Rechtsstreit um Schlachthof Geestland: Richter wollen Vermögen einziehen

Nach der Ausbeutung von Arbeitern vor über zehn Jahren soll Geestland hinterzogene Sozialleistungen zurückzahlen. Ist das juristisch durchsetzbar?

Am Werkstor des Putenschlachthofs Geestland stehen Hinweisschilder für Mitarbeiter und Kunden.

Der Schlachthof im Juni 2020 – die illegale Beschäftigungspraxis flog 2010 auf Foto: Sina Schuldt/dpa

HANNOVER taz | Es war ein Fall, der aus vielen Gründen im Gedächtnis blieb: der Prozess gegen die beiden Geschäftsführer der Geestland Putenspezialitäten und der mit ihr verbundenen Zeitarbeitsfirma ZVS, die jetzt Pro Work heißt. Um die illegale Beschäftigung und Ausbeutung von 800 bulgarischen Ar­bei­te­r:in­nen ging es in dem zähen und langwierigen Verfahren vor dem Landgericht Oldenburg 2017.

Die beiden Männer mussten letztlich freigesprochen werden – die Taten waren verjährt, auch weil es so lange gedauert hatte, bis sie überhaupt vor Gericht landeten. Doch so ganz ungeschoren sollten die Täter trotzdem nicht davon kommen: Das Gericht ordnete eine umfangreiche Vermögenseinziehung an, die etwa den hinterzogenen Sozialleistungen entsprach. Zehn Millionen Euro sollte die Firma Geestland zahlen, die zu Wiesenhof gehört, rund 72.000 Euro die betroffene Zeitarbeitsfirma.

Dagegen wehren die sich natürlich und legten umgehend Revision ein, die zur Zeit beim Bundesgerichtshof liegt. Der musste sich vom Bundesverfassungsgericht erst einmal eine Grundsatzentscheidung einholen: Geht das überhaupt, ein Vermögen einziehen, wenn die Straftaten, mit denen es erworben wurde, längst verjährt sind? Und mehr noch: auch schon verjährt waren, als dieses Gesetz – das ja eigentlich auf Organisierte Kriminalität, auf Clans und Terroristen zielte – 2017 überhaupt in Kraft trat?

Ja, bescheinigte das Bundesverfassungsgericht nun, das geht. Weil es sich nicht im eigentlichen Sinne um eine Strafe handelt, sondern um die Abschöpfung eines unrechtmäßig erworbenen Vorteils, der sonst zu weiteren Straftaten animieren könnte.

Und auch der Grundsatz, dass nichts rückwirkend für illegal oder unzulässig erklärt werden darf (weil es in einem Rechtsstaat so etwas wie Vertrauensschutz in die jeweils geltende Rechtslage geben muss), gilt hier nicht, sagen die Karlsruher – weil es um überragende Belange des Gemeinwohls geht, nämlich das Vertrauen der Bür­ge­r:in­nen in den Rechtsstaat.

Die Bul­ga­r:in­nen arbeiteten genau wie alle anderen Leih­ar­bei­te­r:in­nen auch, mit dem Unterschied, dass sie für ihre Akkordarbeit drei bis vier Euro pro Stunde bekamen

Damit ist nun die Bahn frei, um die eigentliche Revision vor dem Bundesgericht zu verhandeln. Es ist also ein kleiner Schritt in Richtung finanzieller Aderlass, aber bei Weitem nicht der letzte Akt in diesem Drama.

Das hat ja auch eigentlich schon viel früher begonnen: 2010 durchsuchte der Zoll die Räume von Geestland Putenspezialitäten in Wildeshausen – im Rahmen von Ermittlungen, die sich auch gegen Wiesenhof in Lohne richteten.

Die sorgten auch deshalb für Aufsehen, weil sie zum Rücktritt der damaligen Landwirtschaftsministerin Astrid Grotelüschen (CDU) führten, die – über den Mastbetrieb ihres Mannes und ihrer Schwiegereltern, den sie zeitweise mit führte – geschäftlich mit beiden Unternehmen verbandelt war.

Im Rahmen der Ermittlungen stieß der Zoll auf die Schein-Werkverträge der Bulgar:innen. Die waren zwar auf dem Papier als Werk­ver­trags­ar­bei­te­r:in­nen eingesetzt, tatsächlich arbeiteten sie aber genau wie alle anderen Leih­ar­bei­te­r:in­nen auch: Sie stempelten für die gleichen Schichten ein und aus, wurden im selben EDV-Programm des Betriebes erfasst und nahmen von den gleichen Vorgesetzten Anweisungen entgegen.

Mit dem kleinen Unterschied, dass sie für ihre Akkordarbeit drei bis vier Euro pro Stunde bekamen, während es bei den anderen zwölf Euro brutto waren. Irgendwann zum Schluss wurden die Löhne dann pro forma von der stundenmäßigen Bezahlung auf eine Bezahlung pro Kilo umgerechnet – damit der Anschein des Werkvertrages erfüllt blieb. Die Masche war ebenso dreist wie gängig, Frank D., ehemaliger Wiesenhof-Prokurist und dann Geschäftsführer der Zeitarbeitsfirma ZVS, stand auch noch in einem weiteren Verfahren vor Gericht.

Bis es soweit kam, dauerte es allerdings. Erst im August 2017 wurde der Prozess vor der Großen Wirtschaftsstrafkammer des Oldenburger Landgerichts eröffnet – wegen Überlastung der Gerichte, hieß es damals. Erst eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft brachte das Verfahren schließlich doch noch ins Rollen.

Die Folgen waren absehbar: Zeugen konnten sich nach so vielen Jahren nicht mehr so genau erinnern. Einige der Ar­bei­te­r:in­nen waren wohl auch vorab vom Anwalt der Firma „befragt“ worden, wie der Richter gegen Ende des Verfahrens festhielt. Ein Großteil der Taten aus den Jahren 2007 bis 2010 musste schließlich als verjährt verbucht werden.

Eigentlich müssten die Ar­bei­te­r:in­nen entschädigt werden

Übrig blieb also nur die Vermögensabschöpfung, welche die ehemaligen Angeklagten ja immerhin auch schwer getroffen hätte. Ob diese nun wirklich Bestand hat, muss sich erst noch zeigen. Theoretisch müsste das Geld sogar den betroffenen Ar­bei­te­r:in­nen zugutekommen – das Gesetz sieht auch einen Ausgleich für Opfer vor. Fraglich ist nur, ob man die überhaupt noch ausfindig machen kann, wenn die Mühlen des Rechtsstaates irgendwann einmal fertig gemahlen haben.

Aber auch die juristischen Kniffeligkeiten der Vermögensabschöpfung werden das Bundesverfassungsgericht möglicherweise noch öfter beschäftigen. Mit der 2017er Reform hatte der Gesetzgeber versucht, die Spielregeln hier sehr viel weiter zu fassen. Seither kann auch Vermögen eingezogen werden, wenn das Gericht hinreichend überzeugt ist, dass es aus illegalen Aktivitäten stammt – ohne haarklein nachweisen zu müssen, mit welchen Taten denn hier wie viele Euros gemacht wurden.

Einige Ju­ris­t:in­nen sehen darin eine nicht zulässige Umkehr der Beweislast, weil im Ex­tremfall nun der oder die Verdächtige nachweisen muss, dass das Vermögen legal erwirtschaftet wurde.

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