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Bienenkiller wieder im Einsatz

Neonicotinoide sind seit 2018 verboten. Für Zuckerrüben-bauern gab es in Niedersachsen 2021 aber eine Ausnahme. An die Auflagen haben sie sich nicht gehalten

Von Lotta Drügemöller

Nur noch in Ausnahmefällen und unter strengen Auflagen sollten Zuckerrübenbauern 2021 in einigen Landstrichen von Niedersachsen verbotene Neonicotinoide doch noch einmal einsetzen dürfen. Dass die Ausnahmen nicht so selten waren und die Auflagen oft gebrochen wurden, zeigt jetzt eine Anfrage der Landtagsfraktion der Grünen beim niedersächsischen Landwirtschaftsministerium.

Eigentlich tun Neonicotinoide nur, was sie als Insektizide tun sollen: Sie töten Insekten, und das recht effektiv. Als Nervengift stören sie die Wiedergabe von Nervenreizen – unter Krämpfen sterben die Kerbtiere, wenn sie an behandelten Pflanzen saugen oder fressen. Auch Insekten, die etwas größer sind als Blattläuse, gehen dabei drauf: Seit 2008 sind Neonicotinoide als Bienenkiller verrufen. Bei den Tieren, die sie nicht gleich töten, schwächen sie das Immunsystem, den Orientierungssinn und die Fortpflanzung.

Seit 2018 ist der Neonicotinoid-Einsatz EU-weit verboten. Für dieses Jahr haben einige Bundesländer aber eine Ausnahme gemacht. Auch in Niedersachsen wurde für die Zuckerrüben-Landwirtschaft eine Notfallregelung eingeführt. Denn die Rübenbauern hatten in diversen Landstrichen mit einem Virus zu kämpfen, das die Blätter vergilben und die Rüben verkümmern lässt – übertragen wird es von Blattläusen, denen man mit dem Neo­nicotinoid „Cruiser 600 FS“ zu Leibe rücken wollte.

Die Ausnahme gab es allerdings gar nicht so selten, zeigt die Anfrage der Grünen. Für 34.700 Hektar wurde durch die Notfallregelung der Einsatz freigegeben, bei etwa 19.000 Hektar haben die Landwirte auch Gebrauch davon gemacht – das sind etwa 19 Prozent der 100.000 Hektar Zuckerrübenfelder in Niedersachsen. „Von einem punktuellen Einsatz in schädlingsbefallenen Hotspots kann da keine Rede mehr sein“, so Miriam Staudte, agrarpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. „Hier wird versucht, den großflächigen Einsatz der Neonicotinoide wieder salonfähig zu machen.“

Zuckerrüben bieten sich auf den ersten Blick für eine Ausnahme an – das Nervengift kann direkt ans Saatgut geheftet werden und muss nicht großflächig über die Fläche versprüht werden. Und: „Zuckerrüben blühen nicht“, so Heinrich-Hubertus Helmke, Geschäftsführer des Dachverbands Norddeutscher Zuckerrübenanbauer. „Sie sind für Bestäuberinsekten somit keine Gefahr.“

Damit allerdings kommt man bereits zum zweiten Punkt, den die Anfrage der Grünen aufgedeckt hat: Die Sicherheitsauflagen wurden nicht überall beachtet. Damit das Gift nicht über benachbarte blühende Pflanzen aufgenommen wird, hatte die Landesregierung bestimmt, dass bei der Anwendung ein Seitenstreifen des Feldes freigehalten werden müsse: 45 Zentimeter unbewachsener Boden, so lautet die Vorgabe.

„Eine Auflage zu brechen fällt leichter als ein klares Verbot“

Tonja Mannstedt, Pressesprecherin des BUND in Niedersachsen

Sieben Verstöße dagegen hat die Landwirtschaftskammer gefunden. Das Saatgut wurde dort auch in der äußersten Reihe ausgebracht. Sieben Verstöße klingt wenig, allerdings hat die Kammer auch nur insgesamt 22 Bodenproben nehmen lassen. Ein Drittel der kontrollierten Rübenbauern hat sich also nicht an die vereinbarten Regeln gehalten.

Helmke argumentiert, dass die Rüben wachsen und sich das Insektizid so verteile. Man könne die Begrenzungen nicht in jedem Fall einhalten. Die Erfahrung von Na­tur­schüt­ze­r*in­nen gibt dem Rüben-Lobbyisten Recht: In Bayern hatten Naturschutzverbände nach der dortigen Notfallzulassung das Pflanzengift in Nachbarfeldern nachgewiesen. Das Mittel ist wasserlöslich und verbreitet sich so leicht.

Der BUND in Niedersachsen sieht sich bestätigt. Gemeinsam mit anderen Naturschutzverbänden hatte er schon im Frühjahr vor der Notfallzulassung gewarnt. „Man muss die Neonicotinoide ganz verbieten“, sagt Pressesprecherin Tonja Mannstedt heute. „Ausnahmeregelungen bieten immer Schlupflöcher – eine Auflage zu brechen fällt leichter als ein klares Verbot.“

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