Überraschung beim „steirischen herbst“: Schmusen with the politicians

Beim 54. Kulturfestival „steirischer herbst“ in Graz wandern die Beiträge in den öffentlichen Raum. Ihre Unzulänglichkeiten werden so sofort sichtbar.

Performance im öffentlichen Raum.

Lars Kuzners „Lageberichte“ aus der steirischen Landeshauptstadt Graz Foto: Shirin Hooshmandi

Er verteilt zwar keine Gummibärchen oder Luftballons, für einen Politiker könnte man ihn trotzdem halten, zumal er während des Grazer Wahlkampfs unterwegs ist. In braunem Dreiteiler und mit Pilotensonnenbrille, mit Pomade im Haar und brennender Zigarette in der Hand plaudert Lars Cuzner mit Gra­ze­r:in­nen auf Plätzen und in Straßencafés. Begleitet von Kameras wirbt er in aufgesetztem amerikanischem Englisch um Investoren für sein Projekt „Good from far“, ein Selbsthilfebuch, das nicht helfe, wie er erklärt.

Der schwedische Künstler ist Gast des 54. steirischen herbst, der sich unter dem Motto „The Way Out“ nach draußen begeben hat. Nachdem das Festival vergangenes Jahr pandemiebedingt ganz ins Mediale verlegt wurde, nun also Kunst im öffentlichen Raum.

Cuzner war 2018 schon einmal eingeladen, zur ersten Ausgabe der damals frisch berufenen Intendantin Ekaterina Degot warb er für seine „Intelligenzpartei“, mit der er die populistische Meinungsmache rechter Parteien in Europa parodierte. Die extrem rechte FPÖ und die konservative ÖVP hatten damals gerade ihre Koalition im Grazer Gemeinderat besiegelt.

Lageberichte aus der steirischen Landeshauptstadt

In Cuzners mehrteiliger auf der Festivalwebseite ausgestrahlten Videoperformance – der erste Teil einer Reihe sehenswerter „Lageberichte“ aus der steirischen Landeshauptstadt – fungiert das Buch als Chiffre für eine Kunst, die sich revolutionär gibt, aber im schönen Selbstbild verharrt. Ihr Abhängigkeitsverhältnis zu öffentlichen Geldern bringt Cuzner mit „Schmusing with the politicians“ auf eine griffige Formel.

Zwei martialisch uniformierte Damen auf Pferden

Flo Kasearu: „Disorder Patrol“, Aktion 2021 Foto: Mathias Völzke

Und als er ÖVP-Landesrat Christopher Drexler, der in der Steiermark die Kultur verantwortet, beim Biertrinken antrifft, piekst er: Mit Steuergeld bezahle dieser rich kids, die in der Kunst doch sowieso nur machten, was sie wollten. Das ist freilich überspitzt. Doch beim ersten Gang durch die Stadt könnte man einen solchen Eindruck bekommen.

Vor dem Grazer Hauptbahnhof begrüßt eine von italienischen Straßenfestbeleuchtungen inspirierte Lichtinstallation der Künstlerin Marinella Senatore die Ankömmlinge. Darauf hat sie Slogans von Demos oder Streiks platziert. Doch in roter Leuchtschrift verkümmert der Ruf nach „Revolution“ zu einer leeren Worthülse. Auf dem ein paar Gehminuten entfernten Esperantoplatz hat Thomas Hirschhorn einen Schrein für die Philosophin Simone Weil errichtet.

Hirschhorns typische DIY-Materialschlacht

In einer für den Künstler typischen DIY-Materialschlacht lehnen zwischen Plüschtieren und welken Rosen mit Fotos und Zeitungsauschnitten beklebte und handbeschriebene Tafeln. Darauf feiert er seine Entdeckung Weils. Durch einen Park bewegen sich ein paar Deutsche synchron, führen gemeinsam Lautgesänge vor und erzählen Pas­san­t:in­nen persönliche Geschichten aus Halle oder Dresden. Es ist eine von Tino Sehgal choreografierte „Situation“.

Zwar lud Hirschhorn Menschen aus der Nachbarschaft ein, die Arbeit zu errichten und zu pflegen, weiter ließ er sich aber nicht auf den Kontext in der Stadt ein. Und vielleicht, fragt man sich, hätten sich interessante Kommentare auf das politische Geschehen hier ergeben, hätte Sehgal für die Grazer Adaption seines Werks mit Ös­ter­rei­che­r:in­nen gearbeitet?

Immerhin: Flo Kasearu reagierte auf die umstrittene Grazer Ordnungswache – ein Lieblingsprojekt der FPÖ – die in Bürgerwehrmanier ihr Unwesen treibt. Ihre Per­for­me­r:in­nen steckte sie in Uniformen mit abstrakten Emblemen und übergroßen, an SS-Schirmmützen erinnernden Hüten, ließ sie durch die Stadt reiten und mit Bändern patrouillieren, die man aus der rhythmischen Sportgymnastik kennt. Aber auch dieser ironische Kommentar erschöpfte sich schnell in seiner Form.

Oft hatte das Festival gerade draußen begeistert

Dabei hat das 1968 etablierte Festival oft gerade draußen begeistert: Etwa mit Hans Haake, der 1988 mit der Rekonstruktion eines von den Nazis installierten, mit Hakenkreuz geschmückten Obelisken provozierte, die Neonazis prompt niederbrannten. Oder mit Christoph Schlingensief, der 1998 auf dem gleichen Platz Obdachlose zum Wettsitzen auf Pfählen einlud und mit seiner Partei „Chance 2000“ und dem ironischen Slogan „Künstler gegen Menschenrechte“ auftrat.

Oder auch mit Yoshinori Niwa, der zu Degots erster Ausgabe 2018 auf den geschäftigen Grazer Hauptplatz, der zwischen 1938 und 1945 Adolf-Hitler-Platz hieß, einen schwarzen Container platzierte und Gra­ze­r:in­nen aufforderte, geerbte Relikte von NSDAP, SS und SA zu entsorgen.

Hiwa K lud in der zweiten Festivalwoche Ös­ter­rei­che­r:in­nen mit unterschiedlichen migrantischen Identitäten dazu ein, auf einem Imbissfahrrad unter freiem Himmel mit ihren per Video zugeschalteten Verwandten zu kochen. Im Publikum in Graz oder per Livestream auf der Festivalwebsite konnte man zum Beispiel erfahren, dass es in Indien so viele Mangosorten wie es in Österreich Apfelsorten gibt.

FPÖ-Wahlplakat „Graz ist nicht Eure Heimat“

„Cooking with Mama“ war schon 2006 entstanden, da kochte der Künstler selbst in einer Videokonferenz mit seiner Mutter, die er seit seiner Emigration aus dem Irak nicht mehr gesehen hatte.

Hiwa Ks Arbeit wurde ein wichtiges Statement in Graz. Kurz vor der Performance waren Großflächenplakate aufgetaucht, mit denen die FPÖ aggressiv fremdenfeindlich um Stimmen warb: Über einer Schwarzweißfotografie, die eine Gruppe von Menschen auf der Flucht zeigte, war in großen Lettern „Graz ist nicht Eure Heimat“ zu lesen.

Zum gewünschten Erfolg führten die Plakate allerdings nicht, denn bei der Gemeinderatswahl am 26. September errang die KPÖ einen historischen Sieg. Der ÖVP-Bürgermeister trat noch am Wahltag zurück, die FPÖ spuckte Gift. So kam es, dass Yael Bartanas Beitrag in der vierten Festivalwoche in einem erneuerten politischen Graz zur Aufführung kam.

Der Hellseher Chaim Herrmann Steinschneider

Chaim Herrmann Steinschneider, österreichischer Jude, sympathisierte mit den Nazis, wurde unter einem Pseudonym in Berlin berühmter Hellseher, schließlich aber ermordet, nachdem er den Reichstagsbrand von 1933 vorhergesehen hatte. Nun kehrt er im Jahr 2021 mithilfe eines Mediums während einer Séance beim steirischen herbst zurück, um mithilfe des Publikums im Saal und per Livestream zugeschaltet in die Zukunft zu sehen.

Er zeichnet ein Bild aus beängstigenden wie humorvollen Vorhersagungen, lässt sich vermeintlich mitgebrachte Gegenstände aus dem privaten Fundus des Publikums reichen, wie einen Kristallaschenbecher mit Hakenkreuz, legt assoziative Fäden zwischen der österreichisch-jüdischen Geschichte und neuen „Anschluss“-Spekulationen.

Bartanas Stück überzeugte mit einer herausragenden Sololeistung der Schauspielerin Susanne Sachsse, einem pointierten Skript und einer mitreißenden medialen Inszenierung, die mit aufwendiger Kameraführung im Live-Schnitt echtes Kinogefühl weckte. So reihte sich der Hybrid aus großem Theater und großer Videokunst in die großen Eigenproduktionen des steirischen herbstes ein. Wie das „Schmusen with the politicians“ in der Stadt mit der künftigen Koalition um die KPÖ wohl aussehen wird, sagte Chaim Herrmann Steinschneider allerdings nicht voraus.

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