: „Nur im Kino kann Film als Kunstform stattfinden“
Film- und Kinobranche waren im vergangenen Jahr dringend auf die Unterstützung der Landesmedienfördergesellschaften angewiesen: In Niedersachsen und Bremen ist das Sache der Nordmedia. Geschäftsführer Thomas Schäffer erklärt, wie man auf Corona reagiert hat
Interview Wilfried Hippen
taz: Herr Schäffer, wie war bei der Nordmedia der Stand der Dinge vor einem Jahr?
Thomas Schäffer: 2020 schien für uns ein gutes Jahr zu werden. „Lindenberg! Mach dein Ding“ hatte noch knapp vor dem Lockdown eine glanzvolle Premiere. Der von uns mitfinanzierte Spielfilm „Systemsprenger“ gewann neben anderen Auszeichnungen acht deutsche Filmpreise. Insgesamt wurden beide Filme mit zehn deutschen Filmpreisen ausgezeichnet, so viele gab es in keinem anderen Jahr. Und auf der Berlinale konnten wir noch unseren großen Empfang feiern. Was dann passierte, konnte niemand antizipieren.
Wie hat die Nordmedia auf den ersten Lockdown reagiert?
Für uns ging es zunächst darum, dass wir als Betrieb weiterlaufen konnten. So mussten alle Prozesse auf Mobileoffice umgestellt werden. Wir haben dann die Politik gefahren, weiter nach Möglichkeit Normalität zu signalisieren. So haben wir etwa Vergabeausschusssitzungen fortlaufen lassen wie gewohnt – allerdings per Telefon- und Videokonferenz.
Wie hat sich die Filmbranche in diesen ersten Wochen verändert?
Tatsächlich waren die Kinos die ersten, die durch Schließungen leiden mussten. Die Filmproduktionen konnten noch eine Zeit lang weitermachen. Da haben sich dann sogar Schauspieler beschwert, dass sie bei Dreharbeiten hautnah mit den anderen arbeiten mussten, während sonst überall Kontaktbeschränkungen durchgesetzt wurden. Das war manchmal schon etwas skurril.
Welche Unterstützungen gab es von der Nordmedia in der akuten Phase?
Das war ein großer Kraftakt. Es gibt ja in vielen Bundesländern Filmförderungen und dazu noch die Bundesförderungen. Wir stimmen uns miteinander ab, um die Förderprogramme zu harmonisieren. Dazu treffen wir uns regelmäßig, und die Gesprächskultur, die sich so entwickelt hat, bewährte sich nun: Es ging ganz schnell, dass wir online und auf Telefonkonferenzen Lösungen gesucht haben, wie man mit coronabedingten Störungen umgehen kann. Wir haben dann gemeinsam als Hilfsprogramm einen virtuellen Fonds mit 15 Millionen Euro aufgelegt. Das war alles mit der heißen Nadel gestrickt, hat sich aber bewährt.
Reden wir jetzt sowohl von den Kinos als auch von der Filmproduktion?
Ja. Bei den Filmproduktionen sollte vermieden werden, dass schon geförderte Produktionen in eine Schieflage kommen würden.
Gab es denn Produktionen, die wegen Corona gegen die Wand gefahren sind?
Nein, gescheitert ist keine von uns geförderte Produktion. Wir konnten alle auffangen. Andere Länder hatten da mit größeren Produktionen andere Probleme. Bei uns ging es um zehn Produktionen, die unterbrochen werden mussten oder Mehrkosten hatten, weil zum Beispiel aufgrund der Hygienebestimmungen bei Dreharbeiten höhere Aufwände anfielen. Aber die Arbeiten wurden bei allen inzwischen wieder aufgenommen.
Thomas Schäffer
63, hat Konzertgitarre und Kulturmanagement studiert, ist seit 2001 Geschäftsführer der Nordmedia.
Die Hilfe für die Kinos bestand darin, dass Sie die Vergabe der Programmpreise im Grunde umfunktioniert haben …
Es ging um schnelle Hilfe. Diese Preise sind ja eigentlich dafür vorgesehen, besonders gute Filmprogramme zu prämieren. Dabei haben wir in Niedersachsen und Bremen statt mit wenigen Auszeichnungen immer schon mit vergleichsweise kleinen und dafür vielen Preisen möglichst viele Kinos in der Fläche erreicht, wobei üblicherweise drei Kinos mit sogenannten Spitzenpreisen hervorgehoben werden. Für das letzte Jahr entschlossen wir uns kurzfristig, alle Kinos, die einen Antrag gestellt hatten, mit einem Preisgeld zu bezuschussen. Die nichtgewerblichen Kinos erhielten 1.500 und die gewerblichen 3.000 Euro. Die Summe der Preisgelder wurde dafür insgesamt verdoppelt. Und die Auszahlung erfolgte unbürokratisch und schnell.
