: Berichtenswerte Vorwürfe
„Vice“ und „Buzzfeed“ dürfen wieder über Anschuldigungen gegen einen Arzt wegen Missbrauchs schreiben
Vice und Buzzfeed News dürfen wieder über einen Berliner Arzt berichten, dem sexueller Missbrauch von schwulen Patienten vorgeworfen wird. Allerdings dürfen die Medien die Vorwürfe weiterhin nicht detailliert darstellen. Das hat das Berliner Kammergericht entschieden. Die Urteilsgründe liegen der taz vor.
Beide Medien hatten im September 2019 ausführlich über den Fall berichtet. Vice und Buzzfeed zitierten die Anschuldigungen von fünf ehemaligen Patienten. Der Arzt weist die Vorwürfe bis heute zurück. Er erreichte beim Landgericht Berlin einstweilige Verfügungen gegen die Berichte. In der Berufung beim Berliner Kammergericht hatten Vice und Buzzfeed überwiegend Erfolg. Sie dürfen nun den Kern ihrer Berichte wieder verbreiten und dabei durchaus auch die konkreten Vorwürfe mitteilen: „Analuntersuchungen und Prostatamassagen ohne ersichtlichen Grund. Masturbation. Sich nackt ausziehen müssen. Versuchter Oralverkehr. Kussversuche.“
An die Regeln gehalten
Buzzfeed und Vice hätten sich an die Regeln der Verdachtsberichterstattung gehalten, so das Kammergericht. So hatten sie dem Arzt Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und die Unschuldsvermutung betont. Auch habe es ausreichend Beweistatsachen gegeben, zum Beispiel eine (noch nicht verhandelte) Anklage der Staatsanwaltschaft gegen den Arzt und natürlich die Aussagen der fünf im Bericht zitierten Männer. Die Kammerrichter bejahten auch das öffentliche Interesse an Medienberichten über den Fall. Auch ohne die MeToo-Debatte wären Vorwürfe zum derartigen Ausnutzen einer ärztlichen Stellung berichtenswert gewesen.
Dennoch hatten die beiden Medien mit ihrer Berufung nicht vollständig Erfolg. Sie hätten die Grenzen zulässiger Verdachtsberichterstattung überschritten, soweit sie die Vorwürfe gegen den Arzt besonders „farbig, denkbar explizit und höchst detailliert“ darstellten, entschied das Kammergericht. Dies habe bei den Lesern den Eindruck erweckt, dass sich die geschilderten Handlungen wirklich so zugetragen hätten. Die Richter werteten dies als „vorverurteilend“.
Die Richter räumen ein, dass Verdachtsberichterstattung besondere Sorgfalt erfordere. Um diese Sorgfalt zu dokumentieren, dürften die Medien aber nicht einfach „ungefiltert“ das ganze Rechercheergebnis präsentieren und so die Rechte des Betroffenen verletzen.
Christian Rath
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