piwik no script img

Brüsseler Chefdiplomat auf Visite an der Front

Josep Borrell macht sich ein Bild von der Lage in der Ostukraine. Gleichzeitig will er seinen Besuch auch als ein Zeichen der Unterstützung für Kiew verstanden wissen

Von Bernhard Clasen

Josep Borrell, hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, hat am Mittwoch mit dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba den ostukrainischen Ort Staniza Lugansk an der sogenannten Kontaktlinie besucht. Es ist der erste Besuch eines EU-Außenbeauftragten in der Ostukraine seit Beginn der Kämpfe 2014, die über 13.000 Tote gefordert haben. Dies berichtet der regierungsnahe ukrainische Sender UATV. Mit seiner Reise wolle Borrell zur Entspannung beitragen und eine Verschlechterung der Situation an der ukrainisch-russischen Grenze verhindern. Auch wolle er die Reformen im Land unterstützen.

Mit dem Besuch am einzigen Übergangspunkt zur „Volksrepublik Lugansk“ am ersten Tag seiner dreitägigen Ukraine-Reise machte Borrell auch deutlich, dass die Sicherheit der Ukraine und die Verhinderung einer weiteren Eskalation zwischen der Ukraine und Russland oberste Priorität haben. „Angesichts der verstärkten militärischen Aufrüstung Russlands bin ich hier, um die Unterstützung der EU für die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine zu bekunden“, twitterte der Politiker.

Erneut steht die Ukraine dieser Tage im Fokus der internationalen Politik und Diplomatie. Am 2. Januar hatte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski mit US-Präsident Joe Biden telefoniert. Thema: die Ostukraine und die russischen Truppenkonzentrationen unweit der ukrainischen Grenze. Nachdem Russland im Dezember von der Nato „Sicherheitsgarantien“ gefordert hatte, die dem Bündnis militärische Aktivitäten in der Ukraine, in Osteuropa, im Transkaukasus und in Zentralasien untersagen würden, stehen die Telefone nicht mehr still, Diplomaten sind ständig auf Reisen.

An diesem Donnerstag trifft sich der stellvertretende Leiter der russischen Präsidialverwaltung Dmitri Kosak mit dem außen- und sicherheitspolitischen Berater des deutschen Bundeskanzlers, Jens Plötner und dem diplomatischen Berater des französischen Präsidenten Emmanuel Bonn in Moskau. Zuvor hatten sich die beiden westlichen Diplomaten mit dem Chef der ukrainischen Präsidialadministration, Andrej Jermak, beraten. Am Freitag schalten sich die Nato-Außenminister zu einer Onlinekonferenz zusammen. Dabei, so Oana Lungescu, Pressesprecherin der Nato, wird auch über „Russlands militärische Aufrüstung in & around Ukraine“ gesprochen werden.

Ein vor der Jahreswende angekündigter Waffenstillstand hält wieder nicht

Am 9. Januar wollen Diplomaten Russlands und der USA in Genf über Atomwaffen und die Lage in der Ukraine sprechen. Tags darauf nimmt der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba an der Sitzung der Ukraine-Nato-Kommission in Brüssel teil. Für den 10. bis 13. Januar sind Gespräche zwischen den USA, der Nato und Russland geplant, Thema: Russlands Vorschläge zu Sicherheitsgarantien in Europa und die Lage in der Ukraine.

Unterdessen wird deutlich, dass ein vor der Jahreswende angekündigter Waffenstillstand nicht eingehalten wird. Gleichzeitig geht aus den Berichten der OSZE hervor, dass die aktuellen Verletzungen des Waffenstillstandes um das Zehnfache unter dem Durchschnitt des Jahres 2020 liegen. Lediglich am Silvestertag wurden so viele Waffenstillstandsverletzungen gezählt wie im Jahresdurchschnitt 2020.

In der Ukraine gibt es unterschiedliche Sichtweisen zur aktuellen Bedrohungslage. So hatte der Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates, Oleksij Danilow, erklärt, dass die Ukraine keine direkte Bedrohung durch eine russische Invasion sähe. Verteidigungsminister Oleksiy Reznikov hatte indes von der „Wahrscheinlichkeit einer großangelegten Eskalation durch Russland“ gesprochen und als Zeitpunkt Ende Januar genannt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen