Veraltete Strukturen im Fußball: Kein Ort für Neues

Eine Gegenkandidatin hat keine Chance auf den Präsidentensessel im Berliner Fußball. Es ist ein Fallbeispiel für die Kräfte in einer Altmännerwelt.

Die Präsidentschaftskandidaten sitzen vor einer grünen Stellwand

Verkrampfte Freundlichkeit: Verbandschef Bernd Schultz mit Gegenkandidatin Gaby Papenburg Foto: Matthias Koch/imago

Berlin taz | Am 28. August dieses Jahres blieb im Fußball wieder alles, wie es war. Die Moderatorin Gaby Papenburg, die im Berliner Fußball-Verband (BFV) bei der Präsidentschaftswahl gegen den seit 2004 regierenden Bernd Schultz angetreten war, unterlag. Schultz gegen Papenburg, das war vielleicht auch ein merkelsches „Sie kennen mich“ mit konservativen Altherren-Bierzelt-Seilschaften gegen Liberalismus in allerlei Hinsicht – wirtschaftlich („neue Dienstleistungskultur“ und mehr Hauptamt, so wollte es Papenburgs Team) sowie gesellschaftlich (mehr Diversität, mehr soziales Engagement). Keine linke Bewegung also, sondern Positionen aus dem liberalen Mainstream. Und sie waren spektakulär erfolglos. Nur 33 der 117 Stimmen entfielen auf Papenburg. 110 Vereine, also rund die Hälfte, fehlten.

Warum wird Bernd Schultz, der vielen als Symbol des Stillstands gilt und allein im abgelaufenen Jahr durch den Rücktritt dreier Vizepräsidenten, einen Kinderschutzskandal und eine öffentliche Fehde im Präsidium in den Schlagzeilen war, so deutlich wiedergewählt? Und warum beteiligen sich viele gar nicht? Gaby Papenburg befindet sich einige Monate später, so sagt sie, immer noch bei der Aufarbeitung.

Auf einiges ist sie gestoßen: die Pandemie, die einen Tür-zu-Tür-Wahlkampf verhindert habe. Eine für sie unerwartete Befragungsrunde mit heftigem Gegenwind auf dem Verbandstag selbst. „Der Tenor war: Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind? Mein Team war schockgefrostet.“ Aber vor allem sagt Papenburg: „Der Verbandstag ist ein Paralleluniversum.“

Eine Welt fast ohne junge Leute oder Frauen, in der dieselben alten Herren großer Vereine aus dem Schultz-Lager bei Bockwurst und Streuselkuchen Stunde um Stunde langatmige Anträge über sich hinwegziehen ließen, so schildert sie es. Und es sei ihr nicht gelungen, die jungen und kleinen Vereine zu mobilisieren. „Viele junge Vereine haben mir gesagt: Ja klar, wir kommen. Ich kann das natürlich nicht im Einzelfall nachprüfen, aber viele sind nicht gekommen.“

Kaum Demokratieverständnis

Es fehle auch an demokratischem Verständnis im Fußball. „Ich hatte das Gefühl: Sehr viele Vereine finden es gut, wenn Dinge vorher geklärt werden und man eine Entscheidung nur noch abnickt. Oft wurde ich gefragt: Warum kandidiert ihr denn gegeneinander? Diese Ideologie geht ja bis in die Spitze des DFB.“ Viele Ver­tre­te­r:in­nen kleiner Vereine haben für diese Geschichte ihre Analysen beigesteuert. Ein großer Kritikpunkt: die Struktur des Verbandstags.

Ein Vertreter eines kleinen Vereins, der nicht hingegangen ist, sagt: „Wenn es digital möglich wäre, würde ich teilnehmen.“ Aber sich an einem freien Samstag sechs bis acht Stunden hinsetzen für einen Wahlakt, der weniger als fünf Minuten dauere? „Da sehe ich meine Zeit nicht gut investiert. Ich rege mich über das ganze Konstrukt auf. Viele kleine Vereine haben nicht die zeitlichen und personellen Ressourcen.“ Es brauche einen Zeitplan für jeden Themenpunkt und einen festen Zeitpunkt für die Abstimmung.

Sebastian Howe vom jungen SC Kiezmove sagt: „Alles ist fürchterlich langatmig strukturiert. Wenn ich eine Idee für eine erkennbare Verbesserung habe, muss die durch zig Gremien und wird oft erst in vier Jahren auf dem nächsten Verbandstag entschieden.“ Funk­tio­nä­r:in­nen im Verband, fordert er, sollten Reformideen aktiv aufnehmen, dafür seien sie doch gewählt.

