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Staatsziel ohne Schutz

Wenn Deutschlands Nutz- und Heimtiere wählen dürften, würde Rot-Grün siegen. Aber nicht wegen des Rots der Sozialdemokratie: fünf Wahlprogramme im Tierschutz-Check

Tierschutz steht im Grundgesetz, spielt aber in Wahlprogrammen oft keine Rolle Foto: Marcel Mettelsiefen/dpa

Von Harff-Peter Schönherr

Wahlprogramme sind eine sonderbare Lektüre. Versprechungen und Verklärungen neben echtem Gestaltungswillen, Wohltemperiertes und Weichgespültes neben echter Substanz. Und manchmal ist das Ungesagte ebenso sprechend wie das, was Zeile um Zeile füllt.

Auch beim Thema Tierschutz ist das so. Die gute Nachricht: Wer sortieren will, wie sich die Parteien positionieren, für die eine Regierungsbeteiligung nach der Bundestagswahl realistisch ist, hat es leicht. Denn in dieser Frage gibt es zwei klar unterschiedliche Lager. Das eine: Rot-Grün, wobei das Rot dunkel ist und nicht zur SPD gehört. Das andere: Schwarz-Gelb. Die Truppe von Olaf Scholz sortiert sich tendenziell dort ein.

Doch zuvor noch rasch ein Ehrenplatz, schließlich tritt die Kleinpartei „Mensch Umwelt Tierschutz“ 2021 erstmals flächendeckend an und ihr Wahlprogramm kennt keine Diplomatie: Es fordert die Schaffung eines Ministeriums für Tierschutz und Tierrechte und ein Ende der Massentierhaltung. Es fordert ein Verbot der Jagd und des Exports und Imports lebender Tiere aus wirtschaftlichen Zwecken. Es fordert das Recht aller Tierrettungsfahrzeuge auf Blaulicht und Martinshorn und das Recht auf mindestens ein veganes Gericht in Restaurants und Kantinen und Mensen. Das Maximalmodell also. Für ein Mandat wird es trotzdem nicht reichen. Oder gerade drum.

Also muss der Blick zu den fünf Aussichtsreichen gehen: SPD, CDU/CSU, Grüne, Linke und FDP. Wie wollen sie, 20 Jahre nachdem es der Tierschutz ins Grundgesetz geschafft hat, dieses Staatsziel verwirklichen? Insgesamt gilt: Die Linken zeigen viel Veränderungsmut und Expertise, dicht gefolgt von den Grünen, vom Verbandsklagerecht für Tierschutzorganisationen bis zur wirkungsvolleren Sanktionierung von Tierschutzvergehen. Beiden geht es um eine umfassende Reform der Tierhaltung. Bei beiden zählt zudem das Tier selbst, als Mitgeschöpf – für CDU/CSU und FDP ist es in erster Linie ein Wirtschaftsgut, das im Sachenrecht abgehandelt wird.

Thema Wildtiere im Zirkus: Linke und Grüne sind dagegen. SPD, CDU/CSU und FDP schweigen. Thema Onlinehandel mit Heimtieren: Grüne und Linke wollen eine strenge Regulierung. SPD, CDU/CSU und FDP schweigen. Thema Zucht und Haltung von Heimtieren: Grüne und Linke wollen bessere Standards. SPD, CDU/CSU und FDP schweigen. Thema Pelztiere: Die Grünen wollen ein Verbot der Haltung und der Vermarktung von Pelzen. Die Linke regt zumindest ein Ende des Handels an. SPD, CDU/CSU und FDP schweigen. Thema Tierversuche: Grüne, Linke und immerhin auch die SPD wollen Ausstiegsstrategien. Schweigen herrscht in dieser Frage bei CDU/CSU und FDP.

„Linke und Grüne gehen das offensiv an, sehr konkret“, lobt Lasse van Aken, Kampagnensprecher „Nachhaltige Landwirtschaft“ bei Greenpeace Hamburg. „CDU/CSU und FDP bleiben dagegen oft vage. Da ist dann viel von Mittelfristigkeit die Rede, von der EU. Das ist alles ziemlich fluffy.“

Mehr noch: Während Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen ins Neuland aufbrechen wollen, ist die CDU/CSU stolz auf den von Skandalen und Missständen geprägten Ist-Zustand: „Unsere Tierhaltung“, behauptet ihr Wahlprogramm, gehöre, auch im Hinblick auf die Tierwohlstandards, „zu den besten der Welt“.

