Zensur vor Olympia in China: Der Sturz, den es nicht geben darf
Ein Rodler aus Polen stürzt schwer auf der Olympiabahn. Erfahren soll das in China niemand. Kritische Berichterstattung wird unterdrückt.
Stattdessen publizieren die Staatsmedien und Diplomaten des Landes allein am Dienstag abertausende Propaganda-Postings auf den sozialen Medien. Die Sportabteilung der Parteizeitung „Peoples Daily“ berichtet von der Trainingswoche für Rodler, ohne den gestürzten Athleten mit einer einzigen Silbe zu erwähnen. Der chinesische Diplomat Zhang Heqing lädt auf seinen Twitter-Account ein idyllisches Foto der schneeverhangenen Rodelbahn, die wie ein „im Schnee schwimmender Drache“ aussehen würde.
Wer in China lebt, der ist von solchen Vorfällen längst nicht mehr überrascht. Ganz offensichtlich haben die Zensoren wieder einmal zugeschlagen und den Medien einen Maulkorb verpasst. Offensichtlich soll nichts die Olympia-Idylle trüben, auch kein Sportunfall.
Empfohlener externer Inhalt
Die absurde Desinformation der chinesischen Regierung wurde am Dienstag umso offensichtlicher, als dass die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua tatsächlich für kurze Zeit eine knappe Nachricht über den Rodel-Unfall publizierte – nur, um sie wenige Minuten später wieder zu löschen. Der Weltöffentlichkeit ist dies nur bekannt, weil ein polnischer China-Korrespondent dies mit einen Screenshot dokumentierte.
Was tatsächlich passiert ist, lässt sich nur im freien Netz außerhalb der Volksrepublik nachlesen: Der 25-jährige Sochowicz musste nach einer Fraktur der Kniescheibe und Prellungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Die Ursache seiner Kollision, so scheint es, ist menschliches Versagen: Der Rodler absolvierte seine Trainingsfahrt von der Frauen-Startposition. Diese wurde jedoch von einer Weiche verschlossen. Wer genau für den Fehler verantwortlich zeichnet, ist bislang unklar.
Ausdruck des Systems
Doch der Athlet selbst kritisiert gegenüber polnischen Medien die offensichtlich überforderten Einsatzkräfte: „Das Bahnteam war sehr inkompetent. Sie wussten überhaupt nicht, was sie tun sollen. Jemand kam zu mir und versuchte, meinen freigelegten Knochen mit einem Handschuh zu berühren.“
Dass selbst der Unfall eines Athleten in China unter Verschluss gehalten wird, ist kein Einzelfehler, sondern Ausdruck eines autoritären Systems, das wenig mehr fürchtet als einen freien Informationsfluss.
Erst letzte Woche hat der Pekinger Korrespondentenclub in einem Report öffentlich gemacht, wie die Behörden sämtliche Vorberichterstattung über die im Februar stattfindenden Winterspiele verhindern. Ein Fernsehjournalist wurde beispielsweise vom Organisator eines Pressetermins wüst beschimpft, nachdem dieser in einem Bericht auch die Boykottdebatte aufgrund Chinas Menschenrechtsverletzungen ansprach. „Er drohte mir, dass wir keine Einladungen mehr bekommen werden – seitdem haben wir auch keinen Zugang mehr erhalten“, sagt der Kollege, der aus Angst vor Repressionen anonym bleibt.
Andere Korrespondenten berichten gar, dass sie auch von Polizisten eingeschüchtert und bei Recherchen gehindert worden sein. Das vielleicht größte Problem ist der generell fehlende Zugang: Interviewanfragen werden fast durchgehend entweder ignoriert oder abgelehnt.
All dies steht in krassem Widerspruch zur Olympischen Charta: Diese beinhaltet, dass eine „möglichst vollständige Berichterstattung“ gewährleistet werden sein muss. Doch Pekings Staatsführung, daran besteht mittlerweile kein Zweifel mehr, geht es vor allem um eine imposante Propaganda-Show, die nicht durch kritische Journalisten vermiest werden soll. Doch man muss kein Hellseher sein um vorauszusagen, dass genau jene Kontrollwut am Ende ihr Gegenteil erreichen wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“
Rechtsruck in den Niederlanden
„Wilders drückt der Regierung spürbar seinen Stempel auf“
Koalitionsverhandlungen in Potsdam
Bündnis fossiles Brandenburg
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig