piwik no script img

Falschinformationen zur BundestagswahlSchlechter Einfluss aus den USA

Nach der US-Präsidentschaftswahl streute Donald Trump das Gerücht der „gestohlenen Wahl“ – ein Narrativ, das rechte Akteure hierzulande aufgreifen.

„Stop the steal“ – eine Trump-Anhängerin protestiert nach dem Wahlsieg von Joe Biden Foto: Emily Elconin/reuters

Berlin taz | Das US-amerikanische Wahlsystem unterscheidet sich grundlegend vom deutschen System. Trotzdem hat ein Phänomen, das vielen US-Bürger:innen bekannt vorkommt, den Weg über den Atlantik gefunden: Anschuldigungen über Wahlbetrug und Misstrauen gegen die Briefwahl.

Klar ist: Die Ausmaße der Desinformationskampagnen sind nicht vergleichbar. In Deutschland hält die einzige Partei, die Mutmaßungen über Wahlfälschung verbreitet – die AfD –, nur zwölf Prozent der Sitze im Bundestag. In den USA streute der damalige Präsident Donald Trump solche Gerüchte vom Weißen Haus aus.

Fachleute, die sich mit Desinformation und der extremen Rechten in Deutschland befassen, sagen allerdings: Im Vorfeld der Bundestagswahl am 26. September haben gezielte Falschinformationen über die Integrität der Wahlen zugenommen. Einige davon hätten zudem das Narrativ der „gestohlenen Wahl“ der US-Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr aufgegriffen.

Der US-amerikanische Wahlexperte David Becker hat Wahlen auf der ganzen Welt beobachtet, auch in Deutschland. Mit Blick auf Trump empfiehlt er, das Thema Falschinformationen zur Wahl auch hierzulande ernst zu nehmen: „Das war kein Einzelfall und ist nicht auf eine Person beschränkt“, sagt Becker, und fügt hinzu: „International gilt: Desinformation ist eine sehr ernste Bedrohung, womöglich die größte Bedrohung, der die Demokratie weltweit je ausgesetzt war.“

Was in den USA passiert, strahlt auf Deutschland ab

Der Rechtsextremismusforscher Miro Dittrich betont, wie vernetzt die digitalen Communitys seien: „Diese ‚alternativen Realitäten‘, die in den Vereinigten Staaten entstehen und dort viele An­hän­ge­r:in­nen haben, strahlen auf Länder ab, die mit den USA verbündet sind. Deshalb hat es massive Konsequenzen für uns in Deutschland, wenn die USA diese Probleme nicht richtig angehen.“

Dittrich, Mitgründer des gemeinnützigen Thinktanks Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS), hat im vergangenen Jahr beobachtet, dass Behauptungen über eine „gestohlene“ US-Wahl unter deutschen Rechten in den sozialen Medien im Trend lagen. Seitdem habe die Desinformation nie wirklich aufgehört, sagt Dittrich.

Laut Helena Schwertheim vom Institute for Strategic Dialogue (ISD), einer Denkfabrik, die sich mit Hate Speech, Online-Extremismus und Desinformation auf der ganzen Welt befasst, zeigte eine Fallstudie während der Wahlen in Sachsen-Anhalt im Juni, was nach der Wahl am Sonntag wieder passieren könnte. Schwertheim und ihr Team stellten fest, dass innerhalb von 24 Stunden schätzungsweise 2,6 Millionen Twitter-Nutzer:innen auf Beiträge mit dem Hashtag „#Wahlbetrug“ reagierten, obwohl es keine begründeten Hinweise auf Unregelmäßigkeiten bei der Wahl gab.

„Ich würde es nicht als direkten Einfluss bezeichnen“, sagt Schwertheim über das Verhältnis zwischen Falschinformationen in den USA und Deutschland. „Aber es gibt definitiv Nachahmungen bestimmter Narrative und Taktiken, die von den entsprechenden Akteuren jenseits des Atlantiks verwendet werden.“ So veröffentlichte etwa der rechte und verschwörungsideologische Medienaktivist Oliver Janich, der inzwischen von Youtube gesperrt wurde, ein Video mit dem Titel „Massiver Wahlbetrug in Sachsen-Anhalt: Die USA als Vorbild“.

