Queeres Leben auf dem Land: Vergesst die Fläche nicht!

Im ländlichen Raum und in Ostdeutschland mangelt es an Strukturen für LGBTI. Die Bundespolitik sollte einen Rahmen für buntes Leben schaffen.

Fahrradfahrende mit Regenbogenmasken

Corona brachte auch neue CSD-Formen. Hier eine Fahrraddemo Foto: dpa/Roberto Pfeil

Queere Perspektiven auf die Wahl gibt es viele, aber nur wenige werden ernsthaft einbezogen in politische Programme und Entscheidungen. Häufig fehlen intersektionale Perspektiven, beispielsweise jene aus dem ländlichen Raum, von ostdeutschen, älteren, sexarbeitenden, migrantisierten oder jüdischen queeren Menschen.

Die meisten öffentlich wahrnehmbaren queeren Stimmen zu Wahlen orientieren sich an rechtlichen Forderungen wie die der vollständigen Gleichstellung homosexueller Paare bis hin zu dem simplen Recht auf Selbstbestimmung. Alle davon sind relevant, schaffen sie doch eine Grundlage für queere Menschen, ihr Leben selbstbestimmt, anerkannt und respektiert leben zu können.

Dass das nicht selbstverständlich ist, ist vielen trans*, inter* oder auch anderen queeren Menschen leider nur zu bewusst, nicht aber gesamtgesellschaftlich angekommen. Denn pro forma sieht es doch so aus, als seien hierzulande alle offen, wenn selbst konservative Politiker_innen verlauten lassen, sich gegen Diskriminierung und Ausgrenzung starkmachen, und Stadien in Regenbogenflaggen erleuchten zu wollen.

Doch ging es dabei um eine rein symbolische Handlung, um durch vermeintliche Homofreundlichkeit die eigene Überlegenheit gegenüber anderen Ländern zu verdeutlichen. Tatsächlich zeigte sich zuvor eine ganz andere gesellschaftliche Stimmung, nämlich als die Entwürfe für ein Selbstbestimmungsgesetz, das unter anderem die Möglichkeit auf einen selbstbestimmten Geschlechts­eintrag ermöglichen sollte, mit den Stimmen der SPD im Bundestag abgelehnt wurden und sich zugleich die diskriminierenden Kommentare dazu überschlugen.

Alte Stereotype und Vorbehalte

Dabei tauchten wieder die klassischen Stereotype und Vorbehalte auf: Mal war die Rede von einer Minderheit, die doch zu klein sei, um so viel Aufmerksamkeit zu bekommen, mal mutierte die Minderheit zu einer Bedrohung, die einer Mehrheit ihre Weltsicht aufzwingen und die Welt der normativen Zweigeschlechterordnung revolutionieren wolle – keine unschöne Vorstellung eigentlich, für manche in der Mehrheit jedoch ein Schreckgespenst.

Dann wurde sich wahlweise um die Kinder gesorgt oder um cis dyadische Frauen und darum, wie Männer sich „ummelden“ würden, um die Frauenquote zu umgehen, oder – das altbewährte Motiv des Gewalttäters in Frauenkleidern bedienend – sich in den Frauenknast einzuschleichen.

Deutlich wurde in den Debatten und Kommentaren wieder, dass es um viel mehr geht als die rechtlichen Regelungen, nämlich um das gesellschaftliche Klima denjenigen gegenüber, die aufgrund unterschiedlicher Merkmale als anders markiert und wahlweise von der Dominanzgesellschaft diskriminiert oder toleriert werden – gerade eben dann, wenn diese sich aufmachen, Anerkennung, Gleichberechtigung und Teilhabe einzufordern.

Stereotype und Vorurteile sind es, die den Nährboden schaffen für strukturelle und individuelle Diskriminierung und Gewalt. Das ist umso spürbarer, je isolierter ein Mensch lebt, je weniger erreichbar unterstützende Strukturen oder Menschen mit ähnlichen Erfahrungen sind. Aber auch, je weniger antidiskriminierende Sensibilisierung es im Umfeld gibt.

Es braucht Strukturen und Ressourcen

Um aber einer diskriminierenden Grundstimmung gegen Menschen, die abweichen von „normal“, etwas entgegensetzen zu können, müssen Menschen sich vernetzen können. Zugleich ist die Dominanzgesellschaft herausgefordert, sich in oft zähen und auch schmerzhaften Prozessen zu sensibilisieren. Dafür wiederum braucht es Strukturen und Ressourcen – gerade im ländlichen Raum und in strukturschwachen Regionen und auch gerade in Ostdeutschland.

Denn diese Perspektiven fehlen oft völlig, wenn über queere Leben in Deutschland gesprochen wird. Dabei gibt es hier weit seltener gewachsene Strukturen, viele Nischen brachen mit der Wende weg und neue etablierten sich nur schwer.

Zwar gibt es fast überall lokale Gruppen (siehe Kasten), die sich organisieren und sich einsetzen – gegen Rassismus und Antisemitismus, gegen Antiromaistischen Rassismus, gegen Trans- und Interfeindlichkeit, gegen Homodiskriminierung, gegen rechts und für eine demokratische Kultur. Doch fehlt nicht selten der Rückhalt in der Bevölkerung, fehlt fast immer die Kontinuität. Und auch hier konzentriert es sich wieder auf die wenigen größeren Orte.

Auf den Dörfern fehlt oft jede Struktur. Mobilität kostet Geld und ist zugleich nicht selten verbunden mit Diskriminierungserfahrungen in öffentlichen Verkehrsmitteln. Diese resultieren aus Vorbehalten, Angst und auch rechtem Hass.

Raum, um etwas „Normales“ zu tun

Dabei braucht es für so viele – beispielsweise ältere weiße trans* Menschen oder queere Migrant_innen, die in Geflüchtetenunterkünften leben müssen – im ländlichen Raum in Ostdeutschland oft erst einmal überhaupt einen Raum, einen Moment, um einfach sein zu können, durchzuatmen, etwas „Normales“ zu tun, wie gemeinsam einen Tee zu trinken. (Sicher braucht es solches auch im Westen, Norden oder Süden, nur kenne ich mich dort mit den lokalen Gegebenheiten nicht aus.)

Zugleich braucht es Sensibilisierung, jahrelange Präsenz und eine beharrliche Thematisierung dessen, was unbequem ist. Dafür sind Kulturveranstaltungen, Räume für Austausch und politische Verständigung notwendig. Im letzten Jahr war ein Demokratiefördergesetz angedacht und scheiterte an der Union.

Ob dieses Gesetz nun die Strukturen geschaffen hätte, die es braucht, können wir nur mutmaßen. Aber vielleicht wäre es ein Anfang gewesen, um nachhaltige, langfristige Projektstrukturen zu etablieren, die es so dringend braucht. Damit sich Lebenswelten auch jenseits der Metropolen und Gesetzeslagen ändern und um alltäglichen Diskriminierungen und Gewalterfahrungen etwas entgegenzusetzen.

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