Marco Krieger, Vorsitzender des Schultz-Vereins BFC Alemannia, findet, der Verbandstag müsse „frischer, dynamischer, schneller“ werden, etwa mit digitaler Teilnahme wie zuletzt beim Jugendverbandstag; im eigenen Verein gebe es zudem für Sitzungen eine 120-Minuten-Begrenzung. Ein weiteres Problem: Viele kleine Klubs fühlen sich von den immer höheren Anforderungen schon im eigenen Verein, oft im Ehrenamt, überfordert. Je weniger sie aber ihre Stimme nutzen, desto weniger nehmen sie Einfluss, und desto mehr gehen Beschlüsse gegen ihre Interessen.

Verzerrte Wahrnehmung

Bernd Schultz, der neue und alte Amtsinhaber, möchte sich zur Wahl nicht mehr äußern. Aber Papenburgs Kritik, die findet er unberechtigt. „Frau Papenburg will ja lauter alte, weiße Männer gesehen haben beim Verbandstag. Das entspricht nicht der Realität.“ Wie die aussah? „Ich habe viele junge, alte, männliche und weibliche Delegierte wahrgenommen.“ Eine Ansicht, die er unter den Befragten allerdings recht exklusiv hat.

Schultz räumt ein, dass der Verbandstag derzeit „eher abschreckend“ wirke. „Wir werden uns in den nächsten zwei Jahren sehr intensiv damit auseinandersetzen, was man effektiver machen kann.“ Zum Beispiel mit der Frage, ob Ordnungsänderungen ganz anders organisiert werden können, oder wie die digitale Teilnahme ermöglicht wird. „Aber als wir in der Pandemie einen Verbandstag digital gemacht haben, war die Beteiligung nicht viel höher.“ Laut BFV lag sie bei 52 Prozent.

Und die Bürokratie, die die Kleinen überlastet? Die komme nicht vom BFV, sondern „häufig von den Bezirken“. Im Gespräch nennt Schultz die Option, die Veranstaltung zu entschlacken, indem nur noch das Präsidium gewählt werde und andere Ämter direkt besetzt würden. Was aber freilich noch weniger Demokratie hieße.

Nicht alle wollen nur den BFV als Schuldigen sehen. Yvonne Schumann vom FFC Berlin, die sich parallel beim BFV im Ausschuss für Frauen- und Mädchenfußball engagiert, glaubt: „Viele Vereine wissen zu wenig, was der Verband macht.“ Mittlerweile gehe der Verband zum Beispiel in die Bezirke und biete auch Gespräche an. „Aber viele Vereine schaffen es nicht, die Angebote zu nutzen, da zu viel ehrenamtliche Arbeit dort anfällt.“

Informelle Bündnisse

Ein Teufelskreis. Und doch, es geht auch um informelle Bündnisse und Macht. Der Vereinsvertreter, der nicht da war, glaubt: „Große Vereine können sich organisieren. Kleine Vereine haben bei Teilhabe keinen Mehrwert.“ Das gelte auch für seinen Verein. „Es ist mir nicht ersichtlich, was eine der beiden Kandidaturen bei uns bewirken sollte.“ Ähnlich wird es in einem anderen Gespräch genannt. Und manche wollen nur kicken.

Verkrustete und unpraktikable Strukturen, Überforderung, gefühlte und tatsächliche Kluft und unpolitische Gleichgültigkeit: Es gelang also nicht, die zu mobilisieren, die auch sonst kaum kommen. Aber offenbar gab es für Papenburg noch ein zweites Problem: Es gelang nicht, die zu mobilisieren, die etwas verändern würden. Yasmin Ranjbare ist Vorsitzende des eher alternativen Vereins Hansa 07.

Sie sagt: „Ich habe selbst noch mal vorab mit diversen befreundeten Vereinen gesprochen, und vielen war es einfach nicht wichtig genug, dort zu erscheinen, um eine halbgare Alternative zu wählen. Es fehlte ein glaubwürdiges und gutes Angebot. Ein gutes Angebot gab es für viele – gerade innovative und gut aufgestellte Vereine – weder von Schultz noch von Papenburg.“ Die Einstellung progressiver Vereine sei dann, der Verband solle den Spielbetrieb organisieren – „und sonst weiter in seinem Saft schmoren.“

Keine Lust auf Wandel

Papenburgs gemäßigtes Angebot war wohl für eine progressive Minderheit zu wenig, für die konservative Mehrheit viel zu viel. Einer, der sich im Berliner Fußball gut auskennt, glaubt im Nachhinein: „Das Thema Wandel ist für die meisten nicht so präsent, wie Gaby Papenburg das eingeschätzt hat. Auch in den kleinen Vereinen sitzen meist alte weiße Männer, die Bock auf Vereinsarbeit und ein Feierabendbier haben. Man darf die Rückständigkeit der Vereine nicht unterschätzen.“ Über Themen wie Geschlechtergerechtigkeit werde bisweilen dort gelacht.

