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„10 Kilometer Bewegung am Tag täten uns gut“

Alexander Woll hat Kinder in Coronazeiten untersucht und attestiert ihnen eine miese Fitness

Foto: Archiv

Alexander Woll

Leitet das Institut für Sport und Sportwissenschaft am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Er beschäftigt sich mit Fitness- und Gesundheitsthemen.

Interview Frank Ketterer

taz: Herr Professor Woll, die Ergebnisse Ihrer jüngsten Studie zum Bewegungsmangel von Kindern in Zeiten von Corona haben Sie selbst als „tickende Zeitbombe“ beschrieben.

Alexander Woll: Wir haben drastische Bewegungseinbrüche bei Kindern und Jugendlichen in der Pandemie festgestellt, die dazu geführt haben, dass sich bei 48 Prozent der von uns Befragten die Fitness im zurückliegenden Jahr verschlechtert hat und es gleichzeitig bei 30 Prozent zu einer recht deutlichen Zunahme des Gewichts gekommen ist.

Wen und was haben Sie genau untersucht?

Wir hatten das Glück, dass wir direkt vorm ersten Lockdown repräsentativ für Deutschland 4- bis 17-jährige Kinder und Jugendliche untersucht haben. Das heißt, die Kinder wurden nicht nur körperlich durchleuchtet, sondern es wurden auch motorische Tests durchgeführt und ihr Aktivitätsverhalten erfasst. Die Daten konnten wir vergleichen mit zwei Onlinebefragungen, die wir beim ersten und zweiten Lockdown durchgeführt haben. An der Untersuchung waren 2.720 Kinder und Jugendliche beteiligt, an den beiden Onlinebefragungen jeweils rund 1.700.

Und?

Sowohl beim ersten als auch beim zweiten Lockdown waren Vereins- und Schulsport zumindest größtenteils auf null runtergefahren. Allerdings hatten wir beim ersten Lockdown schönes Wetter, und es gab zudem neue Zeitressourcen, sodass die Kinder mehr draußen waren und ihre Aktivitäten gesteigert haben. Beim zweiten Lockdown ist aber auch noch diese unorganisierte körperliche Aktivität stark eingebrochen. Mittlerweile fehlt nicht nur der organisierte Sport, also jener in Schule und Verein, sondern auch die körperliche Alltagsaktivität. In beiden Bereichen haben wir einen ganz starken Rückgang, was dazu geführt hat, dass die Bewegungszeit pro Tag von 144 Minuten im Frühjahr 2020 auf aktuell nur noch 61 Minuten gesunken ist. Damit liegt das Niveau unter dem vor der Coronapandemie, als sich die Kinder und Jugendlichen etwa 107 Minuten täglich bewegt haben.

Nun ist Bewegungsmangel bei Kindern und Jugendlichen kein prinzipiell neues Problem. Bereits vor Jahren hat die WHO den Bewegungsmangel unter Kinder und Jugendlichen zur Pandemie des 21. Jahrhunderts erklärt.

Das ist sicherlich eines der zentralen Gesundheitsprobleme weltweit. Bewegungsmangel ist auch Ausdruck der zunehmenden Zivilisation, fast schon ein Indikator dafür. In den sogenannten Schwellenländern – man denke da an China oder Indien – nimmt der Bewegungsmangel ganz stark zu und mit ihm auch die klassischen Zivilisationskrankheiten wie Diabetes. Unser Körper ist immer noch im genetischen Programm des Jägers und Sammlers. Deshalb täten uns zehn Kilometer Bewegung am Tag sehr gut.

Dabei muss man feststellen, dass diese Entwicklung mit Corona zunächst einmal nichts zu tun hat.

Nein. Corona hat die Probleme wie auch in anderen Bereichen lediglich verschärft und sichtbarer gemacht. Es hat wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Krisen sind per se ja Phasen beschleunigter Entwicklung. Das gilt für die negativen ebenso wie für die positiven Aspekte.

Im zweiten Lockdown fiel der Wert der Alltagsaktivität von 107 auf 61 Minuten. Das hört sich dramatisch an.

Ja. Und es wird durch den Umstand, dass die Bildschirmzeit um eine halbe Stunde pro Tag auf insgesamt 222 Minuten gestiegen ist, noch dramatischer. In Verbindung mit dem professionalisierten Homeschooling, sitzen die Kinder mittlerweile extrem viel vor dem Bildschirm. Da hat sich noch mal eine deut­liche Verschiebung ergeben.

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