piwik no script img

Brüssel will Polen ans Geld

Die EU-Kommission hat beim Europäischen Gerichtshof Geldstrafen beantragt

Aus Brüssel Eric Bonse

Der Streit zwischen der EU-Kommission und Polen über den Rechtsstaat und die polnische Justizreform eskaliert. Die Brüsseler Behörde griff am Dienstag zu einem selten genutzten Mittel und forderte den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg auf, eine Geldstrafe zu verhängen. Zudem hält sie Milliardenzahlungen aus dem Corona-Aufbaufonds für Polen und Ungarn zurück.

„Die Justizsysteme in der EU müssen unabhängig und fair sein“, erklärte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Deshalb habe sie sich zu dem ungewöhnlichen Schritt entschieden. Die Kommission will erreichen, dass eine 2018 geschaffene Disziplinarkammer am Obersten Gericht abgeschafft wird. Der EuGH hatte am 14. Juli geurteilt, die Kammer müsse ihre Arbeit einstellen.

Die Regierung in Warschau hatte sich dazu auch bereit erklärt, allerdings erst zum Jahresende. Warschau hoffte wohl auf einen Kompromiss – und reagiert nun umso harscher auf den unerwarteten Vorstoß aus Brüssel. „Die Europäische Kommission blockiert auf ungesetzliche Weise Geldmittel für Polen und beantragt Geldbußen“, schrieb der stellvertretende Justizminister Sebastian Kaleta.

Die Regierung könne nicht einfach die umstrittene Disziplinarkammer schließen, heißt es in Warschau, schließlich sei die Justiz unabhängig. Demgegenüber betont die EU-Kommission, sie habe Polen genug Zeit gegeben, das Urteil des EuGH umzusetzen. Da sich die Regierung nicht bewegt habe, sei man nun gezwungen, den nächsten Schritt zu tun und eine Geldstrafe zu fordern.

Allerdings ist unklar, wie hoch diese Sanktion ausfallen soll – und was passiert, wenn Polen nicht einlenkt. Die EU-Behörde wollte auch auf Nachfrage keine Details nennen. Über die fälligen Summen entscheide das höchste EU-Gericht, heißt es in Brüssel. Der EuGH könnte tägliche Geldstrafen gegen Polen verhängen. Sie würden so lange fällig, bis Warschau sich dem EU-Urteil beugt. In einem anderen Fall hatte der EuGH Polen 2017 eine Strafzahlung in Höhe von mindestens 100.000 Euro pro Tag angedroht. Damals hatte das Gericht Polen angewiesen, die Abholzung des geschützten Urwalds Białowieża einzustellen.

Für dicke Luft zwischen Brüssel und Warschau sorgt auch der Corona-Aufbaufonds. Die EU-Kommission hält mit Verweis auf ungeklärte rechtsstaatliche Probleme die vereinbarten Milliardenzahlungen zurück. „Wir schauen uns auch das Problem der Vorrangigkeit von EU-Recht an und seine potenziellen Auswirkungen für den polnischen Aufbauplan“, sagte EU-Finanzkommissar Valdis Dombrovskis.

Polen stehen aus dem schuldenfinanzierten EU-Programm insgesamt 40 Milliarden Euro an Zuschüssen und Krediten zu. Auch Ungarn muss auf „seine“ Finanzspritze warten. „Natürlich schauen wir uns auch Rechtsstaatsbedenken an, die im Fall von Ungarn identifiziert wurden“, sagte Dombrovskis.

Die EU-Hilfen für den Wiederaufbau sind an den neuen Rechtsstaatmechanismus gebunden. Dagegen hatten jedoch Polen und Ungarn vor dem EuGH geklagt. Ein Urteil wird in den nächsten Wochen erwartet. Wenn der Mechanismus von den Richtern bestätigt wird, hätte die EU-Kommission ein weiteres Mittel in der Hand, um gegen die autoritären Regierungen in Warschau und Budapest vorzugehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen