„Zwang gibt es immer im Kolonialismus“

Woher kommen die Speere, Schilde und Schädel der ethnologischen Sammlung? Das Oldenburger Museum „Mensch und Natur“ betreibt seit drei Jahren Provenienzforschung

Foto: Eric Hillmer

Ursula Warnke 59, ist Archäologin und leitet seit 2018 das Museum „Mensch und Natur“ in Oldenburg.

Interview Lisa Bullderdiek

taz: Frau Warnke, wie sind die Gegenstände in die Sammlung nach Oldenburg gelangt?

Ursula Warnke: Durch Sammler*innen, meist Männer, die die Objekte mitgebracht haben. Es ist immer wichtig, an seiner Sammlung zu arbeiten und sich dadurch auch kritisch mit Museumsarbeit auseinanderzusetzen.

Ist das Raubgut?

Die Objekte kommen überwiegend aus Gewaltkontexten. Es gab zum Beispiel immer wieder brutale Auseinandersetzungen in Deutsch-Ostafrika. Die Sammlung Langheld ist dafür ein gutes Beispiel. Wilhelm Langheld und sein Bruder haben viele Objekte nach Oldenburg gebracht. In seinen Memoiren schreibt er, dass es Auseinandersetzungen gab. Zum Beispiel, dass die Massai ihre Schilde und Speere auf der Flucht vor deutschen Kugeln von sich geworfen haben. Solche Speere und Schilde sind auch bei uns. Selbst wenn die Sachen verkauft wurden, ist die Frage, wie freiwillig das war. Zwang gibt es immer im Kolonialismus.

Seit wann betreibt das Museum „Mensch und Natur“ Provenienzforschung im kolonialen Kontext?

Seit ich hier bin, also seit 2018. Das beruht auf einem Antrag meines Vorgängers. Der Auslöser war, dass wir eine große, unerforschte ethnologische Sammlung von etwa 7.500 Objekten hatten. Seitdem sind wir in dem Projekt „Provenienzforschung in außereuropäischen Sammlungen und der Ethnologie in Niedersachsen“ (PAESE). Wir haben mit den Mitteln drei Jahre unsere Afrika-Sammlung durchforscht. Zusätzlich haben wir zwei Jahre – über das Zentrum für Kulturgutverluste gefördert – unsere Schädelsammlung untersucht. Hier stehen wir mit der australischen Botschaft im Kontakt: wegen der Rückgabe von drei Schädeln.

Ist Restitution Ihr Ziel?

Bisher wurde noch nichts restituiert. Wir stehen auch im Austausch mit Wis­sen­schaft­le­r*in­nen aus Herkunftsgesellschaften und hatten Gast­wis­sen­schaft­le­r*in­nen hier, zum Beispiel aus Tansania. Unser Ziel ist es erst einmal, zu zeigen, was wir haben. Aber die Länder können natürlich Restitutionsforderungen stellen. Wir werden dann auch über das jeweilige Land restituieren.

Warum gibt es jetzt die Datenbank Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten?

Vorher gab es andere Datenbanken. Die neue Datenbank existiert seit dem 30. November extra für koloniales Gut in Deutschland. Derzeit sind in dieser Datenbank schon 6.644 Objekte gelistet. Bisher gab es für unsere Objekte noch keine Rückmeldungen, aber wir haben von der Kulturstiftung erfahren, dass dort Menschen weltweit reinschauen. Das Portal ist deutsch- und englischsprachig. Die Objekte sind dort umfangreich beschrieben: mit ihrer Größe, Beschaffenheit und Herkunft.

Ist die Forschung bei Ihnen im Haus projektgebunden oder läuft sie neben dem Regelbetrieb?

Das ist leider projektgebunden. Wir haben keine Person am Haus, die sich damit regelmäßig befasst.

Ist das ein Problem?

Wir haben drei Hauptsparten und für jede brauchen wir eigentlich zwei Wissenschaftler*innen, haben aber mit mir und meiner Stellvertreterin nur zwei. Da sehen Sie die Lücken. Den Rest decken wir über Drittmittel ab. Und das ist schon ein Problem. Wir sollten als Nation transparent machen, was wir geraubt haben. Viele Museen wussten früher selbst nicht, was sie alles haben. Dafür sind dieses Portal und mehr Aufmerksamkeit für das Thema sehr hilfreich.

Die Datenbank „Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ ist am 30. November gestartet und hilft deutschen Museen, koloniales Raubgut zurückzugeben