Strukturelle Unterschiede zwischen den Wahlsystemen

Das Büro von Bundeswahlleiter Georg Thiel hat eine Fake-News-Korrekturseite eingerichtet, um gegen die im Internet verbreiteten wahlbezogenen Desinformationen vorzugehen. Thiel ist zuversichtlich, dass es in Deutschland aufgrund der Unterschiede zwischen den beiden Wahlsystemen nicht zu einer Krise der Glaubwürdigkeit wie in den USA kommen werde: „Ich sehe die beiden Systeme im Wesentlichen nicht als vergleichbar an“, sagte er auf einer Pressekonferenz im September, und erklärte: „Wir haben in Deutschland einen sehr stabilen Prozess, in dem alles aus dem Melderegister ins Wählerverzeichnis übertragen wird.“ Alle Schritte des Prozesses seien transparent und nachvollziehbar.

In Deutschland werden keine Wahlmaschinen verwendet, die im Fokus der Desinformationskampagnen in den USA standen. Außerdem werden hierzulande nur Stimmzettel gezählt, die bis 18 Uhr am Wahltag eingehen. Das amerikanische Prozedere, wonach einige Militär- und Überseestimmzettel später eintreffen dürfen, hatte zu einiger Verwirrung bei der Auszählung geführt.

Miro Dittrich vom CeMAS bezweifelt jedoch, dass diese Faktoren einen Unterschied machen: „Ich denke, dass die Personen, die der Zielgruppe von Verschwörungserzählungen rund um die Wahl angehören, sich nicht wirklich an der Realität orientieren.“

Die Briefwahl steht im Fokus der Falschinformationen

Wie in den USA wird auch in Deutschland pandemiebedingt ein Rekordanstieg der Stimmen via Briefwahl erwartet. Obwohl die Briefwahl in Deutschland seit 1957 ohne Zwischenfälle durchgeführt wird, hat sich auch in Deutschland Skepsis breitgemacht, die die Gerüchte aus den USA widerspiegelt.

„Wir hatten schon früher Wahlbetrugsvorwürfe in Deutschland, das ist nichts Neues“, sagt Karolin Schwarz, Journalistin aus Berlin, die sich mit Desinformation und der extremen Rechten beschäftigt. Aber nach der US-Wahl hätten einige AfD-Politiker:innen und andere rechte Akteure Behauptungen aufgestellt, dass die Briefwahl auch in Deutschland Ziel von Wahlbetrug sei, erklärt Schwarz.

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner etwa streute Anfang des Jahres im Bundestag Zweifel an der Sicherheit der Briefwahl. Ein Misstrauen, das viele Mitglieder der neu gegründeten Partei Die Basis, die dem verschwörungsgläubigen „Querdenken“-Milieu nahesteht, teilen.

Bei einer Kundgebung in Berlin Ende August sagte deren bayerische Bundestagskandidatin Alexandra Motschmann, sie glaube, es sei besser, persönlich zu wählen als per Post. „In Amerika wissen sie bis heute nicht, ob die Wahl gefälscht war oder nicht“, sagte Motschmann der taz. „Es gibt mehrere Stimmen, die sagen, dass sie gefälscht war“, so Motschmann. Konkrete Beweise oder Fälle von Wahlbetrug, die diese Spekulationen untermauern, führte sie auf Nachfrage nicht an.

Social-Media-Plattformen sind mitverantwortlich

Nach der Bundestagswahl am Sonntag werde es noch mehr Gerüchte geben, befürchtet die Berliner Journalistin Karolin Schwarz: „Das wird wahrscheinlich schon am Wahltag losgehen. Darauf sollten wir vorbereitet sein“, sagt sie. Sie hoffe es zumindest.

Die Politikwissenschaftlerin Helena Schwertheim vom ISD fordert die großen Social-Media-Plattformen auf, in Deutschland mehr zu tun, „um diese Akteure zur Rechenschaft zu ziehen“, wie es in den USA geschehen sei. Außerdem sollten sie Parteien sanktionieren, die sich an der Verbreitung von Gerüchten beteiligten.

Vanessa Stemplowsky von der Kommunikationsberatung APCO Worldwide, die PR-Aufgaben für Facebook in den deutschsprachigen Ländern übernimmt, erklärt dazu gegenüber der taz: „In Bezug auf die anstehenden Wahlen halten wir es nicht für unsere Aufgabe zu entscheiden, ob Aussagen von Po­li­ti­ke­r:in­nen wahr oder falsch sind.“ Sie fügt aber hinzu, man entferne „aktiv Inhalte von Politiker:innen, die zur Unterdrückung der demokratischen Stimmabgabe führen könnten“.

Emma Hurt ist US-amerikanische Politikjournalistin aus Atlanta und als IJP-Fellow bei der taz. Sie hat zuletzt viel über die US-Präsidentschaftswahlen 2020 berichtet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare