piwik no script img

Corona als Klassenfrage

Ärmere Stadtteile sind stärker von Corona betroffen – die Ansteckungsgefahr ist höher und die ärztliche Versorgung schlechter. Auf der Hamburger Elbinsel Veddel fordern Ärzte der dortigen Poliklinik darum eine bevorzugte Imfung der Be­woh­ne­r*in­nen43–45

Von Friederike Gräff

Zu Beginn der Coronapandemie schien es, dass wir mit ihr eine ungewohnte Erfahrung sozialer Gleichheit machen würden: Das Virus schien keinen Unterschied zu machen zwischen Arm und Reich, seine Bekämpfung schien ein kollektiver Akt zu sein. Es war, als gäbe es ein neues Bewusstsein dafür, eine Gemeinschaft zu sein und nicht nur eine Ansammlung auseinanderstrebender Egoismen.

Inzwischen sind wir klüger. Neben der Solidarität, die es nach wie vor gibt, kann man sehen, wie Politik, Wirtschaft und du und ich vor allem die eigenen Interessen verfolgen. Und man kann erkennen, dass das Coronavirus durchaus nicht auf dem sozialen Auge blind ist. Mittlerweile ist wissenschaftlich belegt, dass die Infektions- und Todesraten in den ärmeren Vierteln drastisch höher sind als in den reichen. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern auch für Länder wie Großbritannien.

Bislang spiegelt sich diese soziale Dimension aber kaum im praktischen Umgang mit der Pandemie. Vorstöße, die Bevölkerung in ärmeren Stadtteilen bevorzugt zu impfen, verhallen ungehört. Oder sie werden mit Verweis auf die derzeit geltenden Regelungen zurückgewiesen – als ob der Umgang mit der Pandemie nicht notwendigerweise immer wieder ein Neu- und Umdenken erfordere.

Ein Satz, der immer wieder auftaucht, wird durch die Wiederholung nicht weniger wahr: Corona zeige wie ein Brennglas bestimmte Probleme auf. Die Auswirkungen der Privatisierungen im Gesundheitssektor etwa oder die Zurückstufung von familiären Herausforderungen gegenüber Arbeitgeberinteressen.

Jetzt fällt auch besonders auf, dass in bestimmten armen Stadtteilen so gut wie keine Hausärzte vorhanden sind, weil sich das Geschäft nicht lohnt. Auf der Hamburger Elbinsel Veddel fordern Ärzte darum jetzt eine Priorisierung nach sozialen Kriterien.

Wo unser gewohnter Betrieb ausgebremst wird, hätten wir die Chance, ihn umzulenken, hieß es immer wieder. Der Vorschlag der Ärzte wäre zumindest ein Anfang – doch der Hamburger Senat hat bisher nicht reagiert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen