Nachruf auf Künstler Christian Boltanski: Dem Tod auf der Spur

Sorge war ein Erbe seiner Kindheit, Erinnerung an die Verstorbenen ein Lebensthema. Nun ist der französische Künstler Christian Boltanski gestorben.

Boltanski steht in einer Ausstellung, auf dem Boden liegen SToffe

Christian Boltanski 2010 während des Aufbaus einer Ausstellung im „Grand Palais“ in Paris Foto: Fred Dufour/afp/dpa

Sein letztes großes Langzeitprojekt, die Audio-Arbeit „Les Archives du Coeur“, fand noch vor der Coronapandemie auch im taz-Haus in der Rudi-Dutschke-Straße statt. Im Restaurant „Sale e Tabacchi“ von Gianpiero De Vitis, mit dem Christian Boltanski befreundet war, stand eine Holzbox, und wer in sie eintrat, dessen Herztöne wurden aufgezeichnet und aufbewahrt.

Jetzt, am 14. Juli, mit 76 Jahren, hat sein eigenes Herz aufgehört zu schlagen. Weil aber selbstverständlich auch sein Rhythmus aufgenommen und konserviert wurde, ist sein Pochen auch nach seinem Tod noch immer zu hören, in Berlin, in der Galerie Kewenig, wo noch bis Ende Juli seine Ausstellung mit dem nun noch vieldeutigeren Titel „Danach“ läuft.

Das Herzschlagarchiv war die Ausnahme von der Regel, denn es standen die Archive der Toten im Zentrum seines Werks. Die aus gutem Grund gerne seriell angelegten Archive – gestapelte Zinkkisten mit vorne wie Etiketten aufgeklebten Fotoporträts, die Wandarbeiten mit langen Reihen unscharfer Fotoporträts in Schwarzweiß, die Tunnel muffiger Kleiderberge – erinnerten nicht nur, aber doch vor allem an die Opfer des Holocaust und des Naziregimes.

Gestorben wird immer individuell

Dabei kulminierten Boltanskis künstlerische Strategien wider das Vergessen in der Mahnung nicht zu verdrängen, dass immer individuell gestorben wird, inmitten des massenhaften Mordens oder inmitten der durch rücksichtslose Politiker und ihre Fehlentscheidungen immer weiter befeuerten Pandemie.

In der Familie des 1944 in Paris kurz nach der Befreiung Frankreichs geborenen Christian Liberté Boltanski war der Holocaust Thema. Der Vater, ein zum Katholizismus konvertierter Jude, hatte die Besetzung unter dem Fußboden seines Elternhauses überlebt. Angst war ein Erbe, das Kind soll sich nicht getraut haben, das Haus alleine zu verlassen. In einem Interview sagte Boltanski, „ich bin kein Jude und ich interessiere mich wenig für jüdische Traditionen. Aber ich bin ein Kind der Schoa.“

Und so war der dreifache documenta-Teilnehmer dem Tod in seinem Werk von Anfang an auf der Spur. Freilich, daran erinnert sein prominenter Auftritt bei der Biennale von Venedig 2011, zwangsläufig auch dem Leben. Die industriellen Laufbänder mit den schwarzweißen Fotoporträts sind noch gut in Erinnerung, wie sie in endloser Abfolge die Gesichter von Babys durch den Raum transportierten, als eine endlose Massenproduktion. Und was die Installation auch deutlich macht: Ihm waren alle Mittel recht.

Boltanski arbeitete mit Fotografie, Tonaufzeichnung, Film, Buchdruck oder den Möglichkeiten der Installation. Als Künstler war er Autodidakt, er setzte auf die Einfachheit seiner Mittel. Wenn er wie jetzt bei Kewenig die im Raum ausgelegten Glühbirnen nach und nach erlöschen lässt, bis das pure Schwarz herrscht, dann bricht sich das feierliche Pathos dieses Memento mori an dem Wirrwarr der Stromkabel am Boden, die es für den Stromtransport eben braucht. Auch wenn die Wirkung seiner Arbeiten manchmal ins Fragwürdige, in eine über die Jahrzehnte allzu bekannte Trauerästhetik abzugleiten schienen, ein Zuviel war bei genauer Betrachtung seiner Arbeiten nie auszumachen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.