Jazzfest Berlin 2021: Schmissig-elegantes Zeug
Das Jazzfest Berlin war auch in diesem Jahr international-vielfältig. Im Fokus standen Künstler:innen aus Johannesburg, São Paulo und Kairo.
Mariá Portugal ist zur Hälfte durch mit ihrem Set beim Berliner Jazzfest am Samstag, es ist die Live-Premiere ihres Albums „Erosão Viva“. Die brasilianische Schlagzeugerin hat während einer wegen Covid verlängerten Residence in Deutschland hier eine Band zusammengestellt, und jetzt, wo sie in dem langen, gesungenen Teil ins Deutsche schaltet und so etwas singt wie „Es lohnt sich nicht aufzustehen“, bin ich restlos überzeugt.
In der Tat, diese Musik bleibt liegen, verteidigt so schwebend, somnambul und flüssig ihre Kratzigkeiten, ihre Intensitäten, ihren Eigensinn. Auch wenn dieses lange, weder wirklich an- oder abschwellende, sondern in einer auf der Stelle tanzenden, Affektpirouette innehaltende Stück nicht direkt nach irgendetwas klingt: Four Tet, Derek Bailey, Anette Peacock und Regenwald concrète seien erwähnt, um wenigstens vage auf das zeigen, was hier eben doch eher unmerklich eingeflossen ist.
Mariá Portugal ist beim Jazzfest 2021 aber auch Funktionsträgerin: Sie steht für die Szene von São Paulo. Die brasilianische Megalopole ist neben Kairo und Johannesburg Partnerin für ein Festival, das sich nicht bei der documenta und anderen Kulturglobalisierern hinten anstellen will: Gleich drei City-Szenen des Südens sind ständig präsent; keine schillernden Idyllen lokaler Besonderheiten, sondern Städte, die ihrerseits viel Hinterland und Vielfalt aufgesogen haben.
Geschmackvoll abgestimmte Duos
Hier haben sie allerdings sehr unterschiedliche Auftritte. Unter den Anwesenden steht Mariá Portugal für São Paulo und Maurice Louca für Kairo, aus Johannesburg ist Nuduzo Makhatini angereist. Auch Loucas europäische Band gehört zu den Highlights des Festivals: Elephantine spielt ein unglaublich klangfarbensensibles, an dekadente Theatermusik und die frühen Mothers of Invention („King Kong Variations“) erinnerndes, dennoch sehr ernsthaftes, schmissig-elegantes Zeug, bei dem vier Bläser fast zackig auf geschmackvoll abgestimmte Duos folgen – immer unter der Fuchtel einer wirbeligen Vibraphonistin.
Einmal – habe ich das richtig gesehen? – greift der Chef dann sogar zur Dobro. Was zu den gleich zwei großartigen Auftritten der US-Pedal-Steel-Gitarristin Susan Alcorn passte – einmal mit eigenem Quartett, dann mit Walking-Bass-Figuren auf der PSG bei Nate Woolley: Kernbestände von Country & Western als Jazzerweiterungen.
Und was fein ausgesägte Bläsersätze betrifft, konnten allenfalls die drei roughen skandinavischen Hörner von Koma Saxo mithalten, die allerdings ganz undekadent gegen Peter Eidhs Bass-Verteidigung und den vielarmigen Torhüter Christian Lilinger am Schlagzeug kämpften.
Fernbeiträge per Videoschalte
Die brasilianischen, eher als Musikvideos auftretenden Fernbeiträge wussten weder visuell noch installativ mit dem hier angebotenen Vierkanalformat viel anzufangen – dass die abstrakten Farbrhythmen zur Musik von São Paulo Underground (mit u. a. Rob Mazurek und Mauricio Takara) eher so aussahen, wie Berliner Techno-Visuals der Saison 97/98, stellte die Frage, ob man, wenn solche Bildbeiträge zukünftig zu Genres aufsteigen sollen, eine Zusammenarbeit mit zeitgenössischen bildenden Künstler:innen nicht mehr versprechend wäre als die alte Nummer der Farbrhythmisierung.
