Restaurant-Komödie „À la carte“ im Kino: Wo das Ständische verdampfte

„À la carte“ erzählt mit leichter Hand von den Anfängen der Restaurants im vorrevolutionären Frankreich. Der Film passt zur Pandemiezeit.

Der Koch Manceron steht vor einer langen Tafel mit spöttisch lächelnden Gästen.

Komplimente für den Koch? Manceron (Grégory Gadebois) vor der höfischen Tischgesellschaft Foto: Neue Visionen

Noch haben die Restaurants geöffnet, mit beschränktem Zugang durch 2G wohlgemerkt. Das Thema „Außer Haus essen“ ist seit der Pandemie für viele ohnehin auf Eis gelegt. Während sich gastronomische Einrichtungen mithin zunehmend auf die Funktion reduzieren, die Produktionsstätte zu sein, von der das beim Fahrradlieferdienst bestellte Essen herkommt, erinnert eine französische Komödie daran, dass ein Restaurant nicht bloß Anbieter eines bestimmten kulinarischen Sortiments ist, sondern eigentlich auch ein Ort, an dem Begegnungen möglich sind.

Der Film „À la carte – Freiheit geht durch den Magen“ des Regisseurs Éric Besnard erzählt mit einigen historischen Freiheiten aus der Anfangszeit der Restaurants in Frankreich. Man schreibt das Jahr 1789, der Koch ­Pierre Manceron (stoisch entschlossen: Grégory Gadebois) hält am Hof des Herzogs von Chamfort (spitz-blasiert: Benjamin Lavernhe) den Hausherrn und dessen gelangweilte Gäste mit üppig aufwändigen Menüs bei Laune.

In der Küche herrscht Betrieb. Die Kamera verweilt dazu gern aus nächster Nähe und in hoch aufgelösten Bildern bei Händen, die Zutaten zerschneiden, vermischen, anrühren. Oder sie fährt genüsslich über die Resultate dieser Hochleistungsarbeit, die unter Zeitdruck und fernab der herrschaftlichen Augen in einem Kellergewölbe geleistet wird. Sieht zugegebenermaßen sehr appetitlich aus, erst recht für Zuschauer, die Kochsendungen mögen.

„À la carte – Freiheit geht durch den Magen“. Regie: Éric Besnard. Mit Grégory Gadebois, Isabelle Carré u. a. Frankreich 2021, 112 Min.

Manceron, der regelmäßig ermahnt wird, keine Neuerungen auf den Speiseplan zu setzen, wäre nicht der hervorragende Koch, der er ist, wenn er nicht auch kreativ wäre. Zu einem Gelage, mit dem sich der Herzog am Königshof von Versailles empfehlen möchte, serviert Manceron daher als Appetithappen seine neue Schöpfung „Délicieux“, im Französischen ist dies zugleich der Titel des Films.

Nach erfolgter Völlerei lässt der Herzog den Koch rufen, damit dieser Komplimente für seine Künste entgegennehmen kann, im selben Zug eine Bestätigung der Eignung des Herzogs als Gastgeber. Der Reihe nach gibt es erwartungsgemäß Lob für Aussehen und Geschmack des Gekosteten.

Etwas für die Schweine

Lediglich ein Bischof (Gilles Privat) hat eine Nachfrage zu Mancerons „Köstlichkeit“. Als er erfährt, dass diese aus Trüffeln und Kartoffeln zubereitet ist, wirft der Geistliche sie seinem Schöpfer vor die Füße mit der Bemerkung, Dinge, die unter der Erde wüchsen, seien etwas für die Schweine. Die Stimmung kippt. Der Herzog verlangt von Manceron, er solle sich entschuldigen. Dieser schweigt. Der Herzog beginnt zu schreien.

So wird der Meisterkoch entlassen, kehrt mit seinem Sohn in sein Dorf zurück. Backt Brot wie vor ihm sein Vater, bewirtschaftet Durchreisende als Gastwirt. Die Szenerie wechselt passend: statt raschelnder Kleider und bepuderter Perücken in lichten Zimmerfluchten fortan eine dunkle Hütte mit rauem Putz, der Garten draußen kaum geordneter Wildwuchs, dafür schön grün. Manceron trägt seine Deklassierung mit Stolz, allerdings fortan ohne kulinarischen Ehrgeiz.

Die Handlung nimmt eine weitere Wendung, als eine Frau im Dorf ankommt, die Lehrling bei ihm werden will. Louise (zurückhaltend entschlossen: Isabelle Carré) empfiehlt sich als ehemalige Marmeladeköchin. Obwohl Manceron nichts von Kochen hören will, bleibt sie hartnäckig. Schließlich ringt er sich durch, ihre Fähigkeiten zu testen. Sie besteht.

Dezente emanzipatorische Akzente

Besnards ästhetisch wenig auf Neuerungen bedachter Film folgt von da an zwei Strängen: der bewährten Geschichte eines Selfmademans, der sich gegen Widerstände behauptet, und einer flüchtig angedeuteten Romanze, die das Drehbuch knapp umschifft und sogar dezente emanzipatorische Akzente setzt.

Angeregt durch Louise beginnt Manceron seine alte Leidenschaft für das Kochen wiederzuentdecken, was Gelegenheit für mehr Kochszenen in Großaufnahme bietet. Der Unterschied diesmal: Die Zutaten sind weiterhin ansehnlich, aber einfacher. Manceron bedient sich vor allem aus seinem Garten.

Am Ende siegt die Égalité, dem Adel fliegt die Perücke vom Haupt

Nebenbei hält „À la carte“ so ein Plädoyer für regionale Produkte. Sein eigentliches Anliegen ist aber zu illustrieren, wie Manceron seine Erfahrung bei Hofe nutzt, um sein Gasthaus umzuwandeln in eine für alle Stände offene Stätte, in der jeder an einem eigenen Tisch gut essen kann und was er möchte, sofern es die Speisekarte und das Portemonnaie hergeben. Der Herzog versucht dies zu verhindern, möchte Manceron zurückhaben. Am Ende siegt die Égalité, dem Adel fliegt die Perücke vom Haupt.

Hübsche Idee: das Restaurant als Begleiterscheinung der Französischen Revolution, wo das Ständische (ver-)dampft wie die Speisen auf den Tellern. In Wirklichkeit waren Restaurants aber wohl auch damals schon kein Ort für alle. Doch wurde die Entstehung der Restaurants begünstigt durch die vielen Köche, die im Zuge der Revolution ihre Stellungen bei Hofe verloren. Im Film ist es anders herum erzählt. Egal. So lange der Restaurantbesuch nicht auch bald Geschichte ist.

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