Moment zu.

Denn sie halten inmitten der Realität und des Alltags immer ein geschichtliches Werden in Erinnerung. Sebastian Kurz hingegen fehlt jede historische Dimension. Das liegt nicht einfach an seiner Jugend. Das ist nicht alleine eine Frage der Geburt. Es liegt vielmehr daran, dass er zu ident mit seiner Zeit ist. Dass er diese eins zu eins dargestellt hat.

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