Kairo war etwa durch zwei sehr anregende künstlerische Recherchefilme präsent: Nancy Mounir rekonstruiert filmisch und musikalisch die Arbeit der berühmten ägyptischen Sängerinnen der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, durch Archivmaterial wie eine eigene Performance, wo genialerweise das Theremin einige der harmonischen Besonderheiten dieses Gesangs aufgreift.
Philipp Rizk inszeniert einen Taumel aus historischem und rekonstruktivem Material rund um die Cairo Free Jazz Band der frühen 1970er: ein Unternehmen des ägyptischen Drummers und Generals Salah Ragab und des vor Kurzem verstorbenen Hartmut Geerken – Experimentalschriftsteller, Musiker mit u. a. John Tchicai und Famoudou Don Moye vom Art Ensemble of Chicago, unermüdlicher Herausgeber der Schriften des Salomo Friedlaender, Goethe-Institutsleiter in Kabul und Kairo, Organisator von Sun-Ra-Konzerten in Ägypten und sehr viel mehr.
Bei diesem Projekt ist dann auch Maurice Louca wieder dabei und auch die in diesen Tagen wieder so viel diskutierte ägyptische elektronische Musik spielt eine große Rolle. Johannesburg sandte sogar echte Live-Übertragungen nach Berlin von einem parallelen Festival, dessen lokaler Kontext vielleicht etwas zu selten von den südafrikanischen Kameras eingefangen wurde.
Technisch stolprige Begegnungen
Die lustigen und technisch stolprigen Begegnungen waren erfrischend, zumal die Johannesburger aus ihrem anderen Wetteruniversum eine gute Laune nach Berlin brachten, die das winterliche Silent Green im Berliner Wedding als ein schönes, aber doch nicht gerade heiteres Venue gut gebrauchen konnte. Man hätte auch hier aus dem Vierkanalformat noch mehr herausholen können: Offensichtlich sah man in Johannesburg mehr von Berlin als umgekehrt. Wie das dortige Publikum und die erkennbar beeindruckte Moderatorin auf das Konzert von Aki Takase reagiert haben, hätte man gerne genauer erfahren.
Die japanische Pianistin hatte gerade den Albert-Mangelsdorff-Preis gewonnen und wurde dann ganz rührend unter anderem von Manfred Schoof in den Arm genommen, der sich als lieber Freund und bester und ältester Freund ihres Ehemannes vorstellte, Alexander von Schlippenbach, dem ersten Gewinner dieses Preises. Diese Schlippenbachs!
Verhakter Preisträgerinnen-Punkjazz
Takases Band spielte dann nämlich den tightesten, lustigsten, ultrapräzise verhaktesten Preisträgerinnenpunkjazz, den man sich denken konnte. Wozu auch ihr sagenhafter Stiefsohn, der Turntableist Vinzenz von Schlippenbach aka DJ Illvibe beitrug – ich kannte seine Arbeit bisher nur von Recordings –, der hundertstelgenaue Microsoundbytes in den virtuosen Boogiefunkfreejazzmix warf.
An Showstarcharisma konnte es allenfalls noch der sympathisch verhampelte Sibusile Xaba live aus Jo’burg mit Takase aufnehmen, wenn auch dicht gefolgt von der oldschoolcharmanten Posaunistin Siya Makuzeni; beide standen, wenn auch für einen Teil des Publikums musikalisch zu gefällig, auch als Sänger:innen im Mittelpunkt. Das war eh ein Ding: Fast alle sangen auch.
So hat US-Trompeter-Veteran Dave Douglas mit einem großartigen Kammerensemble (Marta Warelis, Tomeka Reid, Frederik Leroux, Antoine Pierre) seinen neuesten Songzyklus mit fast an Robert Wyatt erinnernder Helligkeit vorgetragen, gemeinsam mit der ebenfalls singenden Tubistin Berlinde Deman. Es ging bei „Secular Psalms“ um den Genter Altar von Jan van Eyck, mit je einem Bild pro Song auf die vier Kanäle projiziert. Visuell wäre auch da mehr drin gewesen.
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