talk of the town
: Gepflegte Feindbilder

Baerbock benutzt in einer Talk-Show das N-Wort, entschuldigt sich vor der Ausstrahlung dafür und macht es auch sonst besser als bisher. Ergebnis ist ein rechter Shitstorm

Nicht das erste Mal Ziel eines Shitstorms von rechts: die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena ­Baerbock Foto: Fabian Sommer/dpa

Von Carolina Schwarz

Auf einen neuen Skandal um die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, muss man dieser Tage nicht lange warten. Aktuell geht es um die Reproduktion rassistischer Sprache in einem Interview. Während Baer­bock Konsequenzen aus ihrem Fehler zieht, nutzen Konservative und Rechte den Vorfall, um lang gepflegte Feindbilder zu verstärken.

Aber was war passiert? Vergangenen Dienstag war Baerbock in der Tachles-Arena des Zentralrats der Juden zum Interview zu Gast. In dem Gespräch über Antisemitismus und Rassismus erzählt sie eine Geschichte aus dem Schulunterricht des Sohnes einer Bekannten. Der Sohn hatte sich geweigert, eine Bildergeschichte zu einem Arbeitsblatt zu schreiben, auf dem das N-Wort stand. Daraufhin wurde ihm vorgeworfen, den Schulfrieden zu stören. Baerbock erzählt die Geschichte, um diskriminierende Bildungsinhalte an Schulen zu kritisieren, spricht aber in ihrer Nacherzählung die rassistische Bezeichnung aus.

Ein weiteres Beispiel für die Obsession nicht-Schwarzer Menschen mit dem N-Wort

Das Interview soll erst Anfang August ausgestrahlt werden. Am Sonntagnachmittag machte Baerbock jedoch selbst auf diesen Fehler bei Twitter aufmerksam und entschuldigte sich dafür, rassistische Sprache reproduziert zu haben: „Leider habe ich in der Aufzeichnung des Interviews in der emotionalen Beschreibung dieses unsäglichen Vorfalls das N-Wort zitiert.“ Und weiter: „Das war falsch und das tut mir leid. Denn ich weiß ja um den rassistischen Ursprung dieses Wortes und die Verletzungen, die Schwarze Menschen unter anderem durch ihn erfahren.“ Bei der Ausstrahlung, und auch schon in dem Ausschnitt der Sendung, den Baerbock bei Twitter veröffentlicht hat, wird das Wort deswegen ausgepiept.

Rassistische Sprache zu reproduzieren und damit Betroffene zu retraumatisieren und herabzuwürdigen, ist falsch und sollte gerade einer Spit­zen­po­li­ti­ke­r:in nicht passieren. Doch Baerbock hat ihr eigenes Verhalten reflektiert, ihren Fehler erkannt, sich darum bemüht, dass er behoben wird, und sich bei Betroffenen entschuldigt. Damit könnte der Vorfall erledigt sein. Geht es bei diskriminierungsfreiem Sprechen ja nicht darum, keine Fehler machen zu dürfen – sondern diese einzugestehen, wenn sie passiert sind, zu reflektieren und sie künftig zu meiden. In Wahlkampfzeiten gäbe es nun also Drängenderes, dem sich Medien und die Zivilgesellschaft zuwenden sollten.

Dass wir uns nun aber doch an dieser Stelle damit beschäftigen sollten, liegt daran, dass Konservative und Rechte den Vorfall nutzen, um Stimmung zu machen. Die Bild-Zeitung berichtete zuerst von Baerbocks Entschuldigung. Verschiedene Journalist:innen, wie Judith Sevinc Basad von der Bild oder Falter-Chefredakteur Florian Klenk mischten sich in die Diskussion über den Gebrauch des N-Wortes ein. Es entspann sich ein von rechts dominierter Shitstorm gegen Baerbock, mit den vorhersehbaren Schlagworten: Selbstzensur, links-grün-versifft, politische Korrektheit, Sprachpolizei. Es dauerte nicht lange, bis die rassistische Bezeichnung, abgekürzt und ausgeschrieben, in die Twitter-Trends gelangte. Es ist ein erneutes Beispiel für die Obsession von einigen nicht-Schwarzen Menschen mit dem N-Wort.

Doch das Auspiepen des N-Wortes hat mit Selbstzensur nichts zu tun, sondern damit, Schwarze Menschen nicht verbal degradieren und demütigen zu wollen. Die Bezeichnung, die in ihrer wörtlichen Übersetzung lediglich „Schwarz“ bedeutet, war niemals wertfrei, sondern schon immer ein diskriminierender Begriff. Im Zuge der Entwicklung der Rassentheorie im 18. Jahrhundert kam er in die deutsche Sprache und ist eng mit der Kolonialgeschichte verbunden. Seitdem wird der Ausdruck strategisch genutzt, um Schwarze Menschen als primitiv und minderwertig darzustellen. Die Nutzung des N-Wortes ist also 1:1 die Verbalisierung von rassistischen Denkmustern, in denen die weiße Vorherrschaft manifestiert wird.

Einige bestehen in der aktuellen Diskussion trotzdem weiterhin darauf, das Wort zu nutzen, und fordern, die Verwendung von Kontext und Motivation abhängig zu machen. Und natürlich spielt es eine Rolle, wer das Wort nutzt, und es ist auch ein Unterschied, ob es als direkte Beleidigung oder als Zitat genutzt wird. Auch deswegen ist der bei Twitter getätigte Vergleich von Martin Luther King oder der von der Bild-Zeitung aufgegriffene von Boris Palmer, der den Fußballspieler Dennis Aogo mit dem N-Wort bezeichnete, mit Baer­bock fehl am Platz. Auch weil Baerbock sich im Vergleich zu Palmer entschuldigte und Konsequenzen aus ihren Fehlern zieht. Doch auch wer das Wort nutzt, um auf diskriminierende Inhalte aufmerksam zu machen, beleidigt, triggert und verletzt Schwarze Menschen. Die Reproduktion durch Nichtbetroffene ist also niemals in Ordnung – weder als Zitat noch als Satire getarnt.