Abschiebe-Delegation in Berlin: Wolkige Kriterien
Darüber, wie eine guineische Delegation in Berlin abgelehnte Asylbewerber begutachtet, weiß der Senat nicht viel. Das zeigt eine Anfrage der Linken.
Sie hatten die Innenverwaltung dazu befragt, dass eine Delegation aus Guinea in Berlin abgelehnte und mutmaßlich aus diesem Land stammende Asylsuchende begutachte, um ihnen gegebenenfalls Passersatzpapiere auszustellen und damit ihre Abschiebung zu ermöglichen. Solche Delegationen werden in der Bundesrepublik seit Jahren genutzt, um abgelehnte Asylsuchende ohne Papiere abschieben zu können.
Bemerkenswert ist, wie viel der Senat demnach nicht weiß: etwa, für wie viele Personen aus welchen vermuteten Herkunftsstaaten Berlin in den letzten Jahren Passersatzpapiere zu beschaffen versucht hat. Auch über Sammelanhörungen aus den Jahren 2019 und 2020 lägen „keine Informationen vor“. Laut Senat gibt es nicht einmal Daten darüber, wie viele der in den letzten Jahren durch derartige Delegationen identifizierten Menschen letztendlich abgeschoben wurden.
Schon die Vorbemerkung der Antwort liest sich pampig. Die „grundsätzliche Berechtigung“ der Delegationsanhörung sei „nicht in Zweifel zu ziehen“. Darüber hinaus „verwehrt“ sich die Senatsverwaltung gegen die „Diskreditierung der entsandten Mitglieder der guineischen Expertenkommission“. Es stehe „deutschen Behörden nicht zu, die Auswahl und die Qualifikation der vom Herkunftsstaat ermächtigten Bediensteten in Frage zu stellen.“
Kritik von Flüchtlingsräten
Damit bezieht sich der Senat wohl auf die etwa von den Flüchtlingsräten geäußerte Kritik, es sei völlig unklar, was die von der guineischen Regierung gestellten Beamten überhaupt qualifiziere oder nach welchen Kriterien sie die Nationalität eines Geflüchteten feststellten.
Bezüglich der Qualifikationen verweist der Senat auf eine Kleine Anfrage der Linken im Bundestag aus dem Jahr 2020. Dort aber schrieb die Bundesregierung lediglich: „Die Experten werden aufgrund ihrer Qualifikation und ihrer dienstlichen Stellung ausgewählt.“ Darüber hinaus gibt der Senat nur bekannt, dass die Delegation aus zwei nicht zur guineischen Botschaft gehörigen Männern bestand. Weitere Informationen könne man nicht herausgeben, es habe „Bedrohungen in den sozialen Netzwerken“ gegeben.
Bezüglich der Kriterien, nach denen die Nationalität eines Geflüchteten bestimmt wird, gibt der Senat nun zu, diese seien ihm „im Einzelnen nicht bekannt“. Das verwundert auch deshalb, weil bei den Befragungen laut Senat stets deutsche Beamte anwesend waren. Der Berliner Flüchtlingsrat kritisiert seit langem, dass das wohl häufigste Feststellungssmerkmal, die Sprache, in Anbetracht der in Afrika willkürlich gezogenen Staatsgrenzen keine eindeutige Identifizierung ermögliche. Weigerten sich die Geflüchteten, zu sprechen, liefe das Prozedere letztlich auf Begutachtungen von Körper- und Kopfformen hinaus.
Immerhin ein paar Zahlen
Einige Informationen liefert die Antwort dann aber doch. So ist nun klar, dass insgesamt 85 Personen und in Berlin 37 Menschen vor der guineischen Delegation vorsprechen mussten. Diese habe sich von Oktober bis März in Deutschland und vom 22. Februar bis zum 5. März in Berlin aufgehalten. Scheinbar waren für lediglich sechs der Geflüchteten Berliner Behörden zuständig. Darüber hinaus bestätigt der Senat, dass die Geflüchteten vor der Anhörung durchsucht werden und eine Abschiebung unmittelbar danach prinzipiell möglich ist.
Auf weitere Antworten drängen sich Folgefragen auf. So schreibt der Senat etwa, die Befragungen der Geflüchteten habe nach „guineischen Recht“ stattgefunden. Doch die Vorführungen fanden nicht wie sonst üblich in Botschaften, sondern in Gebäuden deutscher Behörden statt. Wie aber in Deutschland guineisches Recht gelten kann, erklärt die Senatsinnenverwaltung nicht. Auch ist noch unklar, inwiefern die Mitglieder der Delegation vergütet wurden.
Kritik von der Linksfraktion
Niklas Schrader, einer der Fragesteller der Linken, kritisierte gegenüber der taz, die Behörden würde „weder die Qualifikation der Delegationsmitglieder noch die Kriterien, nach denen die Staatsangehörigkeit festgelegt wird“, interessieren. Er hält es für einen „Skandal“, dass „die Bundesrepublik mit undemokratischen Regimen kooperiert“, um „die Abschiebung von Geflüchteten zu erreichen“. Er fordert Innensenator Andreas Geisel (SPD) auf, „die Beteiligung Berlins an diesen unwürdigen Vorführungen beenden und Abschiebungen nach Guinea aussetzen“.
Schrader und Schubert vermuten in ihren Fragen, dass der nächste Abschiebeflug nach Guinea schon für den 20. April geplant sein könnte. Die Innenverwaltung will keine „Auskünfte zu geplanten Chartermaßnahmen“ erteilen. Von der Delegation begutachtete Menschen dürften dem Datum dennoch voller Angst entgegenblicken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Sednaya Gefängnis in Syrien
Sednaya, Syriens schlimmste Folterstätte
Syrische Geflüchtete in Deutschland
Asylrecht und Ordnungsrufe