piwik no script img

Abschiebung nach Afghanistan„Es drohen Verfolgung, Hunger, Tod“

Erstmals organisiert Brandenburg einen Abschiebeflug nach Afghanistan. Linken-Abgeordnete Andrea Johlige kritisiert dies als willkürlich und inhuman.

Abschiebung vom Flughafen Leipzig-Halle 2019 nach Afghanistan Foto: dpa
Interview von Susanne Memarnia

taz: Frau Johlige, am Mittwochabend soll ein Abschiebeflug vom Flughafen BER nach Afghanistan gehen. Berlin und Brandenburg schieben ja eigentlich nur Straftäter ab. Was stört Sie daran?

Andrea Johlige: Erstmal ist Afghanistan nicht sicher, die Sicherheitslage dort hat sich weiter verschärft. Dann hat sich angesichts der Pandemie auch die wirtschaftliche Lage dort verschärft. Inzwischen gibt es daher ein Urteil vom Verwaltungsgerichtshof in Baden-Württemberg, in dem festgestellt wird, dass selbst alleinstehende junge Männer nicht in der Lage sind, vor Ort ihre notwendigsten Bedürfnisse zu befriedigen, also Nahrung, Kleidung und dergleichen. Aus Baden-Württemberg darf darum niemand mehr nach Afghanistan abgeschoben werden. Dieses Urteil sollte auch für Berlin und Brandenburg wegweisend sein. Gerade angesichts der Pandemie finde ich es zudem höchst inhuman, Menschen abzuschieben in ein Land, in dem ihnen Verfolgung, Hunger und Tod drohen.

Protest gegen Abschiebung

An diesem Mittwoch Abend findet nach Informationen des Brandenburger und Berliner Flüchtlingsrats eine Sammelabschiebung vom Flughafen Schönefeld nach Afghanistan statt. Das Land gilt laut Global Peace Index 2020 als das derzeit gefährlichste Land der Welt. Erstmals soll Brandenburg eine Abschiebung dorthin gemeinsam mit dem Bund organisieren, der Brandenburger Flüchtlingsrat befürchtet daher, dass dieses Mal besonders viele Menschen aus Brandenburg betroffen sind. Berlin soll nach Informationen des Berliner Flüchtlingsrats für diesen Flug 2 Abschiebungen angemeldet haben.

Verschiedene Gruppen haben zum Protest gerufen. Treffpunkt ist 18 Uhr am S-Bahnhof BER Terminal 5. (taz)

Auch wenn sie Straftäter sind?

Das stimmt ja noch nicht einmal, dass nur Straftäter abgeschoben werden. In Brandenburg gibt es drei Kategorien von Menschen, die nach Afghanistan abgeschoben werden: zum einen Straftäter, dann Intensivtäter, das sind Menschen, die noch nicht verurteilt wurden für eine Straftat, und „Intensivstörer“. Diese Kategorie hat Brandenburg neu erfunden.

Was soll das sein?

Das sind Leute, die irgendwie mal auffällig geworden sind – genauer definiert ist das nicht, was natürlich sehr problematisch ist. Und wir wissen, dass im Februar sogar ein Mann aus Brandenburg abgeschoben wurde, der ausgebildeter Sanitäter war, keine Straftaten begangen hatte und gerne in der Pandemie gearbeitet hätte. Aber er hat keine Arbeitserlaubnis von der zentralen Ausländerbehörde bekommen. Warum schiebt man so jemanden ab, bitte? Da spielt offensichtlich eine gewisse Willkür mit.

Warum sind beide Landesregierungen so daran interessiert, solche Abschiebungen durchzusetzen, was meinen Sie? In Berlin verstößt das ja sogar gegen den Koalitionsvertrag, der Abschiebungen in Krisenregionen ausschließt.

