Die Ampelkoalition und Europa: Gemischte Gefühle in Brüssel

Für EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen könnte es ungemütlich werden. Der Ampelkoalitionsvertrag enthält gleich mehrere Bruchstellen.

Porträt einer Frau mit Corona-Schutzmaske: Ursula von der Leyen

Ist sich noch nicht sicher, was sie von der Ampelkoalition zu erwarten hat: Ursula von der Leyen Foto: Christian Hartmann/dpa

BRÜSSEL taz | Großer Jubel im Europaparlament, betretenes Schweigen in der EU-Kommission: Der am Mittwoch vorgestellte Koalitionsvertrag der kommenden deutschen Ampelregierung ist in Brüssel mit gemischten Gefühlen aufgenommen worden.

Während Parlamentspräsident David Sassoli – ein Sozialdemokrat aus Italien – dem designierten Kanzler Olaf Scholz (SPD) gratulierte, hielt sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auffällig zurück. Über die Gründe wird eifrig spekuliert. Will sie abwarten, bis der neue Kanzler vereidigt wird, wie es offiziell in ihrer Behörde heißt? Oder fürchtet die CDU-Politikerin um ihre politische Zukunft?

Grund dazu hätte sie – denn im Koalitionsvertrag wird bereits über ih­re:n Nach­fol­ge­r:in gesprochen. Darin heißt es, dass die Grünen das Vorschlagsrecht für den beziehungsweise die nächste deutsche EU-Kommissar:in erhalten. Dies soll zwar nur gelten, „sofern die Kommissionspräsidentin nicht aus Deutschland stammt“. In Brüssel wird dieser Passus aber als verklausulierter Abschied von der Amtsinhaberin gedeutet. Bei der nächsten Europawahl 2024 habe sie keine Chance.

Schon 2019 war von der Leyen gegen den Willen der SPD nominiert worden; die meisten Europaabgeordneten der Sozialdemokraten und der Grünen stimmten gegen sie. Nun hat sich auch die FDP enttäuscht von ihr abgewandt. Die ehemalige Bundesverteidigungsministerin habe nur „leere Versprechen“ gemacht und kaum etwas umgesetzt, erklärte der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner; er werde keine zweite Amtszeit unterstützen.

Die Ampel­koalitionäre fordern, mehr Druck auf Polen und Ungarn zu machen

Der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold beteuert zwar, die Formulierung im Ampelvertrag sei „keine Misstrauenserklärung“. Beim „European Green Deal“ genieße von der Leyen weiter das Vertrauen der Grünen. Doch in anderen Fragen bröckelt die Unterstützung.

Etliche Konfliktpunkte

Der Koalitionsdeal enthält gleich mehrere Bruchstellen. So fordern die Ampelkoalitionäre, mehr Druck auf Polen und Ungarn. Man plane, „die bestehenden Rechtsstaatsinstrumente konsequenter und zeitnah zu nutzen und durchzusetzen“, heißt es. Dies ist eine Aufforderung an von der Leyen, nicht länger zu zögern und den Rechtsstaatssündern endlich den Geldhahn zuzudrehen. Die deutsche EU-Chefin schiebt die Entscheidung seit Monaten vor sich her.

Zu Streit kann es auch beim Klimaschutz kommen. Die Ampel übernimmt zwar weitgehend das Aktionsprogramm „Fit for 55“, das von der Leyen im Sommer vorgestellt hatte. Doch beim Abschied vom Verbrennermotor bleibt die neue Koalition vage. Brüssel fordert, dass 2035 Schluß sein soll – Berlin weicht einer Festlegung bislang aus.

Für Zündstoff dürfte auch die Wirtschafts- und Finanzpolitik sorgen. Der neue Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) steht von der Leyen zwar näher als Grünen-Co-Chef Robert Habeck, der den Posten auch gerne gehabt hätte. Doch im Koalitionsvertrag ist offen geblieben, wie die EU sich künftig finanzieren soll.

Brüssel hofft auf neue Eigenmittel, also Steuern und Abgaben. Doch Berlin spart das Thema aus. Wie die Milliardenschulden abgestottert werden sollen, die die EU für ihren Wiederaufbaufonds aufgenommen hat, bleibt im Unklaren.

Unter den Teppich gekehrt wurde auch der Streit um den Stabilitätspakt für den Euro. Die Ampel lobt seine „Flexibilität“ – dabei musste er in der Corona­krise ausgesetzt werden, weil die veralteten Schuldenregeln nicht einmal mehr von Deutschland eingehalten wurden.

Frankreich hat den Pakt daher für obsolet erklärt. Paris will eine radikale Reform der Fiskalregeln. Doch die neue, „fortschrittliche“ Koalition weicht aus – wohl auch, weil man in Berlin selbst noch nicht recht weiß, wie man die ehrgeizigen Ziele, etwa im Klimaschutz, finanzieren will. Am Ende könnte auch Deutschland mehr Schulden machen, als es der Stabilitätspakt erlaubt.

Doch es gibt auch Grund zur Freude. Scholz will die EU in einen „föderalen Bundesstaat“ weiterentwickeln. Das fordert von der Leyen schon seit Jahren. In der CDU wurde sie dafür belächelt; nicht einmal Angela Merkel wollte ihr folgen. Mit der neuen Regierung könnte nun frischer Wind in die Debatte über die Zukunft der Union kommen.

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