Wohnungsnot in München: Bodenständig bleiben

Nirgendwo in Deutschland zahlt man so viel Miete wie in München. Nun wird über eine Verschärfung bei der sozialgerechten Bodennutzung entschieden.

Luftbild Altstadt München mit Frauenkirche

Für viele unbezahlbar: eine Wohnung in der Münchner Innenstadt Foto: Heinz Gebhardt/imago

„Die Wohnungssuche in den Großstädten der Bundesrepublik, insbesondere in München, ist eine Tätigkeit, die von der ganzen Person Besitz ergreift. Man lernt am eigenen Leib die Auswirkungen der spätkapitalistischen Ordnung kennen“, schrieb die Schriftstellerin Gisela Elsner, die viele Jahre ihres Lebens in der bayrischen Landeshauptstadt verbracht hat.

Zweimal die Woche versammelten sich „die Wohnungssuchenden von München“ vorm Verlagsgebäude der Süddeutschen Zeitung und es entstünde ein „regelrechtes Handgemenge“ um die druckfrischen Mittwoch- und Freitagausgaben mit den Wohnungsinseraten. Bei günstigen Angeboten ginge es „um Minuten, wenn nicht gar um Sekunden.“

Der zitierte Text „Gläserne Menschen“ stammt aus dem Jahr 1983. Wohnungssuchende lesen schon lange keine Zeitungsinserate mehr, aber wer heute die digitalen Immobilienportale für München nach bezahlbaren Wohnungen durchscrollt, hat womöglich trotzdem ein Déjà-vu. Seit Jahrzehnten ist in München der Wohnraum knapp und die Mietpreise liegen im bundesweiten Vergleich mit Abstand auf Platz eins. Bei Neuvermietung stehen sie mittlerweile bei über 20 Euro Netto kalt.

Dem stetig hohen Druck auf die Mieten steht in München allerdings auch eine lange Tradition wohnungspolitischer Steuerungsversuche gegenüber. Eines dieser Instrumente ist die 1994 eingeführte Sozialgerechte Bodennutzung, kurz Sobon. Sie soll in Neubauquartieren eine soziale Mischung garantieren, in dem sie einen bestimmten Anteil von geförderten Wohnungen vorschreibt. Investoren und Bauträger werden außerdem dazu gezwungen, sich an den Kosten für Infrastruktur wie Straßen, Grünflächen, Kitas und Schulen zu beteiligen. Mittlerweile gibt es ähnliche Modelle in den meisten Großstädten und Ballungsgebieten.

„Eindeutig zu schwach“

An diesem Mittwoch entscheidet der Münchner Stadtrat auf Initiative der grün-roten Regierungskoalition über eine Verschärfung der Sobon. Denn die jüngste Reform von 2017, damals regierten SPD und CSU, sei „eindeutig zu schwach gewesen“, findet Anna Hanusch, Fraktionsvorsitzende der Grünen/Rosa Liste.

Die Neuerung, wie Grün-Rot sie vorschlägt, sieht vor, dass auf privaten Flächen, für die die Stadt neues Baurecht schafft, 80 Prozent Mietwohnungen entstehen müssen (bisher 40 Prozent), davon 60 Prozent geförderte und preisregulierte Wohnungen (bisher 40 Prozent).

Die Bindung sowohl für Mietwohnungen als auch geförderter Wohnraum steigt auf 40 Jahre (bisher 25 bis 30 Jahre). Außerdem erhöht sich der Anteil, den die Bau- und Immobilienwirtschaft an den Infrastrukturkosten tragen müssen von 100 auf 175 Euro pro Quadratmeter.

Gleichzeitig soll ein Punktemodell nach dem Baukastenprinzip gelten. Investoren und Bauträger können bei den vier genannten Grundbausteinen die „Regler verschieben“, so Hanusch. „Wer an einer Stelle runtergeht, muss dafür an anderer Stelle hochgehen“. Zusätzliche Punkte gibt es, wenn Investoren einen Teil des Grundstücks günstig an die Stadt oder an eine Genossenschaft verkaufen. Nur wer die volle Punktzahl erreicht, darf bauen.

Durchaus erfolgreich

Christian Stupka ist Genossenschaftsgründer und Sprecher der Münchner Initiative für ein soziales Bodenrecht. Er betrachtet die Sobon durchaus als Erfolg: „In den letzten 25 Jahren sind im Rahmen von Baurechtsschaffungen über 16.000 preisgebundene Mietwohnungen entstanden und von den privaten Investoren Millionen in die Infrastruktur geflossen, die sonst die Allgemeinheit hätte aufbringen müssen.“

Nach der neusten Sobon werden mindesten 50 Prozent aller Wohnungen preisgebunden. Optimistisch, dass sich die Mietsituation in naher Zukunft entspannen könnte, ist Stupka dennoch nicht. Dafür seien insgesamt einfach zu viele Wohnungen in München dem Marktgeschehen unterworfen.

Das Geschehen auf dem Münchner Mietmarkt ist vor allem bestimmt durch die extrem hohen Baulandpreise. Der letztes Jahr verstorbene ehemalige Münchner Oberbürgermeister und Bundesbauminister Hans-Jochen Vogel (SPD), rechnete in einem 2020 erschienenen Manifest für eine neue Bodenordnung vor, dass die Baulandpreise in München zwischen 1950 und 2017 um sagenhafte 39.390 Prozent gestiegen seien.

Vor allem seit der Finanzkrise von 2008/09 ist Boden weltweit zum Spekulationsobjekt geworden. Mittlerweile kostet ein Quadratmeter Bauland in München durchschnittlich knapp 2.400 Euro und der Anteil der Baulandkosten an den Baukosten beträgt fast 80 Prozent.

Neue Bodenpolitik

Wie soll unter solchen Bedingungen bezahlbarer Wohnraum entstehen? Die Sobon mag auf kommunaler Ebene ein gutes Mittel sein, pro Jahr eine bestimmte Anzahl geförderter Wohnungen zu schaffen, doch sie kann steigenden Bodenpreise und damit steigende Mieten nur in einer kleinen Nische etwas entgegensetzen.

Um wirklich etwas an der Wohnungsmisere in München und anderswo zu ändern, braucht es sowohl auf kommunaler als auch auf Bundesebene eine neue, gemeinwohlorientierte Bodenpolitik, so wie sie unter anderem die Münchner Initiative für ein soziales Bodenrecht und das im Frühjahr gegründete bundesweite „Bündnis Bodenwende“ fordern. Sonst werden mit den Bodenpreisen auch die Mieten weiter steigen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.