Munitionsklau in Sachsen

Mehr als 7.000 Patronen sollen Polizisten in Sachsen entwendet haben. Sie landeten bei einem Schießplatzbetreiber, bekannt aus der Nordkreuz-Affäre

Der sächsische Innenminister will das MEK am Standort Dresden „neu aufbauen“

Aus Leipzig und Berlin Sarah Ulrich
und Sebastian Erb

Mindestens 7.000 Schuss Munition sollen Beamte der sächsischen Polizei im November 2018 entwendet haben. Beschuldigt werden insgesamt 17 Beamte des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) Dresden, einer Spezialeinheit des Landeskriminalamts. Vier von ihnen werden Diebstahl, Verstöße gegen das Waffengesetz und Be­stechlichkeit vorgeworfen, 13 weiteren die Beihilfe zum Diebstahl. Auch der Kommando­führer sowie drei Schießtrainer sind unter den Hauptbeschuldigten.

Die Polizeibeamten stehen im Verdacht, die entwendete Munition gegen ein nicht genehmigtes Schießtraining bei Baltic Shooters in Güstrow eingetauscht zu haben. Der Schießplatz in Mecklenburg-Vorpommern wird von Frank T. betrieben, der nach taz-Informationen Teil der rechten Preppergruppe Nordkreuz war und bei dem auch der verurteilte Ex-SEK-Polizist Marko G. trainierte. Bei Frank T. hatte der damalige Landesinnenminister Lorenz Caffier (CDU) zudem eine Pistole gekauft. Nachdem die taz ihn dazu befragt hatte, trat er zurück. Am Dienstag wurden die Vorwürfe an die sächsischen Beamten öffentlich bekannt, nachdem Diensträume des LKA sowie Wohnungen Beschuldigter durchsucht worden waren.

Die Beamten konnten die Munition aus Waffenkammern der Spezialeinheiten entwenden. Die beschuldigten Schießtrainer deklarierten die fehlende Munition als verschossen, weshalb ihr Fehlen nicht aufgefallen sei, sagte Petric Kleine, Präsident des LKA Sachsen, auf einer Pressekonferenz. Die vier Hauptbeschuldigten haben ein sofortiges Dienstverbot auferlegt bekommen, die 13 weiteren Beschuldigten werden zunächst versetzt.

Gegen Schießplatzbetreiber Frank T. ermitteln die Behörden unter anderem wegen mutmaßlicher Verstöße gegen das Waffengesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz, wie der Sprecher der Staatsanwaltschaft Schwerin der taz sagte. Konkret gehen die Er­mitt­le­r:in­nen schon länger dem Verdacht nach, dass sich T. mit gestohlener Behördenmunition bezahlen ließ.

Bemerkenswert ist, dass der Beschuldigte, der Schießplatzbetreiber Frank T., dem die sächsischen Polizisten die Munition übergeben haben sollen, bis heute über seine waffenrechtlichen Genehmigungen verfügt. Laut dem Schweriner Innenministerium hat das Landeskriminalamt bereits im Mai 2019 „rechtsextremistische Bestrebungen“ bei Frank T. festgestellt. Die Waffenbehörde prüfe aber nach wie vor, ob Frank T. seine Genehmigungen verliert, wie der Sprecher des Landkreises Rostock am Dienstag auf taz-Anfrage bestätigte.

Im Innenausschuss des Landtags hatte Staatssekretär Thomas Lenz zwar am 19. November behauptet, T.s „waffenrechtliche Einzelgenehmigungen“ seien diesem bereits entzogen worden. Laut Landkreissprecher hat sich das Innenministerium aber erst einen Tag vor Lenz’ Äußerung an die Waffenbehörde gewandt. Das Innenministerium beantwortet Fragen der taz zu diesem Sachverhalt seit Monaten nicht oder nur ausweichend.

Auf dem Übungsplatz von Frank T. übten Spezialeinheiten aus ganz Deutschland und dem Ausland. LKA-Chef Kleine bestätigte, dass auch sächsische Spezialeinheiten in den Jahren 2017 und 2018 mehrfach dort trainierten. Die besagte Übung im November 2018 war von ihm jedoch nicht genehmigt worden. Unklar ist derzeit noch, warum. Kleine wollte sich zu dieser Frage nicht äußern.

Auf der Pressekonferenz am Dienstag kündigte der sächsische Innenminister Roland Wöller (CDU) Konsequenzen an. Er wolle das MEK am Standort Dresden „neu aufbauen“, um jeden Zweifel auszuschließen. Ob der Munitionsskandal außer für die Beschuldigten weitere personelle Konsequenzen haben wird, sei derzeit noch unklar, so der Innenminister.

Für eine möglicherweise rechtsextreme Gesinnung der Beschuldigten gebe es bislang „keine Anhaltspunkte“, sagte LKA-Chef Kleine. Es gehe in den Ermittlungen nun auch darum, die Dienstaufsicht und die Leitung des LKA zu überprüfen. Er sei „stinksauer und unfassbar enttäuscht“, sagte Wöller.