Mit dem Thema Wandel mobilisiere man von über 200 Vereinen vielleicht zehn oder zwanzig. Und wo es etwa für junge Leute, für Progressive, für Frauen oder Nichtweiße so wenig ansprechend ist, ändert sich wenig. Einige fordern jetzt Quoten; der BFV will ab 2025 für Ämter eine „Geschlechterquote“ von je 30 Prozent Männern und Frauen einführen. „Wir wollen das nicht plakativ Frauenquote nennen“, so Präsident Bernd Schultz, der sich lange gegen Quoten wehrte. Und findet: „In der Zukunftswerkstatt waren es die Frauen, die eine starre Quote nicht wollten.“

Der eben genannte Kenner schlägt mehr 450-Euro-Jobs vor, damit Engagement im Verein überhaupt für jüngere Menschen leistbar sei. „Es gibt aber auch eine Wechselseitigkeit: Fußball ist ein Bereich, wo man sich nicht so cool einbringen kann. Es ist ein langer, trockener Weg, bis man es in einen Verband geschafft hat. In dynamischeren Organisationen wie Fridays for Future hat man sofort Teilhabe.“ Und dann gibt es spezifische Umstände. Ein Verband existiert nicht im luftleeren Raum, auch eine Kandidatur nicht. Sie trifft auf ein bestehendes Umfeld.

Die lauteste vernehmbare Anti-Schultz-Fraktion stellen seit vielen Jahren Gerd Thomas vom FC Internationale und Bernd Fiedler von Stern 1900, eine Art außerparlamentarische Opposition. Aber eine, die heftig umstritten ist. Das bekam auch Papenburg zu spüren, die erst auf Anfrage der beiden kandidiert hatte und sie mit in ihr Team nahm. „Ich musste mich so oft bei Vereinen rechtfertigen, warum ich mit Gerd Thomas und Bernd Fiedler arbeite“, sagt die Moderatorin. „Im BFV geht es ganz viel um Befindlichkeiten. Es geht nicht um das, was die beiden angestoßen haben, sondern darum: Da macht der Gerd wieder den Mund auf.“ Hinter der Kandidatur der Frau stand auch eine Konstellation aus alten Männern, die einander seit Jahrzehnten ihre Provinzfehden liefern.

Institutionalisiertes Fremdeln

Einer, der den Verband gut kennt, glaubt: „Gerd Thomas und Bernd Fiedler haben teils richtig gute Ideen, aber eine sehr polarisierende öffentliche Darstellung. Gaby Papenburg hat sich keinen Gefallen damit getan, die beiden in ihr Team zu holen.“ Und auch die fehlende Demokratieerfahrung im Berliner Fußball sei ein Problem. „Es waren in den letzten Jahrzehnten immer nur Einzelpersonen, die für Ämter die Hand gehoben haben.

Die meisten sind also zufrieden, wenn jemand überhaupt was macht. Viel Demokratie kann es so nicht geben.“ Nebenbei ist Gaby Papenburg nicht nur Frau, sondern eine von draußen. Sebastian Howe vom SC Kiezmove: „Es war spürbar für viele ein Problem, dass Gaby Papenburg eine Außenstehende ist.“ Es fehle die Beziehung zu den Vereinen. „Wenn man zu wenig Kontakt hat, zu fremd ist, wird es schwierig.“

Wie soll so je in Verbände Veränderung kommen? Marco Krieger vom BFC Alemannia sieht die Kri­ti­ke­r:in­nen kritisch. „Wenn Vereine sagen, man könne nichts bewirken, muss man vielleicht eher deren Grundvertrauen in die Demokratie infrage stellen. Ich bringe mich im Verband ein, und ich kann da was bewirken. Es ist mir zu einfach, sich hinzustellen und zu sagen: Der Verband macht nichts.“ Es liege auch an den Vereinen selbst. „Viele haben wenig Motivation, Veränderung voranzubringen. Die Masse scheint zufrieden zu sein.“

Papenburg selbst fasst es nüchtern so zusammen: „Die Leute haben das gewählt, was sie kennen, weil sie keine Veränderung wollen.“ Sie nennt den Verbandsfußball einen gordischen Knoten. Ob der zerschlagen werden könne, darüber ist sie unsicher. Kandidieren wird sie, wenigstens Stand aktuell, nicht noch einmal.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.