Van Aken sieht das anders: „Der Status quo ist der Killer“, sagt er. „Wirtschaftlich und ökologisch.“ Apropos Killer: Manchem Tier will die CDU/CSU nicht mehr Wohl bringen, sondern den Tod: Wie die FDP plädiert sie dafür, den Schutzstatus des Wolfs aufzuweichen, was Abschüsse erleichtert.

Es zeige sich „eine Zweiteilung beim Tierschutz“, bestätigt Peter Höffken, Fachleitung Kampagnenteam, Peta Deutschland, Stuttgart. „Während Union, SPD und FDP bei der Nutzung von Tieren im Wesentlichen auf ein ‚Weiter so‘ mit allenfalls geringfügigen Verbesserungen setzen, wären mit den Grünen und Die Linke deutliche Fortschritte beim Tierschutz zu erwarten.“

Eine gänzliche Abkehr von Produkten tierischer Herkunft werde „leider von keiner der etablierten Parteien gefordert“, sagt Höffken. Der aus ethischen und Umweltschutzgründen dringend erforderliche Paradigmenwechsel „bezüglich der Ausbeutung von fühlenden Lebewesen, die einer anderen Art als dem Mensch angehören“, sei „noch nicht angekommen“.

„Unsere Tierhaltung gehört zu den besten der Welt“

CDU-Wahlprogramm „Gemeinsam für ein modernes Deutschland“, S. 50f

Bei den Grünen und Linken gehe man in Sachen Tierschutz „am stärksten voran“, konstatiert auch Rüdiger Jürgensen, Geschäftsführer der Hamburger Tierrechtsorganisation „Vier Pfoten Deutschland“. „Dazu gehören sehr wichtige Vorstöße wie eine deutliche Reduktion der Tierbestände und eine klimagerechte Tierhaltung. Auch Hochleistungszucht sowie Käfig- und Anbindehaltung sollen der Vergangenheit angehören.“ Die Wahlprogramme von SPD, FDP und CDU/CSU „beschäftigen sich nicht so detailliert mit dem Thema Tierschutz“, bilanziert er. Dass die Union Deutschlands landwirtschaftliche Tierhaltung zu den besten der Welt zählt, empört ihn: „Das sehen Millionen von leidenden Tieren sicherlich anders.“

Und sie leiden nicht nur in der Landwirtschaft. Seit dem Streicheltierbedarf der Corona-Lockdowns besonders in der Kritik: der illegale Welpenhandel, oft halbanonym über das Internet. Aber Greenpeace-Kampagnensprecher van Aken relativiert: „Das ist schlimm, klar. Aber da geht es, etwa im Vergleich zu unseren 25 Millionen Schweinen, um kleine Zahlen, wie auch bei den Wildtieren im Zirkus.“ Van Aken hofft auf einen großen Strukturwandel: „Wenn wir die Zahl der Tiere an die zur Verfügung stehende Fläche koppeln, etwa pro Hektar nur noch 1,5 Großvieheinheiten zulassen, wie die Linke es fordert, würden sich die Bestände drastisch reduzieren, und genau das brauchen wir.“

Aber derart konkrete Zahlen enthalten die Wahlprogramme selten. Wenn bei der Union Sätze stehen wie „Wir verbessern kontinuierlich den Tierschutz“, hört sich das nicht so an, als ob bald viel passiert. Auch ihr Ziel, lieber Fleisch zu transportieren statt lebender Tiere, klingt vage. Klar, die FDP will ein „transparentes und verpflichtendes Tierwohllabel“, aber eben „in der gesamten Europäischen Union“. Das kann dauern.

„Von den großen Parteien wird das Thema Tierschutz nur mit Floskeln in den Parteiprogrammen berücksichtigt“, sagt Jan Peifer, 1. Vorsitzender des Deutschen Tierschutzbüros, Berlin. „Es sind wohlklingende Formulierungen nach schonendem und respektvollem Umgang mit dem Tier. Wie dies aber konkret erfolgen soll, wird nicht beschrieben.“ Das sei seit Jahren ein Problem und „ein Grund, warum wir den Menschen empfehlen, selbst aktiv zu werden und sich vegan zu ernähren“.

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