EuGH relativiert EU-Außenpolitik

EU-Firmen dürfen Iran-Geschäft stoppen, wenn deutlich größere Interessen in den USA bedroht sind

Die EU-Verordnung, die Iran-Sanktionen verbietet, gilt laut EuGH nicht uneingeschränkt

Von Christian Rath

Europäische Unternehmen dürfen US-Sanktionen gegen iranische Firmen umsetzen, wenn ihnen andernfalls selbst unverhältnismäßige US-Strafen drohen. Das entschied jetzt der Europäische Gerichtshof in einem Fall aus Deutschland und relativierte damit eine EU-Verordnung, die es europäischen Unternehmen verbietet, US-Sanktionen umzusetzen.

Als die USA 2018 aus dem Iran-Atomabkommen ausstiegen, lebten die US-Sanktionen gegen zahlreiche iranische Unternehmen wieder auf. Der „Iran Freedom and Counter Proliferation Act“ gilt aber nicht nur für US-amerikanische Firmen, sondern auch für alle anderen Unternehmen weltweit. Diesen drohen die USA ebenfalls mit Saktionen, wenn sie mit iranischen Firmen Geschäfte machen. Die EU hält solche Sekundärsanktionen für völkerrechtswidrig und verbietet es daher europäischen Unternehmen, US-Sanktionen umzusetzen. Die entsprechende EU-Abwehrverordnung wurde von der EU-Kommission 2018 auf die US-Iran-Sanktionen ausgeweitet.

Im konkreten Fall geht es um die Deutsche Telekom. Sie hat 2018 die Geschäftsbeziehung mit der deutschen Niederlassung der iranischen Melli Bank gekündigt. Die Telekom hatte dies zwar nicht begründet, aber es liegt nahe, dass die Telekom Angst vor US-Sanktionen hat, weil sie die Hälfte ihrer Umsätze in den USA erwirtschaftet. Die Melli Bank hatte also plötzlich keine Telefon- und Internetanschlüsse mehr und klagte deshalb vor Hamburger Gerichten auf Fortsetzung der Geschäftsbeziehung. Die Kündigung der Telekom sei unwirksam, weil sie gegen die EU-Abwehrverordnung verstoße.

Auf Vorlage des Hamburger Oberlandesgerichts (OLG) legte nun der EuGH die EU-Abwehrverordnung zum ersten Mal grundlegend aus und versuchte dabei einen Kompromiss zu finden zwischen den Interessen der europäischen Unternehmen, die ihr US-Geschäft gefährdet sehen, und der EU-Außenpolitik, die den Iran weiter in die Weltwirtschaft einbinden will, um dort pragmatische Kräfte zu stärken.

Zunächst entschied der EuGH, dass die Melli Bank sich auf die EU-Abwehrverordnung berufen kann, auch wenn es keine ausdrückliche US-Anweisung an die Telekom gab, die Verträge mit der Bank zu kündigen. Es genüge, dass das US-Gesetz allgemein mit Sanktionen droht. Das hatte zum Beispiel das OLG Köln bisher anders gesehen. Damit wird die EU-Verordnung gestärkt. Außerdem, so der EuGH, muss die Melli Bank vor Gericht nicht beweisen, dass die Telekom mit der Kündigung US-Sanktionen umsetzt. Vielmehr müsste die Telekom beweisen, dass sie andere Gründe für die Kündigung hatte. Auch das stärkt die EU-Verordnung.

Doch letztlich nützt das Urteil vor allem der Telekom und anderen Unternehmen. Denn der EuGH erlaubt, dass sie die EU-Abwehrverordnung ignorieren, falls anderenfalls bei ihren US-Geschäften ernsthaft ein unverhältnismäßiger Schaden droht. Ob das der Fall ist, muss im Fall der Telekom nun wieder das OLG Hamburg feststellen. Angesichts von jährlich rund 50 Milliarden Euro US-Umsatz der Telekom und einer wenig konzilianten US-Außenpolitik dürfte die Antwort aber auf der Hand liegen. (Az.: C-124/20)