Baumhäuser werden nicht geräumt

Die Polizei wird den besetzten Bahnhofswald in Flensburg nicht räumen. Grund ist die Ausbreitung der britischen Coronamutation in der Stadt. Der Aufschub könnte das geplante Bauprojekt verhindern, obwohl dies nicht die Absicht der Stadtverwaltung ist

Kann noch ein bisschen länger im selbst gebauten Baumhaus ausharren: Klimaaktivist*in in Flensburg Foto: Jannis Große

Nächtliche Ausgangssperren und strikte Kontaktverbote: Mit scharfen Regeln will die Stadt Flensburg verhindern, dass sich die sogenannte britische Mutante des Corona­virus weiter ausbreitet. In dieser Lage ist ein Großeinsatz der Polizei aus Sicht der Stadt nicht möglich. Die Verwaltung wird daher in absehbarer Zeit keine Räumung des besetzten Bahnhofswaldes veranlassen, erklärte Rathaussprecher Clemens Teschendorf gegenüber der taz.

„Wir können in dieser Phase keine Maßnahmen in Gang setzen, die das Ziel gefährden, das Virus zurückzudrängen.“ Seit Oktober harren Ak­ti­vis­t*in­nen im Wäldchen nahe dem Bahnhof aus. Gelingt es, die Rodung der Bäume bis in den März hinein zu verhindern, könnten damit die Baupläne für das Grundstück insgesamt scheitern.

Zwei Flensburger Investoren wollen dort ein Hotel und ein Parkhaus errichten, der Bau soll an die Steigenberger-Kette verpachtet werden. Doch die Verantwortlichen werden offenbar langsam ungeduldig: Bereits zwei Mal sei die Übergabefrist verlängert worden, bei weiteren Verzögerungen könnte die Kette nicht länger an ihren Plänen für Flensburg festhalten, beklagte sich der Investor Ralf Hansen im Januar in den Flensburger Nachrichten: „Seit Juni haben wir alle Genehmigungen zusammen und es geht trotzdem nicht los.“

Und das Zeitfenster schließt sich: Ab März dürfen Bäume und Büsche laut Bundesnaturschutzgesetz nicht mehr gefällt werden, weil brütende Vögel gefährdet sein könnten. Die Investoren drohen der Stadt mit Regress, sollte der Bauplatz nicht fristgerecht freigemacht werden.

„Es ist ein privates Vorhaben auf einem privaten Grundstück, damit sind wir nicht die ersten Akteure“, konterte Stadtsprecher Teschendorf. Im Januar hatte die Stadt zwar eine Räumung veranlasst, sie aber wenige Tage vor dem geplanten Termin abgeblasen. Der Grund war damals das erste Auftreten der Mutation B.1.1.7, die deutlich ansteckender ist als das ursprüngliche Virus.

„Die Lage ist seither nicht besser geworden“, sagt Teschendorf – eine Untertreibung: Laut den offiziellen Zahlen lag der Inzidenzwert in Flensburg am Donnerstag bei 185 Fällen pro 100.000 Einwohner*innen. 290 Personen in der Stadt gelten als Trä­ge­r*in­nen des mutierten Virus. Bundesweit zählt Flensburg damit zu den pandemischen Hotspots.

Die Stadt und das Land Schleswig-Holstein reagierten auf diese Entwicklung mit „drastischen und einschneidenden Maßnahmen“, sagt Oberbürgermeisterin Simone Lange (SPD): Ab Sonnabend gilt für mindestens eine Woche eine nächtliche Ausgangssperre, die um 21 Uhr beginnt. Erlaubt sind dann nur Fahrten zum Arzt oder zur Arbeit. Private Treffen sind gänzlich verboten, erlaubt sind nur noch Kontakte mit Mitgliedern des eigenen Haushalts – besonders für Alleinlebende eine „weitere Einschränkung der Freiheit“, bedauerte Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) bei einer Pressekonferenz. „Wir merken aber einfach, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen.“

Angesichts dieser Lage tritt die Zukunft des Bahnhofswaldes und des Hotelprojekts, über das seit Jahren in der Stadt gestritten wird, in den Hintergrund. Erst im vergangenen Sommer stimmte eine Mehrheit der Ratsversammlung für den Bau. Stadtsprecher Teschendorf betont, dass die Verwaltung und auch Oberbürgermeisterin Lange dem Vorhaben grundsätzlich positiv gegenüber eingestellt seien: „Jemand will was entwickeln, und wir haben Bedarf an Hotels.“ Eine Unterkunft in Bahnhofsnähe „ist gefragt, und das sagt nicht nur der Tourismuschef“.

Auch das geplante Parkhaus, für das der Wald weichen solle, ist aus Sicht der Stadtplanung wünschenswert: „Wenn ich morgens als Pendler mit dem Auto ankomme, ist die Chance auf einen Platz in Bahnhofsnähe gleich null“, sagt Teschendorf. „Das Parkhaus würde es erleichtern, dass mehr Menschen den Zug benutzen.“

Allerdings war die Meinung zum Projekt auch innerhalb der Verwaltung keineswegs einheitlich: Laut internem Briefwechsel der Verwaltung, der der taz vorliegt, hatte sich vor allem die Untere Forstbehörde massiv gegen den Bau ausgesprochen. Erst nach mehreren Schreiben, auch von Simone Lange selbst, stimmte die Forstbehörde der Rodung zu, weil das „öffentliche Interesse“ überwiege.

Rathaussprecher Teschendorf erinnert daran, dass als Erfolg der langjährigen Debatten das Projekt kleiner ausfallen solle als ursprünglich geplant. Aus Sicht der Ak­ti­vis­t*in­nen und des Naturschutzes – der BUND hat gegen den Bau geklagt – steht aber dagegen, dass die Fläche ihren Waldcharakter verliert, wenn Unterholz und Gebüsch fallen.

Nun sieht es so aus, als wäre der Wald fürs Erste gerettet. Den Ak­ti­vis­t*in­nen falle es aber „unter den aktuellen Coronabedingungen schwer, in Feierlaune zu kommen“, sagt deren Sprecherin Hanna Poddig der taz. „Tatsächlich betrachten wir es als einen großen Etappensieg, bleiben aber skeptisch.“

Die Stadt hatte bereits im Januar eine Verfügung erlassen, die den Aufenthalt in den Baumhäusern untersagte. Genannt wurden Brandschutzgründe – im Hambacher Forst argumentierten die Behörden ähnlich.