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Lakritze und Schweinepest

Wie ticken die Menschen diesseits und jenseits der deutsch-dänischen Grenze? Eine Handreichung aus aktuellem Anlass

Von Esther Geißlinger

Mit Stefan Seidler sitzt erstmals seit den 1950er Jahren ein Mitglied der dänischen Minderheit im Bundestag – und Jørgen Popp Petersen, Angehöriger der deutschen Minderheit in Dänemark, wird künftig als Bürgermeister die 37.000-Einwohner*innen-Stadt Tondern führen. Was hat es mit den Minderheiten hüben und drüben auf sich, was macht das Leben im Grenzland aus? Ein Einblick von A bis Z.

Aabenraa (Apenrade) ist Standort der Organisationen der deutschen Minderheit im dänischen Nordschleswig. Die Minderheit verfügt über eigene Kitas, Schulen, Vereine, Bibliotheken. Politisch vertreten wird sie durch die Slesvigsk Parti, Schleswigsche Partei, die in vielen Kommunalparlamenten beteiligt ist. Ein Zentrum der Minderheit ist die Kultur- und Bildungsstätte auf dem Knivsberg. Neben Tagungshaus und Freizeitgelände gibt es dort auch eine Gedenkstätte für Angehörige der Minderheit, die im Zweiten Weltkrieg gefallen sind – als Freiwillige für das NS-Regime. Immerhin: „Ehrenhain“ heißt diese Gedenkstätte nicht mehr.

Bonn-Kopenhagener Erklärungen regeln die Rechte der Minderheiten beidseits der Grenze. Geschlossen wurden die Abkommen 1955, der Impuls ging von Dänemark aus, nachdem der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), der politische Arm der dänischen Minderheit in Sydslesvig, trotz guter Wahlergebnisse keinen Sitz im Landtag erhielt. Ein Kernsatz der Erklärung lautet: „Das Bekenntnis zum deutschen/dänischen Volkstum und zur deutschen/dänischen Kultur ist frei und darf von Amts wegen nicht bestritten oder nachgeprüft werden.“ Anders ausgedrückt: Zur Minderheit gehört, wer will.

Christian oder Friedrich hießen die meisten dänischen Könige, die auch über das heutige Schleswig-Holstein herrschten. Beide Landesteile sollten „ewich tosamende ungedeelt“, also ungeteilt bleiben, so steht es im „Ripener Freiheitsbrief“ von 1460, den Christian I. verfasste. Laut Homepage der Landesregierung in Kiel bedeute das Motto mehr ein Bekenntnis zum Frieden als zu einem eigenen Staat. Im Lauf der Jahrhunderte bildeten Schleswig und Holstein getrennte Herzogtümer, jedoch immer mit dem dänischen Staat verflochten. Im 17. Jahrhundert zählte auch der heutige Hamburger Stadtteil Altona zum dänischen Reich. Erst im 19. Jahrhundert kam es zur „Erhebung“ Schleswig-Holsteins gegen die Dänenherrschaft.

Deutscher Bundestag: Mit Stefan Seidler ist dieses Jahr wieder ein Angehöriger der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein dort eingezogen, zuletzt gab es das in den 1950er Jahren. Seine Partei, der SSW, profitiert davon, dass seit den Bonn-Kopenhagener Erklärungen die Fünfprozentklausel nicht mehr für die Minderheiten gilt.

Flensburg bildet das Zentrum der dänischen Minderheit. Ähnlich wie für die deutsche Minderheit in Aabenraa finden sich in repräsentativen Altstadthäusern die Sitze von Schul-, Kultur- und Jugendvereinen sowie die Zentrale des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW), der auch in vielen Kommunalparlamenten und im Kieler Landtag vertreten ist. Die Zugehörigkeit zur Minderheit definiert sich bei vielen durch die dänische Sprache, dänische Bräuche und die Teilnahme an Angeboten der Minderheitenvereinigungen.

Hygge, gemütlich, ist ein Wort, das gern für den dänischen Lebensstil verwendet wird. Tatsächlich machen die Dä­n*in­nen gesellschaftlich und politisch vieles richtig, angefangen vom allseitigen Duzen über kommunale Strukturen, die gute Bedingungen für Gesundheitsfürsorge und Pflege bieten, bis zur Tradition von Minderheitsregierungen. Aber das gesellschaftliche Klima ist in den vergangenen Jahren ungemütlicher geworden, unter anderem durch einen politischen Rechtsruck und wachsenden Nationalismus.

Jubiläum: Die Feiern fielen wegen Corona kleiner aus als geplant, aber gefeiert wurde vor einem Jahr trotzdem, dass sich 1920 Deutsche und Dä­n*in­nen per Volksabstimmung auf einen Grenzverlauf geeinigt hatten. Dorf für Dorf entschied, wohin es gehören wollte – auf diese Weise entstanden die heutigen Minderheiten.

