Sex, Gender und Religion: Explosiv und infektiös

Sexualität, Geschlecht und Glaube: eine Themenkombi mit Wumms, der sich Berlins Unis forschend annähern – Publikumsbeteiligung erwünscht.

„Die Erschaffung Adams“: Deckenmalerei „in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan in Rom Foto: dpa

Sinnlich und infektiös, reguliert und befreiend, exzessiv und voller Gewaltpotenzial. Sex ebenso wie auch Religion – schon diese Oberbegriffe sind ja schwierig – haben nichts an gesellschaftlichem Wumms verloren. Re­li­giö­se Systeme und Institutionen prägten und prägen nachhaltig Debatten, Geschlechterbilder und sexuelle Normen. Das gilt auch für das nur vermeintlich religiös unmusikalische Berlin.

Religiös aufgeladene Männermacht begünstigte am katholischen Canisius-Kolleg, und nicht nur dort, sexualisierte Gewalt. Für manche säkulare Se­na­to­r*in­nen und Fe­mi­nis­t*in­nen endet die Selbstbestimmung von Kopftuch tragenden Lehrerinnen noch immer an der Schultür. Und was hilft ein vielfaltssensibler Biologieunterricht, wenn die Erziehungsberechtigten zu Hause von gottgegebener Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität überzeugt sind?

„Religion, Geschlecht und Sexualität“ heißt eine Podcastreihe an der FU. Alle Folgen auf t1p.de/w1vu.

„Religion* Macht Sex*. Geschlechterbilder in den Religionen“ ist der Titel einer Onlineringvorlesung an der HU. Das Programm findet sich auf gender-in-den-theologien.hu-berlin.de. Die nächsten Vorträge finden am 2., 9.,16., 23. und 30. 6. sowie am 7. 7. statt, am 14. 7. das Wrap-up. Anmeldung über gender-in-den-theologien@hu-berlin.de.

„Berlin, Gott und die Welt“ heißt die Fotoausstellung der Ostkreuzschule in der Guardini Galerie, Askanischer Platz 4. Geöffnet ist sie bis 29. 6. montags bis freitags von 13 bis 18 Uhr. Anmeldung über info@guardini.de. Besuch nur mit negativem Coronatest. (sah)

Aufklärung ist oft das Zauberwort, wenn es im ausfransenden, ambivalenten Feld von Geschlecht, Sexualität und Religion knirscht oder knallt. Es folgt auch einem politischen Wunsch nach Rationalisierung, wenn Berlin sich mehr und mehr zu einem wissenschaftlichen Hub für diesen Themenkomplex entwickelt.

Die Forschenden nehmen ihren öffentlichen Auftrag und die damit gegebene Aufmerksamkeit gerne an. Dabei herrscht weitgehend Konsens unter den Re­li­gions­deu­te­r*in­nen, dass nicht nur die Religion, sondern auch die Aufklärung dialektisch ist. Selbstkritisches und multiperspektivisches Forschen und Lehren trägt dem an Berlins Universitäten Rechnung.

Die Pandemie wiederum sorgt dafür, dass die Ber­li­ne­r*in­nen die Universität nicht einmal mehr betreten müssen, um von diesen akademischen Angeboten Gebrauch zu machen. Die an der Freien Universität geplante Veranstaltungsreihe „Religion, Geschlecht und Sexualität“ beispielsweise wurde zu einem Podcast umgestaltet und ist online frei verfügbar. Die Religionswissenschaftlerin Almut-Barbara Renger und der Anthropologe Christoph Wulf haben ein Programm zusammengestellt, dass Innen- wie Außenperspektiven verschiedener Weltanschauungen versammelt.

Frauen in jüdischen, christlichen und muslimischen Leitungsfunktionen sind dabei Thema wie auch Geschlecht und Sexualität im Buddhismus. Auch mit der Geschlechtlichkeit in modernen paganen Gemeinschaften, die sich am antiken, keltischen, germanischen und slawischen Heidentum orientieren, setzt sich eine Folge auseinander. Der Beitrag des Literaturwissenschaftlers Andreas Kraß dreht sich wiederum um die religiösen Implikationen der Palästinareise des schwulen Berliner Sexualforschers Magnus Hirschfeld.

Unter dem Titel „Religion* Macht Sex*. Geschlechterbilder in den Religionen“ befasst sich eine Onlineringvorlesung der Humboldt-Universität mit den „heißen Eisen“. Die Soziologin Lana Sirri und die Theologin Dina El Omari widmen sich am kommenden Mittwoch etwa den „Feminismen im Islam“. Weitere Veranstaltungen in der Reihe beschäftigen sich mit „Trans* und Buddhismen“, „Gender und Religionsunterricht“ oder dem Komplex „Natürliche Familie? Konservativer Aktivismus, Rechtspopulismus und Retraditionalisierung“.

Diese Ringvorlesung ist die erste öffentliche Veranstaltung der AG „Gender in den Theologien“, die sich nach der Einrichtung eines islamisch-theologischen und eines katholisch-theologischen Instituts an der Humboldt-Universität im Herbst 2019 zusammengefunden hat und von der tra­di­tions­rei­chen evangelisch-theologischen Fakultät der HU koordiniert wird.

Als die Humboldt-Universität noch Friedrich-Wilhelms-Universität hieß, lehrte dort der Religionsphilosoph und Priester Romano Guardini – bis sein Lehrstuhl wegen Unvereinbarkeit mit der nationalsozialistischen Weltanschauung aufgehoben wurde. In der Galerie der Guardini Stiftung am Askanischen Platz ist bis zum 29. Juni noch die Ausstellung „Berlin, Gott und die Welt“ zu sehen. Schü­le­r*in­nen der Ostkreuzschule für Fotografie zeigen dort ihre fotografischen Recherchen zum Religiösen, auch im Verhältnis zu Sexualität und Körper.

In den Arbeiten kommt die ästhetische, auch alltägliche Seite der Religion zum Tragen und erinnert daran, dass selbstkritische Aufklärung über Geschlecht und Sexualität in den Religionen nicht nur an den Universitäten, sondern auch im eigenen Wohnhaus, im Kiez, eben im Alltag möglich ist: in der Begegnung mit Menschen, mit gelebter Religion und Geschlechtlichkeit, mit angeeigneter oder abgestreifter oder vermischter Religion und Geschlechtlichkeit. Was kommt also? Wieder mehr Gelegenheiten zu selbstständiger Forschung.

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