Gab es da böses Blut bei den Preisanwärtern?
Es gab schon die eine oder andere Bemerkung, dass es ja schade sei, dass es nicht zur Vergabe der Spitzenpreise gekommen ist. Aber die Solidarität unter den Kinos ist sehr groß und wir haben das Verfahren auch mit dem Kinobüro, dem Regionalverband der Kinos abgestimmt.
Aber war im Herbst, als der zweite Lockdown kam, das Geld aus dem Fonds nicht schon weg?
Deshalb gab es zum Ende des Jahres ein Neustartprogramm mit einer Million Euro in Niedersachsen und 200.000 Euro in Bremen. Das ist etwa jeweils ein Drittel des üblichen Förderbudgets pro Jahr, das damit aufgesattelt wurde. Damit werden sowohl Produktionen wie auch Festivals und Kinos unterstützt. So werden die Kinoprogrammpreise auch in diesem Jahr verdoppelt, und für die Kinos gab es eine Starthilfe von 5.000 Euro als Billigkeitsleistung. Das sind in Niedersachsen immerhin 315.000 Euro für 63 Kinos.
Bei den Filmfestivals war die Situation im letzten Jahr auch sehr kompliziert. Emden fiel aus, Oldenburg war ein Hybridfestival, Braunschweig nur online. Wie hat die Nordmedia dort geholfen?
Indem wir die Festivals mit in die Mehrkostenförderung aufgenommen haben. Oldenburg hat etwa eine zusätzliche Förderung bekommen, um die gewählte Hybridform gestalten zu können. Die mussten diese neue Herausforderung sehr kurzfristig stemmen, und es ging u. a. darum, mit welcher Technologie und welcher Plattform als Partner gearbeitet wurde.
Gab es Schwierigkeiten wegen der Absage des Filmfestes in Emden?
Nein, die entstandenen Kosten werden nach unseren Richtlinien durch die Förderung gedeckt. Es sind sicher nicht die vollen Kosten angefallen. Aber es bleiben ja Ausgaben für das Personal und die Infrastruktur. Das Festival wird jetzt nicht im Regen stehen gelassen.
Wie wird es denn mit den Festivals weitergehen?
Von dem Hybridfestival in Oldenburg haben wir noch keine Erfahrungsberichte. Unser Fachbeirat wird sich mit den Festivals befassen. Festivalleiter Thorsten Neumann soll dazu referieren, welche Erfahrungen und Erkenntnisse gewonnen wurden. Es stellt sich ja grundsätzlich auch für die Zeit nach Corona die Frage, ob Festivals jetzt neue, zusätzliche Formen entwickeln sollten. Wenn man etwa hört, dass beim „Sundance“-Festival 600.000 Tickets verkauft wurden, ist das ja auch erst einmal interessant. Das Hybridfestival kann ein neuer Weg sein. Ähnlich wie auch für die Kinos, die vielleicht Streamingpartner werden oder zusätzlich eigene Angebote online anbieten. Die Erfahrungen, die jetzt gesammelt werden, haben Einfluss auf die Infrastruktur nach der Krise.
Wie sehen Sie dann die Zukunft für die Kinos?
Ich glaube, dass der Kino-Ort als solcher besonders wichtig ist. Er ist als Begegnungsstätte kulturrelevant. Aber noch wichtiger ist, dass nur dort Film als Kunstform stattfinden kann. Denn bei Streamingportalen kann er seine Wirkungskraft gar nicht voll entfalten. Ich persönlich mache mir eher Sorgen darum, ob der große Leinwandfilm mit der Ästhetik, den Spielräumen und der Ruhe, die ihn auszeichnen, in der Zukunft noch so weiterbestehen wird, wenn die Produktionsfirmen und Vertriebswege sich immer stärker auf das Streaming konzentrieren. Ich glaube, Film wird zwar immer im Kino stattfinden, aber für mich stellt sich die Frage, ob die Ästhetik sich verändert und ob der Film, so wie er sich als Kunstform entwickelt hat, darunter Schaden leidet. Eine Filmförderung hat deswegen heute eine besondere Verantwortung. Sie muss nicht nur helfen, die Kinos zu erhalten, sondern sich auch für den besonderen Kinofilm einzusetzen.
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