Zu Berlin kann ich nichts sagen. In Brandenburg wurden, als es noch eine rot-rote Landesregierung gab, drei Personen nach Afghanistan abgeschoben, wogegen wir uns als Linke immer gegen gestemmt haben. Jetzt in der Kenia-Koalition ist das deutlich mehr geworden: wenn ich richtig gezählt habe, wurden seither sieben Menschen dorthin abgeschoben. Außerdem haben wir Wahljahr und die CDU-Innenminister wollen sich natürlich als die starken Männer darstellen, da scheint gerade eine Art Wettbewerb zu laufen, wer der „tollste Abschiebeminister“ ist. Insofern glaube ich, dass es auch politisch motivierter Wahlkampf ist, was der Brandenburger Innenminister gerade macht.

Bild: privat
Im Interview: Andrea Johlige

geboren 1977, ist Landtagsabgeordnete der Linkspartei im Brandenburger Landtag und Sprecherin für Kommunalpolitik, Migrations- und Integrationspolitik und antifaschistische Politik.

Geht das Kalkül denn auf? Was hören Sie von WählerInnen – kommt das gut bei denen an: Straftäter abzuschieben?

Naja, es kommt drauf an, wen man fragt. Derzeit ist es ja so, dass das Thema durch die Pandemie sehr in den Hintergrund getreten ist. Ich würde mir wünschen, dass wir viel mehr darüber reden, wie wir Geflüchtete integrieren, gerade in der Pandemie. Wir können doch ausgebildete Sanitäter gut gebrauchen! Wir haben auch einen riesigen Pflegenotstand – und in Brandenburg gibt es Projekte, mit denen Asylbewerber, auch solche, die bereits abgelehnt wurden, in Pflegeberufen ausgebildet werden können. Über all dies würde ich gerne mehr reden als über Abschiebewettbewerbe. Zumal wir diesmal eine neue Qualität erreicht haben.

Wieso?

Bislang hat Brandenburg sich immer nur beteiligt an Sammel-Abschiebungen, die andere organisiert haben. Dieses Mal scheint es so zu sein, dass Brandenburg zusammen mit dem Bund diese Abschiebung sogar organisiert hat. Das ist schon eine neue Qualität. Ich denke, die anderen beiden Koalitionspartner, SPD und Grüne, sollten mal drüber nachdenken, wie sie damit umgehen. Denn eigentlich lehnen meines Wissens zumindest die Grünen solche Abschiebungen doch ab.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • "Aus Baden-Württemberg darf darum niemand mehr nach Afghanistan abgeschoben werden."

    Das ergibt sich so aus dem zitierten Urteil nicht. Wenn man den Link anklickt steht auch als allererstes "Abschiebungsverbot für alleinstehende gesunde Männer im arbeitsfähigen Alter ohne soziales oder familiäres Netzwerk und ohne Vorliegen sonstiger begünstigender Umstände". Der letzte Teil ist wichtig. Zum Kontext: Es ging um einen Jungen Mann, der als minderjähriger Afghanistan verlassen hatte, dann lange im Iran gelebt hat und glaubhaft machen konnte, in Afghanistan über keinerlei soziale Kontakte mehr zu verfügen. Das kommt zwar durchaus vor , ist aber auch nicht die Regel. Das Urteil ist weniger bei fehlenden Verfolgunsgründen von Interesse, weil bei einer Rückkehr in die Heimatregion idr. ein soziales Umfeld vorhanden sein wird, als vielmehr bei der Zumutbarkeit internen Schutzes, wo ein soziales Netz oft weniger gegeben ist. Es bleibt auch abzuwarten, wie sich die übrige obergerichtliche Rechtsprechung dazu positioniert.

    Aber wie gesagt, dass sich aus dem Urteil ergibt, dass "niemand" mehr nach Afghanista abgeschoben werden darf stimmt als Aussage so nicht. Nochmal aus der Meldung zum Urteil zitiert::



    " Anderes gilt dann, wenn in seiner Person besondere begünstigende Umstände vorliegen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn der Rückkehrer in Afghanistan ein hinreichend tragfähiges und erreichbares familiäres oder soziales Netzwerk hat, er nachhaltige finanzielle oder materielle Unterstützung durch Dritte erfährt oder über ausreichendes Vermögen verfügt. "