Koalitionsvertrag der Ampel: Zwei Klatschen für Berlin

Bei Verkehr und Mieten bleiben die Ziele der künftigen Bundesregierung deutlich hinter den Erwartungen zurück. Das wird Folgen haben für Rot-Grün-Rot.

Menschen auf einer Demonstration

Für Verkehr steht die Ampel auf Rot: Protest in Berlin während der Koalitionsverhandlungen Foto: dpa

Der Koalitionsvertrag der Ampel setzt bei vielen, vor allem gesellschaftspolitischen Themen wichtige Akzente. Offenbar wollen SPD, Grüne und FDP so manches längst überholte Gesetz endlich der Realität anpassen, etwa wenn es um Frauenrechte geht. In zwei zentralen Politikbereichen aber sind die am Mittwochnachmittag vorgestellten Vereinbarungen nichts anderes als eine Offenbarung, dass auch die Ampel auf ein neoliberales „Weiter-So“ setzt – und zwar dort, wo das schon längst nicht mehr möglich ist: bei Mieten und Verkehr.

Das hat auch Folgen für die künftige Koalition aus SPD, Grünen und Linken in Berlin – wenn sie denn überhaupt zustande kommt. An diesem Donnerstag und Freitag wollen die Chef­ver­hand­le­r*in­nen die letzten strittigen Fragen klären, es geht vor allem ums Geld. Doch der Koalitionsvertrag der Ampel wirft nun auch noch mal die Frage auf: Was soll, was kann Berlin denn überhaupt noch in den Bereichen Mieten und Verkehr tun, wenn die ersehnte Hilfe aus dem Bund ausbleibt?

Als das Bundesverfassungsgericht im April den Berliner Mietendeckel kassierte mit der Begründung, die Länder hätten in diesem Bereich keine Gesetzgebungskompetenz, da appellierten SPD und Grüne an ihre Bundesparteien, eine Öffnungsklausel zu schaffen. Sie sollten Ländern mit stark angespannten Wohnungsmarkt solche Deckel ermöglichen.

SPD und Grüne regieren im Bund künftig wohl mit – doch die Öffnungsklausel steht nicht im Koalitionsvertrag. Dabei sind dramatisch steigende Mieten längst ein bundesweites Problem. Ein Deckel wäre die einfachste und schnellste Lösung, um bei der angeblich so wichtigen „sozialen Frage des 21. Jahrhunderts“, dem Wohnen, zumindest vorübergehend für etwas Entspannung zu sorgen.

FDP hat sich durchgesetzt

Vor wenigen Wochen hat das Bundesverwaltungsgericht das Vorkaufsrecht der Kommunen in Milieuschutzgebieten kassiert. Doch die unmittelbar folgenden Appelle aus Berlin und anderswo an die Ver­hand­le­r*in­nen der Ampel, das Gesetz entsprechend anzupassen und Vorkauf wieder zu ermöglichen, verhallten weitgehend ungehört. Lediglich ein „Prüftauftrag“ hat es in das Koalitionspapier geschafft. In Sachen Mieten und Wohnen hat sich die FDP auf breiter Linie durchgesetzt. Die Immobilienkonzerne feiern.

Auch der bundespolitische Aufbruch im Bereich Verkehr bleibt aus. Das Kapitel dazu ist – positiv formuliert – überschaubar geblieben; mehr Geld etwa für Verkehrspolitik, die nicht nur auf die Autofahrerlobby ausgerichtet ist, wird es nicht geben. Die Tatsache, dass die FDP das entsprechende Ministerium bekommt, legt nahe, dass Deutschland das Autoland bleibt, das es immer war, auch mitten in der Klimakrise. So wird man den drohenden Verkehrskollaps in vielen Städten nicht verhindern und die Metropolen nicht lebenswerter machen.

Das absehbare Versagen der Ampel in den beiden genannten Politikfeldern ist zugleich eine Klatsche für die Berliner Grünen, aber auch für die SPD. Anders als im Bund streben die Grünen in Berlin weiter das Verkehrsressort an und wollen gestalten. Ohne Unterstützung aus dem Bund dürfte das aber noch schwerer werden.

Für Grüne und SPD wird es insgesamt schwieriger, die eigene Wohnungspolitik und die der Ampel zu vermitteln. Selbst wenn das im Bund postulierte „Bauen, Bauen, Bauen“-Motto weitgehend deckungsgleich mit dem der hiesigen SPD ist: Eine schnelle Entspannung gerade für ärmere Mieter ist dadurch nicht zu erwarten. Schnelle Antworten auf die fortschreitende Verdrängung aber sind dringend gefordert.

Für die Linke wiederum, die fast aus dem Bundestag geflogen wäre, stellt sich nach diesem Mittwoch die Frage noch einmal deutlicher, ob sie dem mühsam ausgehandelten Kompromiss zum Umgang mit dem Enteignen-Volksentscheid zustimmen soll. Schließlich scheint die rasche Umsetzung des Entscheids – zumindest in dem Sinne, dass schnell ein Gesetz ausgearbeitet und damit ein Drohszenario gegenüber der Immobilienlobby aufgebaut wird – die einzige politische Option des Landes zu sein. Die Initiative, die den Entscheid auf den Weg gebracht hat, hat die Vereinbarung in Berlin indes als „Verschleppung“ kritisiert.

Der Ampelvertrag hat neue Fragen aufgeworfen für Rot-Grün-Rot in Berlin. Mal sehen, ob die Ver­hand­le­r*in­nen zum Abschluss der Gespräche an diesem Wochenende darauf Antworten finden.

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Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.

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