Brand im griechischen Lager Moria: Lange Haft für vier Geflüchtete

Ein Gericht verurteilt vier Männer wegen Brandstiftung im Flüchtlingslager Moria. Im Schnellverfahren und aufgrund einer einzigen Zeugenaussage.

Vier Männer sitzen in der Mitte eines Gerichtssaals, von hinten fotografiert. Auf den Zuschauerrängen sitzt nur eine einzige Person.

Die Verurteilten im Gerichtssaal auf der Insel Chios Foto: Hami Roshan

CHIOS taz | Bereits in den frühen Morgenstunden werden die vier jungen Männer unter großen Sicherheitsmaßnahmen in das Gerichtsgebäude gebracht. Polizisten sperren mit Motorrädern und SUVs die Straßen um das Gerichtsgebäude ab. Die Anwältin der Angeklagten tritt vor eine kleine Menge und prangert mangelhafte Beweislage, Fehlverhalten der Staatsanwaltschaft sowie fehlende Akteneinsicht an.

Neun Monate nach dem verheerenden Brand im Flüchtlingslager Moria, bei dem 13.000 Fluchtsuchende ihre Unterkunft verloren hatten, stehen an diesem Samstag vier junge Asylsuchende aus Afghanistan vor Gericht.

Der Richter beginnt den Prozess mit den Worten: „Hier sind also die Brandstifter.“ Laut offizieller Ausweispapiere waren drei der vier zum Zeitpunkt des Brandes minderjährig. Das Gericht akzeptiert keine weiteren Dokumente und fährt mit dem Prozess fort.

Nach Angeben der Strafverteidigung basiert die Anklage zum größten Teil auf Aussagen eines Asylbewerbers, der zum Zeitpunkt des Brandes ebenfalls im Flüchtlingslager Moria lebte. Er warf insgesamt sechs jungen Männern vor, die Brandstifter gewesen zu sein.

Bei dem Augenzeugen handelt es sich um einen Afghanen von der Volksgruppe der Paschtunen, die bereits mehrfach im Flüchtlingslager Moria mit Fluchtsuchenden der ethnischen Gruppe der Ha­zara Auseinandersetzungen hatten und ihnen mehrfach Verbrechen vorwarfen, die sich im Nachhinein als unwahr herausstellten. Der Konflikt zwischen den Gruppen wurde vom Gericht nicht berücksichtigt, da es laut Staatsanwaltschaft innerhalb Griechenlands keine Konflikte zwischen Flüchtlingen gibt.

Der Zeuge ist jetzt nicht auffindbar, weder bei der Anhörung am Freitag noch am Prozesstag. Dafür hat er bereits zwei Wochen nach dem Brand einen Aufenthaltstitel für Griechenland erhalten. Laut Verteidigung befindet sich der Kronzeuge, auf dessen Aussage dieser Prozess basiert, in Deutschland. Polizeiangaben zufolge hat er die jungen Männer nicht am Tag des Brandes, sondern erst einen Tag danach gesehen.

Als weitere Zeugen werden 25 Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, Polizisten und Feuerwehrleute aufgerufen. Einer der ersten Zeugen ist eine niederländische Mitarbeiterin von Ärzte ohne Grenzen. Vor ihrer Aussage fragt der Richter, warum ihr Land nicht mehr Flüchtlinge aufnimmt und was eigentlich die Niederlande gegen Corona tun. „Wenn es doch so viele Flüchtlinge in Holland gibt, warum bist du dann hier?“

UNHCR-Mitglieder durften nicht vor Gericht erscheinen

Ein Polizeibeamter kann die jungen Männer identifizieren und mit seiner Aussage entlasten, was aber nichts nützt. Mitarbeiter des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, die zum Zeitpunkt des Brandes vor Ort waren, durften nicht vor Gericht erscheinen, um ihre Aussagen zu machen. Das Gericht begründet diese Entscheidung mit der Covid-19-Pandemie und Hygienevorschriften.

Laut Aussage der Verteidigung werden diese Hygienevorschriften durch fünf zusätzliche Polizisten vom Gericht selbst missachtet. Auch zwei angeforderte Prozessbeobachter der Verteidigung dürfen das Gebäude nicht betreten.

Am Ende werden die vier jungen Asylsuchenden aus Afghanistan zu jeweils zehn Jahren Haft verurteilt. Die zwei weiteren hatten bereits zuvor je fünf Jahre bekommen. Die Verteidigung sowie Beobachter vor dem Gebäude werfen dem Gericht vor, es verstoße vorsätzlich gegen die Europäische Menschenrechtskonvention: Schuldspruch und Urteil seien bereits vor dem Prozess bekannt gewesen. Und: Laut griechischer Verfassung sind Gerichte dazu verpflichtet, Tonaufnahmen zu erstellen – am Prozesstag gab es kein Aufnahmegerät.

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