: Der „Diktator“ und das „Sofagate“
Nach einem missglückten Besuch der EU-Spitzen in Ankara liegen in Brüssel die Nerven blank
Aus Brüssel Eric Bonse
Der Besuch war als „Eisbrecher“ geplant. Er sollte die Spannungen zwischen der EU und der Türkei vergessen machen und eine „positive Agenda“ auf den Weg bringen. Doch wenige Tage nach der Visite von Ratspräsident Charles Michel und Kommissionschefin Ursula von der Leyen bei Präsident Recep Tayyip Erdoğan liegen die Nerven schon wieder blank.
Schuld daran ist Italiens Premierminister Mario Draghi – und ein Vorfall in Erdoğans Präsidentenpalast, der als „Sofagate“ in die Geschichte eingeht. Von der Leyen war vom türkischen Protokoll auf ein Sofa verbannt worden, während Herr Michel es sich auf einem Sessel neben Gastgeber Erdoğan bequem machen durfte.
Die Männer thronen, während die Frau allein am Katzentisch sitzen muss – die Bilder aus Ankara haben einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Das Europaparlament hat eine Sondersitzung einberufen.
Die Beziehungen zur Türkei seien wichtig, erklärte die sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende Iratxe García Pérez. „Aber die Einheit der EU und das Respektieren von Menschenrechten einschließlich Frauenrechten ist auch zentral.“ Von der Leyen und Michel müssten deshalb klarstellen, wie es zu dem Eklat kommen konnte.
Doch die tun sich schwer. Von der Leyen ließ ihren Sprecher erklären, dass sie überrascht gewesen sei, den Vorfall aber nicht hochspielen wolle. Ratspräsident Michel äußerte sich zunächst gar nicht. Nach einer Denkpause erklärte er schließlich, es handele sich um einen Fehler des türkischen Protokolls.
Das wies die türkische Regierung umgehend zurück. Man habe sich an die Vorgaben der EU gehalten, sagte Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu. Damit schob er den Schwarzen Peter dem deutschen EU-Botschafter in Ankara, Nikolaus Meyer-Landrut, zu, der die Reise eingefädelt hatte.
In Brüssel diskutiert man nun über die Frage, wer protokollarisch höher steht – der Ratspräsident oder die Kommissionschefin. Von der Leyens Amtsvorgänger Jean-Claude Juncker gab zu Protokoll, dass der Ratspräsident das „Prä“ habe. Die EU-Kommission hingegen besteht auf Gleichstellung.
Sogar in Rom sorgt das „Sofagate“ für Wirbel. Auf Nachfrage erklärte Premierminister Mario Draghi, die „Demütigung“ durch Erdoğan habe ihm missfallen. Man müsse mit „diesen – nennen wir sie, was sie sind – Diktatoren“ eine klare Sprache sprechen. Kurz darauf bestellte die Türkei aus Protest den italienischen Botschafter ein.
Außenminister Çavuşoğlu schrieb auf Twitter, er verurteile Draghis „hässliche und maßlose Äußerungen“. Unterstützung bekam Draghi dagegen von CSU-Vize Manfred Weber, der auch die christdemokratische Fraktion im EU-Parlament führt. Unter Erdoğan habe sich die Türkei „in den vergangenen zehn Jahren von Rechtsstaat, Demokratie und Grundrechten entfernt“.
Die EU-Kommission wollte sich dagegen nicht äußern. „Es ist nicht Sache der EU, ein System oder eine Person zu kategorisieren“, sagte ein Sprecher. In Brüssel hofft man immer noch auf Tauwetter.
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