Kultur sehen beide Minderheiten als zentral an. Wobei der Begriff weit gefasst ist und auch die Vereinskultur einbezieht. Beide Gruppen pflegen ihre Sprache und ihre Traditionen – wobei es ein überzeugter Grenzländler wie der Politiker der Slesvigsk Parti, Stephan Kleinschmidt, es „zu simpel“ findet, die Minderheitenidentität auf „Essen, Trinken, Lieder“ zu beschränken: „Natürlich spielt die Sprache eine Rolle, aber vor allem geht es um die Zusammen- und Zugehörigkeit“, sagte er im taz-Interview. Die Minderheiten „bewegen sich zwischen den Kulturen und vermischen oftmals die Traditionen“.

Lakritz, røde pølser, also rote Würstchen, und Einrichtungsgegenstände kaufen Deutsche gern beim Einkaufsbummel in Dänemark. Viele dänische Grenz­pend­le­r*in­nen freuen sich über niedrigere Benzin- und Lebensmittelpreise auf der deutschen Seite. Entsprechend sind im Grenzland viele Läden und Tankstellen auf dänische Kun­d*in­nen ausgerichtet. Teilweise liegen dort auch dänische Produkte, die billiger sind als im Erzeugerland. Denn Dänemark erhebt hohe Steuern. Das macht den Staat reich und erlaubt den Menschen ein Leben mit viel Hygge.

Nordschleswig heißt der an Deutschland angrenzende südliche Teil Dänemarks. Die Region umfasst rund 250.000 Menschen, davon definieren sich rund 15.000 als „deutsch“. Die Region lebt von Tourismus und Landwirtschaft, die Zahl der Grenz­pend­le­r*in­nen ist groß.

Vier Sprachen – Hoch- und Plattdeutsch, Dänisch und Friesisch – sowie Dialekte werden in Sydslesvig gesprochen

Passkontrollen finden seit Januar 2016 an der deutsch-dänischen Grenze statt. Die Regierung in Kopenhagen reagierte damit auf die hohe Zahl von Geflüchteten, die nach Skandinavien reisen wollten. Denn im Sommer 2015 hatte vor allem Schweden viele Menschen aufgenommen. Doch die Willkommensbereitschaft sank, und Dänemark als Eingangstor zu Skandinavien schottete sich ab. Die Kontrollen, die dem Schengener Abkommen widersprechen, finden seither unter wechselnden Begründungen statt, aktuell zum Schutz vor Corona.

Sydslesvig ist der dänische Begriff für das nördliche Schleswig-Holstein. Die Region reicht von der dänischen Grenze bis zur Eider, hier leben rund 450.000 Menschen, von denen sich rund 50.000 zur dänischen Minderheit zählen. Daneben gibt es die friesische Minderheit. Vier Sprachen – Hoch- und Plattdeutsch, Dänisch und Friesisch – sowie Dialekte werden hier gesprochen. Wie jenseits der Grenze sind Tourismus und Landwirtschaft prägend.

Tønder (Tondern) heißt die dänische Kleinstadt mit 37.000 Einwohner*innen, die nun erstmals einen Angehörigen der deutschen Minderheit zum Bürgermeister gewählt hat. Der 58-jährige Landwirt Jørgen Popp Petersen wird von mehreren Parteien gestützt. Seine eigene Slesvigsk Parti hat dagegen bei den jüngsten Kommunalwahlen eher mäßig abgeschnitten.

Wirtschaftliche Zusammenarbeit findet im Grenzland seit Jahren statt, soll aber in Zukunft noch stärker werden, wünschen sich die Minderheitenparteien. Als Punkte nennen sie Energieproduktion, etwa in gemeinsamen Windparks, oder bessere Bahnanbindungen. Geld dafür gab es bislang unter anderem aus EU-Programmen.

Zaun: Seit Dezember 2019 zieht er sich über 70 Kilometer an der dänisch-deutschen Grenze entlang. Dänemark will damit Wildschweine und die Schweinepest aus dem Land halten. Tatsächlich ist die Krankheit inzwischen in Deutschland angekommen – aber im Norden Schleswig-Holsteins gibt es praktisch keine Wildschweine, und wenn doch, könnten die Tiere Straßen oder Wasserflächen nutzen. So ist der Zaun zwar Symbolpolitik, aber schädlich: Er schneidet Damwild den Weg ab, einige Rehe sind bereits verendet. Und die Menschen beklagen, dass das Gitter auf der grünen Wiese die Grenze wieder sichtbar macht, die lange Zeit kaum zu spüren war.

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